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Mein liebes Tagebuch, es war die Woche der E-Rezept-Übermittlung. Sie hat gezeigt, wo die Interessen liegen. Die Ärzte möchten es bequem: Kein Papierausdruck, keine Druckerkosten, am liebsten per E-Mail. Wir Apothekers möchten es am liebsten per Gematik-App und vielleicht noch per elektronischer Gesundheitskarte (eGK) – und keinesfalls einen Token-Versand. Und die Patienten freuen sich über einen Papierausdruck, WhatsApp, E-Mail, SMS, und evtl. per eGK. Tja, so sieht’s aus. Macht was draus!
22. August 2022
Die Niederlande preschen vor: Mit einer verordneten Arzneimittelreserve wollen sie Lieferengpässen vorbeugen. Ab 1. Januar 2023 sind dort die Pharmahersteller (Zulassungsinhaber) verpflichtet, eine Arzneimittelreserve (Rx-Arzneimittel) für mindestens sechs Wochen anzulegen, Großhändler für mindestens zwei Wochen. Mein liebes Tagebuch, klingt auf den ersten Blick gut, ob’s hilft? Da stellt sich auch die Frage: Wie kontrolliert man das? Auf alle Fälle ist es ein richtiger Ansatz, die Arzneimittelreserve beim Zulassungsinhaber anzusetzen. Niederlande hat zwar auch den Großhandel zur Reservehaltung verdonnert, aber letztlich kann auch der Großhandel nur vorrätig halten, was er vom Hersteller bekommt.
23. August 2022
Leben wir in einem digitalen Tollhaus? Am 1. September sollte der ganz offizielle Start (ja, es gab bekanntlich schon mehrere halb offizielle Starts) fürs E-Rezept in Schleswig-Holstein sein. Sollte. Denn jetzt, wenige Tage davor, wird die Kassenärztliche Vereinigung SH so richtig bockig. Sie macht nicht mehr mit beim E-Rezept-Rollout, sie steigt aus. Der Grund: Der Landesdatenschutz signalisierte den schleswig-holsteinischen Ärzten, dass ihre bevorzugte Art, das E-Rezept, genauer gesagt den Token fürs E-Rezept (QR-Code), per E-Mail an die Patienten zu bringen, datenschutzrechtlich nicht geht. Viel zu unsicher! Wenn nämlich der Token auf dem E-Mail-Weg in falsche Hände gerät und in die Gematik-App eingelesen wird, lassen sich aus ihm die sensiblen geschützten Daten des Rezepts auslesen. Und deshalb gehe es aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht, dass Arztpraxen den Weg per E-Mail oder SMS nutzten statt der bundesweit vorgesehenen Gematik-App oder des Token-Ausdrucks auf Papier oder der elektronischen Gesundheitskarte (die allerdings derzeit noch nicht funktioniert). Mein liebes Tagebuch, für diese klare Ansage aus dem Hause Datenschutz hatte die KV Schleswig-Holstein nichts übrig, das brachte sie auf die Palme. Denn die KV-Sichtweise geht so: Wenn dieser für Arzt und Patient so bequeme Weg, den E-Rezept-Token per E-Mail- oder SMS zu versenden, nicht möglich ist, canceln wir die Teilnahme am E-Rezept-Rollout. Mein liebes Tagebuch, die fehlende Bequemlichkeit für die Ärzte bei den offiziellen E-Rezept-Wegen mag für das Verhalten der KVSH nur ein Grund sein, nicht mehr mitzumachen. Was für die KVSH sichtlich noch schwerer wiegt: Für die Arztpraxis ergebe sich aus dem Token-Ausdruck kein Mehrwert, Papierausdrucke kosteten den Praxen mehr Zeit-, Druck- und Papierressourcen, so die KVSH, und man erleichtere den Apotheken zwar die Rezeptabrechnung, was allerdings keine Aufgabe der Praxen sei. Mein liebes Tagebuch, man kann das alles auf den Nenner bringen: Die Kassenärztliche Vereinigung Schleswig-Holstein macht beim E-Rezept-Rollout nicht mit, weil die Arztpraxen Papier- und Druckerkosten haben und der bequeme E-Mail-Versand des E-Rezepts nicht möglich ist. So macht man Druck für die eigenen Interessen.
