Digitalisierung

E-Rezept und Medikation: Wie gelingt die Umsetzung?

Berlin - 29.04.2022, 15:30 Uhr

Bundesgesundheitsminister Lauterbach (hier beim SPD-Wahlkampf in Mühlheim an der Ruhr in NRW) will nach der Sommerpause eine Digitalisierungsstrategie vorlegen. (s / Foto: IMAGO / Bettina Strenske)

Bundesgesundheitsminister Lauterbach (hier beim SPD-Wahlkampf in Mühlheim an der Ruhr in NRW) will nach der Sommerpause eine Digitalisierungsstrategie vorlegen. (s / Foto: IMAGO / Bettina Strenske)


Der flächendeckende Roll-out des E-Rezepts lässt auf sich warten. Gleichwohl gibt es erste Erfahrungen. Für Bundesgesundheitsminister Lauterbach steht indes fest: Der Nutzen der Digitalisierung muss erkennbar und im Alltag spürbar sein. 

Was kann das E-Rezept? Und wo ist Luft nach oben? Darüber haben Branchenvertreter bei der DMEA-Konferenz (Digital Medical Expertise & Applications) in dieser Woche in Berlin diskutiert.

Die Sicht der Krankenkassen erklärte Frank Verheyen, Leiter Arzneimittelmedizin bei der Techniker Krankenkasse (TK). Er wartete mit ersten Erkenntnissen aus der Praxis auf: Denn Anfang 2019 startete die TK ein regionales Projekt zum elektronischen Rezept im Hamburger Stadtteil Wandsbek, aus dem sich inzwischen das E-Rezept-Projekt von sieben Kassen, „E-Rezept Deutschland“, entwickelt hat. „In Kooperation mit einer Apotheke und einer Arztpraxis wollten wir damals nicht nur die technische Machbarkeit unter Beweis stellen, sondern insbesondere herausfinden, wie die am Prozess beteiligten Gruppen – Apotheken, Arztpraxen und Versicherte –  beim E-Rezept zusammenwirken, welche Vorteile es für sie hat und was sie sich wünschen. Es zeigte sich, dass für Patientinnen und Patienten vor allem sogenannte Convenience-Aspekte wichtig sind, wie man sie von anderen digitalen Services bereits gewohnt ist“, berichtete Verheyen.

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Beim E-Rezept bedeute das zum Beispiel: Wege zur Praxis sparen oder sich auf einer Reise ein Rezept nachschicken lassen. Die digitale Verordnung biete außerdem großes Potenzial im Bereich Arzneimitteltherapiesicherheit, etwa der Check zu Wechselwirkungen oder der Abgleich mit der Embryotox-Datenbank. Auch weitere Erleichterungen seien für Versicherte denkbar, wie Erinnerungen der Krankenkasse, wann ein Medikament neu verschrieben werden muss. 

Ganz entscheidend sei, dass das E-Rezept für die Anwender:innen einen wirklichen Mehrwert im Vergleich zur Papiervariante bietet und einfach gestaltet ist – nur dann nutzten sie es auch. „Deshalb ist es aus unserer Sicht wichtig, dass die Gematik-Anwendung an die bereits bestehenden Apps der Krankenkassen angebunden wird“, sagte Verheyen. Sein Fazit: „Wenn man es will, dann klappt es, und wenn es klappt, ist auch der Nutzen des E-Rezepts zu merken.“

Thees (Noventi): Versender profitieren vom E-Rezept

Carlos Thees, Client Liaison Manager beim Apothekendienstleister Noventi, ist indes davon überzeugt, dass die Arzneimittel-Versandhändler „der große Profiteur“ des E-Rezepts sein werden, weil die Versandlieferung erheblich einfacher werde. Inwiefern Vor-Ort-Apotheken in diesem Wettbewerb bestehen könnten, werde demnach davon abhängen, ob auch sie die Vorteile des E-Rezepts für sich zu nutzen wüssten, etwa indem sie Botendienste anböten. Weitere Pluspunkte des E-Rezepts: weniger Übermittlungsfehler, geringere finanzielle Verluste durch Retaxationen wegen fehlender Arztunterschriften und höhere Nachhaltigkeit. Bislang würden mehr als 680 Tonnen Papierrezepte pro Jahr verarbeitet und LKW-weise zwischen den Bearbeitungsstationen hin- und hergefahren, sagte Thees.

