Präqualifizierung extrem (Teil 1)

Game of Thrones für Hartgesottene – die behindertengerechte Toilette

05.04.2022, 07:00 Uhr

Im ersten Teil unserer Präqualifizierungsserie dreht sich alles um die behindertengerechte Toilette. (c / Foto: IMAGO / CHROMORANGE)

Im ersten Teil unserer Präqualifizierungsserie dreht sich alles um die behindertengerechte Toilette. (c / Foto: IMAGO / CHROMORANGE)


Die Toilette am Ende einer Wendeltreppe

Auch eine Kollegin von Lieske hatte bei ihrer Präqualifizierung Ärger mit der bereits vorhandenen Toilette. Diese befindet sich am unteren Ende einer Wendeltreppe. Mittels eines kostenpflichtigen Architekten-Gutachtens, welches anfallende Umbaukosten in Höhe von 81.000 Euro für die benötigten Sanitäranlagen bescheinigt (das Schreiben liegt der Redaktion vor), wurde eine Ausnahmeregelung zu ihren Gunsten getroffen. 

Doch auch diese bewahrte sie nicht vor zusätzlichen Investitionen: Um die gewünschte Präqualifizierung zu erhalten, musste die vorhandene Toilette trotz ihrer Lage mit einer Sitzerhöhung inklusive Haltegriffen nachgerüstet werden. Und so ist die betroffene Apotheke nun im stolzen Besitz einer Toilette mit vorbildlicher Sitzhöhe, welche von allen Menschen genutzt werden kann, die es die Wendeltreppe hinab schaffen. Und hoffentlich auch wieder hinauf. Der Sinn dieser Aufrüstung ist der Apothekerin nicht ganz klar. Die Präqualifizierungsstelle immerhin sei glücklich mit dieser Lösung und erteilte das ersehnte Zertifikat.

Die Regelungsgrundlage

Die „Empfehlungen des GKV-Spitzenverbands gemäß § 126 Absatz 1 Satz 3 SGB V für eine einheitliche Anwendung der Anforderungen zur ausreichenden, zweckmäßigen und funktionsgerechten Herstellung, Abgabe und Anpassung von Hilfsmitteln“ mit Stand vom 30. August 2021 führen die behindertengerechten Toiletten im Kapitel „Besonderheiten für Neubetriebe oder bei Erstbezug“ auf. Als solche gelten alle Betriebe, die nach dem 31. Dezember 2010 – also seit Existenz des Präqualifizierungsverfahrens – gegründet wurden. Zwar kann ein bereits ausgestelltes Präqualifizierungszertifikat als Nachweis eines „Alt-Betriebes“ vorgelegt werden, ein Leitungswechsel oder die Verlegung der Geschäftsräumlichkeiten führt indes erneut zur Einstufung als Neubetrieb. 

Die GKV-Empfehlungen definieren auch Ausnahmen, in denen auf den Einbau einer behindertengerechten Toilette verzichtet werden kann. Hierzu muss durch Sachverständige schriftlich bestätigt werden, dass ein solcher Umbau nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand realisierbar wäre. Allerdings muss auch in diesem Fall die Bestandstoilette „soweit wie möglich behindertengerecht“ ausgestattet werden. Die Empfehlungen nennen hierbei konkret die vorgeschriebene Toilettensitzhöhe von 46 bis 48 cm sowie das Anbringen von Haltegriffen und einer Notrufvorrichtung. Zur Umsetzung der Forderungen kann eine Übergangsfrist gewährt werden.

Neben dieser Ausnahmeregelung kann auch eine Nutzungsvereinbarung über eine „in unmittelbarer räumlicher Nähe“ befindliche behindertengerechte Toilette vor einem großangelegten Umbau schützen. Hierbei darf jedoch für die Kundschaft kein Aufwand bei der Nutzung dieser Sanitäranlage entstehen und sie muss barrierefrei erreichbar sein. Auch darf es sich nicht um eine öffentliche Toilette handeln. Ob solch eine Toilette außerhalb der Betriebsräume akzeptiert wird, ist ausdrücklich Ermessenssache der jeweiligen Präqualifizierungsstelle.[2]



Jessica Geller, Autorin, DAZ.online
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Bis zum bitteren Ende

von ratatosk am 05.04.2022 um 8:56 Uhr

Es gibt keinen erfolgreichen Staat ohne gute Bürokratie. Unsere Bürokratie ist jedoch völlig marode, kaum mehr Kompetenz, dafür viel Selbstgefälligkeit. Sie zerstören von Bundeswehr über Energiesicherheit zu Gesundheitswesen zunehmend die Grundlagen unseres Staates. Leitung von Behörden in der Politik werden meist nur noch nach Proporz ohne Kompetenzanforderung vergeben, ging ohne Krisen gerade noch gut, jetzt offensichtlich nicht mehr. Wenn dann noch wie bei Karl persönliche Animositäten gegen Beteiligte dazukommen, dann Land unter. Getoppt wird das Ganze nur noch von der GKV Spitze, leider ohne jede Kontrollen, da keine Beamten, aber auch kein echtes Wirtschaftsunternehmen.

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