Wie sehr der den Ärzten untersagte E-Mail-Versand von Token die Gemüter der KVSH erregt, lässt sich auch daran erkennen, dass sie sogar Zoff mit dem Apothekerverband Schleswig-Holstein riskieren. Die „Lübecker Nachrichten“ veröffentlichten ein Zitat von Georg Zwenke, Geschäftsführer des Apothekerverbands Schleswig-Holstein (AVSH), der in etwa das Gleiche sagte wie die Landesdatenschutzbeauftragte: Dass nämlich eine E-Mail unverschlüsselt ist und es sich beim E-Rezept-Token letztlich um sensible Patientendaten handelt. Diese Ansicht nimmt ihm die Kassenärztliche Vereinigung richtig übel. Eine Falschbehauptung sei das und man behalte sich rechtliche Schritte vor. Mein liebes Tagebuch, bevor die KVSH in Rage kommt, sollte sie die Kirche im Dorf lassen. Denn an Zwenkes Zitat ist nichts falsch. Die KVSH will halt einfach ihren Ärztinnen und Ärzten nicht zumuten, dass sie Zeit und Geld für Papier und Druckerpatronen für den Papierausdruck der Token ausgeben müssen. Mein liebes Tagebuch, ich bin überzeugt, KVSH und AVSH werden sich wieder zusammenraufen. Sie sollten sich mal mit der Datenschutzbeauftragten auf ein sommerliches Kaltgetränk treffen. Und bei der Gelegenheit kann der AV der KV zeigen, dass es gar nicht so schlimm ist, einen Token auszudrucken oder das E-Rezept aufs Smartphone des Patienten zu überspielen.
Dass nicht alle KVen die Ansicht der Schleswig-Holsteiner KV teilen, lässt die Kassenärztliche Vereinigung von WestfalenLippe wissen: Sie will vorerst zumindest weiter an Bord bleiben, d.h., sie ist beim Rollout am 1. September dabei. Mein liebes Tagebuch, die Töne der KVWL klingen wesentlich vernünftiger und versöhnlicher als die aus Schleswig-Holstein. Die Ärzte werden ihren Patientinnen und Patienten das E-Rezept auf die App spielen oder ihnen den Token-Ausdruck mitgeben. Also, im Kammerbezirk Westfalen-Lippe geht’s!
Und selbst die zahnmedizinischen Kolleginnen und Kollegen in Schleswig-Holstein wollen den E-Rezept-Start nicht behindern und weiter begleiten. Auch wenn sie mit den aktuellen Rahmenbedingungen nicht glücklich sind. Es fehle an fundierter Information der Versicherten durch Bundesgesundheitsministerium, Krankenkassen und Gematik. Mein liebes Tagebuch, da sprechen die Zahnmediziner in der Tat einen wunden Punkt an: Die offiziellen Informationen übers E-Rezept sind noch extrem unzureichend. Außerdem ist die E-Rezept-App der Gematik kaum bekannt und der Nutzerkreis eingeschränkt, es fehlen nämlich NFC-fähige elektronische Gesundheitskarten (eGK), nur die wenigsten haben ein NFC-fähiges Smartphone und für den vollen Funktionsumfang fehlen auch die PINs der Krankenkassen für die eGK. Das E-Rezept wird in der Wahrnehmung der Versicherten also wohl in den meisten Fällen der Papierausdruck des Tokens sein – mein liebes Tagebuch, willkommen im digitalen Zeitalter.
