Evaluation der Grippeimpfsaison 2021/22 in Nordrhein

May: Apothekenimpfung ist „sicher, effektiv und gesundheitsökonomisch sinnvoll“

Berlin - 03.05.2022, 12:15 Uhr

Die Evaluationsergebnisse der Berater May und Bauer zur Grippeimpfung in den Apotheken überzeugen. (c / Quelle: May und Bauer)

Die Evaluationsergebnisse der Berater May und Bauer zur Grippeimpfung in den Apotheken überzeugen. (c / Quelle: May und Bauer)


In Nordrhein haben Apotheken bereits die zweite Grippeimpfsaison absolviert. Jetzt liegen die Evaluationsergebnisse des Beratungsunternehmens May und Bauer vor. Sie zeigen: Die Zufriedenheit der Menschen, die sich in den Apotheken gegen Grippe haben impfen lassen, ist im Vergleich zur Vorsaison sogar noch gestiegen. Jeder Zweite gab zudem an, er hätte ohne dieses Angebot gänzlich auf die Immunisierung gegen Influenza verzichtet.

Die Ampel will die Grippeimpfung in den Apotheken in die Regelversorgung überführen. So ist es derzeit in einem Änderungsantrag zum Entwurf des Pflegebonusgesetzes vorgesehen. Wie zu erwarten war, laufen Ärztevertreter dagegen Sturm: „Das Impfen in Apotheken ist die Antwort auf eine Frage, die niemand gestellt hat“, sagte etwa der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, dazu. Die Menschen nähmen das Angebot der Apotheken kaum wahr.

Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, zweifelt zudem an der Niedrigschwelligkeit: Immerhin gebe es in Deutschland nur knapp 20.000 Apotheken, von denen nur ein Teil in der Lage sei, die Impfungen anzubieten, etwa aufgrund der räumlichen Anforderungen. Im Vergleich dazu seien mehr als 160.000 Ärztinnen und Ärzte im ambulanten Versorgungsbereich tätig. „Es stehen also ausreichend Ärztinnen und Ärzte für Grippeschutzimpfungen zur Verfügung“, sagte er. Zur Erhöhung der Durchimpfungsrate in Deutschland seien keine zusätzlichen Impfangebote notwendig.

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Doch wie bewerten die Versicherten, die sich in einer Apotheke gegen Grippe haben impfen lassen, diesen Service? Und was ist ihre Motivation, statt der Praxis die Offizin aufzusuchen? Mit diesen und anderen Fragen befasste sich das Beratungsunternehmen May und Bauer, das mit der Evaluation des Modellprojekts in Nordrhein beauftragt ist.

Dort impften Apotheken in der Saison 2021/22 bereits zum zweiten Mal gegen Influenza. Der Apothekerverband Nordrhein (AVNR) war im Jahr 2020 die erste Apothekerorganisation gewesen, der es gelungen war, einen entsprechenden Vertrag mit einer Krankenkasse auszuhandeln – konkret mit der AOK Rheinland/Hamburg. Bereits in der ersten Auswertung aus dem vergangenen Jahr (Saison 2020/21) hat sich gezeigt, dass die Versicherten höchst zufrieden waren mit dem Service der Apotheken. Allerdings ist die Zahl der Impflinge mit 420 noch recht gering gewesen – wie hat sich das Projekt seither entwickelt?

Darum entscheiden sich Versicherte für das Impfen in der Apotheke

In einer gemeinsamen Pressemitteilung informieren der AVNR und die AOK Rheinland/Hamburg jetzt über die Evaluationsergebnisse der aktuellen Grippesaison. Demnach werden die Impfungen in den Apotheken von den Versicherten immer besser angenommen. „Vor allem das Vertrauen in die Kompetenz der Apotheken, die gute Erreichbarkeit und das Impfen ohne lange Wartezeiten sind ausschlaggebende Kriterien, die Grippeschutzimpfung durch Apothekerinnen und Apotheker durchführen zu lassen“, schreiben der Verband und die Kasse.

Konkret bewerten den Ergebnissen zufolge alle (100 Prozent) der Befragten die von der Apotheke erhaltenen Informationen zur Impfung als gut oder sehr gut. Bei der Zufriedenheit mit dem Service gibt es ebenfalls keine Abstriche (100 Prozent ziemlich oder sehr zufrieden). 99 Prozent sagten, sie würden sich sicher oder wahrscheinlich wieder in einer Apotheke gegen Grippe impfen lassen.

Viele hätten sich gar nicht impfen lassen

Ein weiterer zentraler Aspekt: Das Angebot in der Apotheke veranlasst offenbar viele Menschen zur Grippeschutzimpfung, die sich sonst gar nicht hätten impfen lassen. Gut die Hälfte der rund 1.400 Geimpften habe dies angegeben, heißt es in der Mitteilung – damit liegt der Anteil deutlich höher als in der Vorsaison. Damals hätten ohne das Angebot in den Apotheken rund 12 Prozent auf die Impfung verzichtet, 13 Prozent waren sich unsicher.

