Gefahr für Lungenkranke mindern

Wirkstoffe gegen Mykobakterien gesucht

Düsseldorf - 30.05.2022, 10:45 Uhr

Mycobacterium abscessus verursacht bei den Mukoviszidose-Patienten oft erhebliche Gewebeschäden in den ohnehin geschädigten Lungen, mit entsprechender Verschlechterung der Lungenfunktion (Foto: skif / AdobeStock)

Mycobacterium abscessus verursacht bei den Mukoviszidose-Patienten oft erhebliche Gewebeschäden in den ohnehin geschädigten Lungen, mit entsprechender Verschlechterung der Lungenfunktion (Foto: skif / AdobeStock)


Infektionen bei Mukoviszidose- und Patienten anderer Lungenerkrankungen mit dem für sie gefährlichen multiresistenten Keim Mycobacterium abscessus haben in den vergangenen Jahre stark zugenommen. Nun suchen Forscher der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) mit Unterstützung des Vereins Mukoviszidose e.V. nach neuen Wirkstoffen gegen die Erreger.

Mykobakterien sind eine besondere Gattung. Sie sind recht klein, wachsen eher langsam, und sie sind dank eines besonderen Zellwandaufbaus sehr unempfindlich und widerstandsfähig gegen Umwelteinflüsse, Säuren und auch gegen die meisten Antibiotika. Zwar sind nur wenige der rund 100 praktisch überall vorkommenden Arten pathogen – die allerdings sind gefährlich. An Mycobacterium tuberculosis, Erreger der Tuberkulose, oder Mycobacterium leprae, Erreger der Lepra, denkt man da zuerst. Allerdings gibt es auch einige weniger prominente Vertreter, die nur fakultativ pathogen sind – oder nur für besondere Risikogruppen.

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Zu letzteren gehört Mycobacterium abscessus. Das in verschmutztem Wasser und Erde vorkommende Bakterium verursacht verschiedene Erkrankungen als sogenannte atypische Mykobacteriose – in der Regel aber nur bei Menschen mit geschwächtem Immunsystem oder Vorerkrankungen. Es verursacht so etwa Entzündungen der Lunge, der Haut, des Zentralen Nervensystems, der Augen oder auch Mittelohrentzündungen. In den vergangenen Jahren hat es eine deutliche Zunahme von mitunter schweren Infektionen der Lungen, besonders bei Mukoviszidose-Patienten gegeben. Aber auch Betroffene von COPD oder anderen chronischen Lungenerkrankungen infizieren sich zunehmend, wobei es wohl eine Übertragung von Mensch zu Mensch etwa in Lungenkliniken und anderen Einrichtungen gab und gibt.

Resistent gegen viele Antibiotika und Hygiene-Maßnahmen

M. abscessus macht es einem dabei nicht leicht, es zu bekämpfen – weder präventiv noch therapeutisch. Gegen viele Hygienemaßnahmen zeigt sich das Bakterium resistent und die meisten Antibiotika wirken gegen Mykobakterien ohnehin nicht. Dazu kommt noch, dass M. abscessus zur Gruppe der nicht-tuberkulösen Mykobakterien gehört. Das bedeutet auch, dass viele Wirkstoffe, die gegen M. tuberculosis und seine Verwandten wie etwa M. bovis oder M. africanum wirken, gegen M. abscessus wirkungslos sind.

Gleichzeitig besitzt das Bakterium aber die Eigenart, die auch die Tuberkulose- und Lepra-Erreger auszeichnet, von den Fresszellen des Immunsystems, den Makrophagen, zwar aufgenommen, aber nicht verdaut zu werden. Im Gegenteil überdauern die Mykobakterien oft sogar innerhalb der Makrophagen.

Zu den nicht wirksamen Mitteln gehört damit auch das noch recht neue Antibiotikum BTZ043 aus der Wirkstoffklasse der Benzothiazinone.

Deswegen arbeite man auch mit drei davon gänzlich verschiedenen Substanzklassen, sagt der promovierte Pharmazeut und approbierte Apotheker Adrian Richter, der im Institut für Pharmazie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) ein neues Forschungsprojekt leitet, um wirksame Hemmstoffe gegen M. abscessus zu finden. Unterstützt wird das Forschungsvorhaben mit 150.000 Euro vom Verein Mukoviszidose e. V.