Der Ausstieg der KV Schleswig-Holstein löste am Rande noch eine Reihe von Fragen und Diskussionen aus, was bei der Übermittlung eines E-Rezepts geht und was nicht. Letztlich macht die Datenschutzbeauftragte klar, dass der Weg aus der Arztpraxis zum Patienten datenschutzrechtlich sauber und sicher sein muss, was gewährleistet wird über die Gematik-App, den Papierausdruck des Tokens oder (in einigen Monaten hoffentlich möglich) über die elektronische Gesundheitskarte. Was der Patient dann mit dem Token-Ausdruck macht, liegt in seiner Verantwortung: Er kann ihn einlösen, wegwerfen, abfotografieren, einscannen oder anderweitig verschicken – es ist seine Sache.
Übrigens, die Apotheke darf den vom Patienten wie auch immer übermittelten Token durchaus annehmen und so das E-Rezept einlösen. Hier sehen die Datenschützer keine datenschutzrechtlichen Probleme. Für die Apotheken könnten sich da allenfalls sicherheitstechnische Fragen ergeben, beispielsweise das Einschleppen von Viren auf den Rechner.
24. August 2022
Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine wütet bereits ein halbes Jahr, ein Ende ist nicht in Sicht. In den Kriegsgebieten werden Arzneimittel knapp. Hilfsorganisationen wie „Apotheker ohne Grenzen“ (AoG) setzen sich seit Beginn des Krieges für Hilfslieferungen in die Ukraine ein. Über 130 solcher Lieferungen mit dringend benötigten Arznei- und Hilfsmitteln konnte AoG an mehr als 40 Zielorte in der Ukraine verbringen. Leider hat die Spendenbereitschaft in den vergangenen Monaten nachgelassen. AoG ruft daher erneut dazu auf Geld zu spenden. Apotheken könnten beispielsweise auch Spendenboxen anfordern, die am HV-Tisch platziert werden, oder Schaufensterdekorationen ausleihen, die auf die Arbeit von „Apotheker ohne Grenzen“ aufmerksam machen.
In einem Podcast-Gespräch berichtet Apothekerin Martina Gerhardt, die für AoG die Ukraine-Hilfe koordiniert, wie Hilfsaktionen ablaufen, über welche Transportwege die Arzneimittellieferungen in die Ukraine gelangen.
Aber nicht nur AoG engagiert sich für die Ukraine. So schickte beispielsweise auch die Pharmagroßhandlung Noweda Hilfskonvois in die Ukraine. Über die Noweda-Stiftung stellte sie rund 100.000 Euro zur Verfügung, mit denen Arzneimittel, Verbandmaterial und weitere pharmazeutische Produkte beschafft werden konnten. Mein liebes Tagebuch, der Einsatz von Hilfsorganisationen und aus dem Bereich der Privatwirtschaft ist groß. Aber solange der Krieg anhält, ist Hilfe notwendig. Mit Spenden können wir alle diese Hilfen unterstützen und Not lindern.
25. August 2022
Auch Apotheken können künftig Grippeschutzimpfungen als Regelleistungen anbieten. Fragt sich nur, wie die Krankenkassen diese Leistungen vergüten. Denn darüber gibt’s noch keine Einigung – was zu erwarten war. Eigentlich sollten sich der Deutsche Apothekerverband und der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung bis Ende August über die Vergütungsmodalitäten für diese apothekerliche Leistung geeinigt haben. Pustekuchen, stattdessen haben sie sich schon vor Ende August darauf geeinigt, die Schiedsstelle anzurufen. Sie muss nun einen Weg finden, was den Apotheken für die Impfleistung und Impfdokumentation zu zahlen ist und wie diese Vergütung abzurechnen ist. Und damit diese Verhandlungsrunden keine Never-ending-Story werden, hat der Gesetzgeber bestimmt, dass die Schiedsstelle innerhalb eines Monats den Vertragsinhalt festlegt. Mein liebes Tagebuch, so werden wir dann bis zum 1. Oktober wissen, was uns die Kassen fürs Impfen gegen die Grippe bezahlen und wie wir das abrechnen können. Ja, und dann kann jede Apotheke überlegen, ob sie zu diesen Konditionen mitmacht oder es lässt.
