Schlaf-Experte warnt vor unkritischem Gebrauch

Melatonin ist kein Schlafhormon

Herdecke - 07.04.2022, 07:00 Uhr

Einfach mal so Melatonin einnehmen, hält Schlafmediziner und Kinder- und Jugendarzt Dr. Alfred Wiater für keine gute Idee. Man würde ja auch keine Schilddrüsenhormone eigenmächtig einnehmen. (Foto: IMAGO / Panthermedia)

Einfach mal so Melatonin einnehmen, hält Schlafmediziner und Kinder- und Jugendarzt Dr. Alfred Wiater für keine gute Idee. Man würde ja auch keine Schilddrüsenhormone eigenmächtig einnehmen. (Foto: IMAGO / Panthermedia)


Eine geruhsame Nacht ist der Traum vieler. Wenn das Thema Schlaf aber eher zum Albtraum wird, klingen Werbeaussagen über das „natürliche Schlafhormon“ Melatonin verlockend. Ohne ärztliche Begleitung ist der Einsatz entsprechender Nahrungsergänzungsmittel kritisch zu sehen, insbesondere bei Heranwachsenden, wie der Schlafmediziner und Kinder- und Jugendarzt Dr. Alfred Wiater im Interview mit der DAZ erläutert.

Melatonin ist ein Hormon, das während der Dunkelheit ausgeschüttet wird – auch bei nachtaktiven Tieren – und sollte laut Wiater nicht als Schlafhormon bezeichnet werden. Der Vorstandsreferent der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) verdeutlicht, dass physiologische Zusammenhänge zwischen Melatonin-Ausschüttung und Schlaf bestehen, womöglich über ein Absinken der Körperkerntemperatur, dies bedürfe aber noch weiterer Forschung.

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Wiater warnt davor, Hormone, die bekanntermaßen vielfältige Wechselwirkungen im Organismus ausüben, unkontrolliert und in hoher Dosierung einzunehmen. „Niemand käme auf die Idee, eigenmächtig Schilddrüsenhormone einzunehmen oder sich einfach so Insulin zu spritzen“, lautet sein Vergleich. Wird das Chronotherapeutikum zur falschen Zeit angewendet, könnten im schlimmsten Fall circadiane Rhythmusstörungen resultieren. 

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Bevor ein Behandlungsversuch mit Melatonin unternommen werde – wohlgemerkt ärztlich indiziert und überwacht –, sollten sich andere nicht medikamentöse und medikamentöse Maßnahmen als unwirksam erwiesen haben.

Langzeitfolgen sind nicht absehbar

Gerade bei Kindern und Jugendlichen müsse man sorgsam mit dem Einsatz von Melatonin umgehen. Die unkontrollierte Einnahme eines Chronotherapeutikums sei aufgrund noch nicht absehbarer Langzeitfolgen strikt abzulehnen. Eltern, deren Kinder schlecht schlafen, sollten also keine Selbstversuche unternehmen, sondern sich zur Abklärung möglicher Schlafstörungen an den Kinderarzt wenden. Dass hier vielfältige Ursachen in Betracht kommen, weiß der ehemalige Chefarzt einer Kinderklinik mit angeschlossenem Kinderschlaflabor aus jahrelanger Erfahrung. Seiner Einschätzung nach sind Eltern schlafgestörter Kinder aber vorsichtig bei der Verabreichung von Medikamenten.

Zugelassen bei Autismus-Spektrum-Störungen

Dr. Wiater erläutert im DAZ-Interview, dass Melatonin bei Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen und dem seltenen Smith-Magenis-Syndrom zugelassen ist und in kindgerechter Darreichungsform vorliegt (Slenyto). Der familiäre Alltag sei bei Schlafstörungen betroffener Kinder oft massiv belastet, und hier könnten sich positive Effekte einer Melatonin-Anwendung auf die Schlafdauer, die Häufigkeit nächtlichen Aufwachens und die Schlaflatenz lindernd auswirken. Es sei jedoch wichtig, spätestens drei Monate nach Therapiebeginn den Behandlungserfolg zu bewerten und danach halbjährlich über die Fortsetzung der Therapie zu entscheiden.



Apothekerin Dr. Verena Stahl
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Unkritisch....

von Ramona L. am 12.04.2022 um 22:01 Uhr

Letzten Samstag, Apotheke: Eine junge Frau verlangt Melatonin Spray. Auf Nachfrage wird geantwortet, sie wolle es für ihre 5 jährige Tochter, die laut Kinderarzt eine Ein- und Durchschlafstörung habe. Sie solle laut diesem in die Apotheke gehen und sich so ein Spray besorgen, das gebe es ja rezeptfrei zu kaufen.
Unnötig die Reaktion auf die Abgabeverweigerung weiter zu erläutern...

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