Bauer: Weitere Impfungen in Apotheken anbieten

Hinter dem Unternehmen May und Bauer stecken der Gesundheitsökonom Professor Uwe May und die Politikwissenschaftlerin Cosima Bauer. May kommentiert die aktuelle Auswertung laut Pressemitteilung wie folgt: „Die Daten aus der Evaluation der zweiten Grippeimpfsaison in den Apotheken im Rheinland bestätigen, dass die Apothekenimpfung sicher, effektiv und gesundheitsökonomisch sinnvoll ist. Besonders erfreulich ist, dass noch mehr Menschen über den niederschwelligen Zugang in der Apotheke erreicht werden konnten, die sich sonst nicht hätten impfen lassen. Speziell unter denjenigen, die sich im vergangenen Winter erstmals gegen Grippe impfen ließen, hätte jede zweite Person dies nicht getan, wenn es das Impfangebot in der Apotheke nicht gegeben hätte.“

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Bauer hält es zudem für angezeigt, darüber nachzudenken, das Angebot der Apotheken um weitere Impfungen zu ergänzen. „Wegweisend ist auch die Erkenntnis, dass fast alle Menschen, die sich in der Apotheke gegen Grippe haben impfen lassen, sich auch gegen andere Erkrankungen durch Apothekerinnen oder Apotheker impfen lassen würden“, betont sie. „Dies ist versorgungspolitisch von großer Bedeutung. Denn hier zeigt sich, dass ein niederschwelliges Impfangebot die Prävention vieler anderer Erkrankungen ebenfalls erheblich verbessern könnte. Die von der Ampel-Koalition angekündigte Überführung der Grippeschutzimpfung in die Regelversorgung kann hier nur der erste Schritt sein. Auch zum Beispiel die Impfungen gegen FSME und Pneumokokken lassen sich nach unseren Forschungserkenntnissen sehr erfolgversprechend in den Apotheken umsetzen.“

Rückenwind für impfende Apotheken

AVNR-Chef Thomas Preis fordert die Koalitionsfraktionen mit Blick auf die überaus positiven Evaluationsergebnisse auf, jetzt Dampf zu machen und schon in der kommenden Saison die Grippeimpfung in den Apotheken bundesweit allen Menschen zu ermöglichen. „Die aktuellen Regierungspläne, dass sich künftig alle Bürgerinnen und Bürger unabhängig von ihrer Krankenversicherung in Apotheken gegen Grippe impfen lassen können, erhalten durch die hohen Zufriedenheits- und Qualitätswerte der Impfungen in Apotheken jetzt noch einmal zusätzlichen Rückenwind“, meint er. „Wenn diese Regierungspläne jetzt auch schnell umgesetzt werden, können schon im nächsten Herbst alle Bürgerinnen und Bürger – egal, wie und wo sie versichert sind – davon profitieren, sich in unseren Apotheken gegen Grippe impfen zu lassen.“

Preis weist in diesem Zuge darauf hin, dass es in den vergangenen beiden Impfwintern zahlreiche Impfanfragen von Versicherten gab, deren Kassen nicht an dem Modellprojekt beteiligt waren. Auch Privatversicherte zeigten großes Interesse, den Impfservice der Apotheken zu nutzen. Dem großen Nachfragebedarf durften die Apotheken aufgrund gesetzlicher Hürden bisher noch nicht nachkommen.

Apotheken-Impfungen als ergänzendes Angebot

Günter Wältermann, Vorstandsvorsitzender der AOK Rheinland/Hamburg, unterstreicht den hierzulande hohen Handlungsdruck in Sachen Grippeimpfung. „Die Auswertungen unseres Gesundheitsreports 2022 zeigen, dass im zurückliegenden Herbst und Winter deutlich mehr Menschen eine Impfung gegen Grippe in Anspruch genommen haben. Von dem EU-Ziel, bei älteren Menschen eine Impfquote von mindestens 75 Prozent zu erreichen, sind wir jedoch immer noch weit entfernt“, sagt er. „Die Grippeschutzimpfung in Apotheken ist ein wichtiger ergänzender Baustein für ein niedrigschwelliges Impfangebot, deshalb würden wir es begrüßen, wenn der Gesetzgeber Menschen unabhängig von ihrer Krankenversicherung die Grippeschutzimpfung in Apotheken ermöglicht.“

Für beide Vorstände seien nach wie vor die Arztpraxen der Hauptanlaufpunkt für Impfinteressierte. Das hochwertige Impfangebot in den Apotheken könne aber auch zur Entlastung in den Arztpraxen beitragen, erklärt Preis. Das gelte auch für andere Impfungen: Denn im internationalen Vergleich habe Deutschland noch einiges aufzuholen. 

Frankreich weitet Impfangebot in Apotheken deutlich aus

In Frankreich etwa dürfen die Apotheken Preis zufolge ab diesem Jahr nahezu alle Schutzimpfungen anbieten. Der AVNR könnte sich deshalb vorstellen, dass auch in Deutschland noch weitere Impfungen in Apotheken durchgeführt werden könnten, zum Beispiel die Impfung gegen Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME). „Sie ist unproblematisch in der Anwendung, gut verträglich und schützt gegen gefährliche, durch Zecken übertragene, Virusinfektionen“, heißt es in der Mitteilung. Dass es immer mehr Risikogebiete in Deutschland gebe und die Impfquote auch bei dieser Impfung viel zu niedrig sei, spreche ebenfalls dafür. Die Versicherten jedenfalls scheinen offen dafür zu sein: 98 Prozent würden sich gemäß den Evaluationsergebnissen sicher oder wahrscheinlich auch gegen andere Erkrankungen als Grippe in den Apotheken immunisieren lassen.



Christina Müller, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (cm)
redaktion@daz.online


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