Noch vor drei, vier Jahren undenkbar, heute Realität: Unsere ABDA mag das Impfen in Apotheken. Und zwar nicht nur Grippeschutzimpfungen, sondern auch die Covid-19-Impfungen in Apotheken. Diese Impfmöglichkeit in Apotheken soll nun, so sieht es der Gesetzgeber vor, bis Karfreitag 2023 verlängert werden. Nicht lang genug, so die ABDA in ihrer Stellungnahme, sie plädiert auf eine vollständige Entfristung, also Covid-19-Impfungen sollen genauso selbstverständlich wie Grippeschutzimpfungen in Apotheken sein, dauerhaft als Regelleistung. Mein liebes Tagebuch, warum auch nicht, einen merklichen Unterschied zwischen dem Impfen gegen Grippe und gegen Covid-19 gibt es nicht wirklich. Apotheken bieten nun mal einen niedrigschwelligen Zugang der Bevölkerung zu hochwirksamen Impfungen, die wir auch in Zukunft benötigen werden.
26. August 2022
Lauterbach hat den Ärzten seinen kleinen Finger gereicht und das Dispensierrecht für Paxlovid geschenkt. Und schon greifen die Hausärzte seine ganze Hand: Sie wollen noch mehr Arzneimittel selbst abgeben, an der Apotheke vorbei, und damit Geld verdienen. Ulrich Weigeldt, Chef des Deutschen Hausärzteverbands, macht daraus in einem Brief an die „lieben Kolleginnen und Kollegen“ keinen Hehl. Er lässt keine Zweifel daran, dass dies nur der Anfang sein kann. So hält er denn eine Ausweitung des Dispensierrechts für notwendig, es gebe einen Bedarf bei vielen Patientinnen und Patienten, vor allem im Notdienst. Wie bitte, mein liebes Tagebuch, kennt der Oberhausarzt eigentlich den Apotheken-Notdienst, der zuverlässig Tag und Nacht die Arzneimittelversorgung gewährleistet? Na klar kennt er ihn, dafür ist Weigeldt, ein Hausarzt von echtem Schrot und Korn, zu lange im Geschäft. Bei seinem Dispensiergepoltere geht es ihm aber primär wohl nicht um die Patienten, weil sie eine Notdienst-Apotheke aufsuchen müssen, nein, ihm geht es, nun ja, um Schrot und Korn, also um Münzen, vulgo ums Geld. Mein liebes Tagebuch, da sollte sich Lauterbach nicht für dumm verkaufen lassen.
Und zum Wochenende noch der Lauterbach-Tusch zum E-Rezept – er möchte (und da kommt er vielen Ärzten entgegen) den einfachen Weg der E-Rezept-Übermittlung: Es sollte möglich sein, den E-Rezept-Token auch per E-Mail und SMS zu verschicken und nicht nur per Gematik-App. Man sei bereits mit dem Datenschutz im Gespräch, um eine Lösung zu finden. Mein liebes Tagebuch, von den Ärzten können wir lernen, wie man für eigene Interessen Druck aufbaut.
11 Kommentare
Trauriges Bild
von Tobias Kast am 28.08.2022 um 15:39 Uhr
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AW: Trauriges Bild
von Karl Friedrich Müller am 28.08.2022 um 19:43 Uhr
AW: Trauriges Bild
von Stefan Haydn am 29.08.2022 um 10:16 Uhr
AW: Trauriges Bild
von Tobias Kast am 29.08.2022 um 10:55 Uhr
AW: Trauriges Bild
von Karl Friedrich Müller am 29.08.2022 um 17:56 Uhr
Frau Peter und die Medien
von Dr.Diefenbach am 28.08.2022 um 15:01 Uhr
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Erinnern Sie sich?
von Karl Friedrich Müller am 28.08.2022 um 13:02 Uhr
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AW: Erinnern Sie sich
von Karl Friedrich Müller am 28.08.2022 um 13:14 Uhr
AW: .
von Anita Peter am 28.08.2022 um 13:58 Uhr
AW: Erinnern Sie sich
von Karl Friedrich Müller am 28.08.2022 um 15:16 Uhr
Ärzte und eine Festrede
von Ulrich Ströh am 28.08.2022 um 9:07 Uhr
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