„Die gegen das Bakterium genutzten Therapieschemata sind häufig unzureichend wirksam, da es von Natur aus gegen viele antibakterielle Stoffe resistent ist. Das hat häufig eine komplizierte Behandlung mit mehreren Medikamenten zur Folge, die langwierig und leider oft nicht erfolgreich ist“, erklärt Richter. Die Bakterien verursachen bei den Mukoviszidose-Patienten oft erhebliche Gewebeschäden in den ohnehin geschädigten Lungen, mit entsprechender Verschlechterung der Lungenfunktion.

Drei Wirkstoffkandidaten aus rund 500 Substanzen identifiziert

Richter, der sich in seiner Dissertation mit der Synthese von Benzothiazinonen beschäftigte, setzt für die Wirkstoff-Suche auf ein von seiner Forschungsgruppe entwickeltes Screening-Verfahren. Dabei konzentrieren sich die Forscher darauf, gezielt Wirkstoffe zu finden, die die Enzyme RNA-Polymerase und Gyrase B des Bakteriums hemmen. Beide Proteinkomplexe spielen eine Rolle bei der Transkription, dem Ablesen des genetischen Codes und dessen Übersetzung in die „Proteinbauanleitung“ mRNA (Boten-Ribonukleinsäure). 

„Wirkstoffscreening gegen nicht-tuberkulöse Mykobakterien ist sehr schwierig und führt oft zu geringen Hit-Raten. Daher wurden Substanzsammlungen genutzt, die sich aus Stoffen mit nachgewiesener antiinfektiver Wirksamkeit gegen verschiedene andere Pathogene zusammensetzen, beispielsweise M. tuberculosis oder Plasmodium falciparum (den Erreger der Malaria). Diese Substanzsammlungen werden von GSK (der Pharmakonzern GlaxoSmithKline) oder MMV (Medicines for Malaria Venture) zur Verfügung gestellt und berücksichtigen bereits Parameter wie die Toxizität“, erklärt Richter.

Aus rund 500 dieser Substanzen ermittelten die Forscher so bereits drei vielversprechende Wirkstoffkandidaten. In ihrem Screening ermittelten die Wissenschaftler dabei den Effekt auf das Wachstum der Bakterien mithilfe von Fluoreszenzmikroskopie. Die drei ursprünglichen Stammverbindungen haben die Pharmazeuten für ihre weitere Forschung bereits chemisch verändert, um ihre Eigenschaften weiter zu verbessern.

Wirkstoffkandidaten auch im Kontext mit Mukoviszidose erforschen

„Die Wirksamkeit konnte bereits gegen verschiedene Mykobakterienspezies gezeigt werden, wie M. abscessus, M. intracellulare, M. smegmatis, M. tuberculosis, oder M. aurum. Gegen andere Bakterienklassen sind die Verbindungen nicht aktiv beziehungsweise wurden nicht untersucht, was mit Blick auf die lange Therapiedauer auch erwünscht ist“, sagt Richter.

Als Nächstes wollen die Sachsen-Anhaltiner Forscher nun die drei gefundenen Wirkstoffkandidaten näher charakterisieren. Dabei soll besonders auch der Kontext mit der Grunderkrankung Mukoviszidose erforscht werden, etwa indem Isolate aus MV-Patienten mit den Wirkstoffen untersucht werden. Außerdem sollen mögliche Wechselwirkungen mit typischen Mukoviszidose-Arzneimitteln ermittelt werden. Besonders für den Mukoviszidose-Kontext kooperiert die Gruppe um Richter mit dem Team um Florian Maurer, Professor am Leibniz Lungenzentrum in Borstel. Maurer leitet das Nationale Referenzzentrum für Mykobakterien

Bis zu einer möglichen therapeutischen Anwendung dürfte allerdings noch viel Zeit vergehen, sagen die Forscher. „Wir sind hier eine kleinere akademische Forschungsgruppe und klinische Studien liegen grundsätzlich außerhalb unserer Möglichkeiten, auch würden zur Realisation solcher Programme 150.000 Euro bei Weitem nicht ausreichen“, erklärt Richter. „Eine Humanstudie oder gar ein zugelassenes Therapeutikum ist also nicht realistisch. Wir versuchen die genannten Stoffklassen präklinisch zu charakterisieren und unser nächstes Ziel wäre eine In-vivo-Untersuchung in einem entsprechenden Tiermodell. Sollte hierbei eine gut wirksame und verträgliche Verbindung auffallen, müssten wir mit einem pharmazeutischen Unternehmen kooperieren, um das Projekt weiter voranzutreiben“, sagt der Pharmazeut.

Falls sich einer der drei Kandidaten aber als wirksam erweisen sollte, strebt man die Weiterentwicklung zum Arzneimittel durchaus an.



Volker Budinger, Diplom-Biologe, freier Journalist
redaktion@daz.online


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