Gematik zieht positives Zwischenfazit

Ein positives Fazit zieht die Gematik. „Wir bewerten die Testphase für das E-Rezept positiv: Die Krankenkassen haben sich klar und eindeutig für das E-Rezept engagiert, sodass inzwischen etwa 60 Prozent der gesetzlichen Krankenversicherer ein E-Rezept abgerechnet haben. Das ist sehr erfreulich“, sagte Hannes Neumann, Produktmanager für das E-Rezept bei der Gematik. Bundesweit testeten Apotheken und Ärzte anhand der Test-E-Rezept-Anleitung der Gematik. „Es ist wichtig, dass nun nach und nach alle Arztpraxen aktiv werden: Jeder, der die technischen Voraussetzungen hat, sollte das E-Rezept testen. Dafür müssen sich weder Praxen noch Apotheken anmelden. Wir regen Ärzte und Apotheker vor Ort dazu an, miteinander zu sprechen und mit dem Test-E-Rezept den Ablauf auszuprobieren. Ab Herbst werden auch Mehrfachverordnungen ermöglicht, was für die Praxen eine Zeitersparnis bringt“, so Neumann.

Funktioniert das System auch unter Volllast?

Erik Bodendieck, niedergelassener Arzt aus Sachsen, Präsident der dortigen Ärztekammer und bei der DMEA Moderator der Session „E-Rezept und Medikation: Wie gelingt die Umsetzung?“ begrüßt die Verlängerung der Testphase fürs E-Rezept, bis definierte Qualitätskriterien erreicht sind und eine Mindestanzahl von 30.0000 E-Rezepten den gesamten Prozess inklusive Abrechnung ohne Probleme durchlaufen hat. Allerdings bilde diese Anzahl nur den Durchlauf von zehn Minuten in den Arztpraxen ab. „Das heißt, auch wenn 30.000 E-Rezepte binnen mehrerer Monate getestet wurden, sagt das noch nichts darüber aus, wie die Anwendung unter Volllast funktioniert.“

Laut Bodendieck können derzeit nicht alle Anbieter eine problemlose Umsetzung garantieren, was Voraussetzung für die flächendeckende Nutzung sei. Außerdem sei die Funktionssicherheit der Komfortsignatur und der Technik noch nicht gewährleistet. Spannend sei auch, wie der Patient das E-Rezept nutzen wird, ob er die App zur Verfügung hat oder das E-Rezept ausgedruckt werden muss. „Und mit Blick auf die EU-Freizügigkeit bei der Wohnortwahl, dem Reiseverhalten und der freien Arztwahl halte ich die EU-Verfügbarkeit der E-Rezepte für zwingend notwendig. Aber auch das ist derzeit noch vollkommen offen“, so Bodendieck auf Nachfrage der DAZ. Zudem müssten die Einbindung in die elektronische Patientenakte (ePA) und Arzneimitteltherapiesicherheit gelöst werden. „Die Gematik hat also noch viele Hausaufgaben zu erledigen, bevor das E-Rezept zum Nutzen für Patienten wie Ärzte sinnvoll zur Anwendung kommen kann.“

Lauterbach: Digitalisierungsstrategie nach der Sommerpause 

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kündigte in seiner Keynote auf der DMEA an, eine Digitalisierungsstrategie vorlegen zu wollen. Voraussichtliches Zeitfenster: nach der Sommerpause. Dies müsse der erste Schritt sein, um die Digitalisierung des Gesundheitswesens fortsetzen zu können. Parallel dazu müsse die digitale Infrastruktur weiter ausgebaut werden, „denn ohne funktionierende Infrastruktur ist eine Strategie nutzlos“. 

Erste Arbeiten hätten demnach bereits begonnen, ein Beteiligungsverfahren sei geplant. Und: Den Einsatz von E-Rezept, ePA und eAU will Lauterbach weiter vorantreiben. Derzeit würden die Ergebnisse der E-Rezept-Testphase ausgewertet. „Ich gehe davon aus, dass die Zielmarke von 30.000 E-Rezepten bis zum Sommer erreicht sein wird.“ Im Mittelpunkt der digitalen Anwendungen sieht Lauterbach indes die ePA, etwa um Mehrfachuntersuchungen bei Patienten zu verhindern. Der Nutzen der Digitalisierung müsse in jedem Fall erkennbar und im Alltag spürbar sein, „sowohl auf der Seite der Leistungserbringer als auch auf Patientenseite“, so Lauterbach.

Wo wollen wir in fünf bis zehn Jahren stehen?

Susanne Ozegowski, seit April neue Leiterin der Abteilung 5 „Digitalisierung und Innovation“ im Bundesministerium für Gesundheit, sagte: „Ich wünschte, ich könnte einen fertigen Masterplan ausrollen.“ Ein Schwerpunkt ihrer Agenda sei, „wie versorgungsnahe Produkte von E-Rezept, ePA und eAU bis hin zu KIM ins echte Leben kommen“, was die einzelnen Produkte können und wie sie ineinanderfließen sollen. Es sei wichtig, abzustecken, „wo wir in fünf bis zehn Jahren stehen wollen“ und wie die Versorgung dann aussehen soll. „Wir wissen alle: Wir werden in fünf bis zehn Jahren nicht genau dort stehen, was wir heute beschreiben.“ Dennoch sei es wichtig, ein ungefähres Bild zu haben.



Anja Köhler, Freie Journalistin
redaktion@daz.online


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