Wenn nachts das Telefon klingelt

Obszöne Anrufe im Notdienst – ein unterschätztes Problem? (mit Umfrage)

Berlin - 25.03.2022, 07:00 Uhr

Sind obszöne Anrufe im Notdienst die Ausnahme? (s / Foto: IMAGO / Steinach) 

Sind obszöne Anrufe im Notdienst die Ausnahme? (s / Foto: IMAGO / Steinach) 


Auf manche Anrufe im Notdienst kann man getrost verzichten – das gilt insbesondere für solche, bei denen jemand ins Telefon stöhnt oder versucht, einen in ein Gespräch über Intimitäten zu verwickeln, ohne dass dahinter eine gesundheitsbezogene Fragestellung steckt. Wie können sich Apotheker:innen davor schützen? Und wie verbreitet ist das Problem tatsächlich?

Immer wieder klingelt das Telefon. Hebt die notdiensthabende Apothekerin ab, stöhnt ein Mann in den Hörer. Sie legt auf, er ruft sofort wieder an. Zwei Stunden lang dauert der Kampf, dann gibt er endlich auf. So geschehen in Hamburg: Auch wenn seit dem Vorfall schon einige Zeit vergangen ist, erinnert sich die Kollegin, die namentlich nicht genannt werden möchte, noch sehr genau daran. „Ich war mit der Situation völlig überfordert“, erzählt sie im Gespräch mit der DAZ.

Eine Statistik darüber, wie oft solche Situationen im Notdienst vorkommen, gibt es nicht – es drängt sich jedoch die Vermutung auf, dass derartige Anrufe keine Seltenheit sind. In den sozialen Medien berichten Kolleginnen von vergleichbaren Fällen. Und auch die erste Vorsitzende der Freien Apothekerschaft, Daniela Hänel aus Zwickau, brachte das Thema in einem kürzlich in der DAZ veröffentlichten Leserbrief zum Thema Notdienst auf den Tisch. Sexuelle Übergriffe am Telefon „nehmen verstärkt zu und können äußerst unangenehm sein“, schrieb sie.

Doch was kann man tun, wenn man selbst betroffen ist? Die Apothekerin aus Hamburg wandte sich seinerzeit an ihre Kammer. So richtig wollte man sich dort nicht auf ihre Anfrage einlassen, berichtet sie. „Echte Hilfe habe ich nicht bekommen. Eine Mitarbeiterin hat mich allerdings darauf hingewiesen, dass ich im Notdienst natürlich weiterhin ans Telefon gehen müsse“, berichtet die Kollegin. „Die Reaktion hat mich wirklich enttäuscht.“

Einen Tipp bekam sie dann doch: Sie solle sich eine Trillerpfeife neben das Telefon legen und bei wiederholten Anrufen solcher Art auch davon Gebrauch machen. „Da war ich mir aber unsicher, ob man das nicht auch als Körperverletzung auslegen könnte“, sagt die Apothekerin. „Ich habe keine Lust darauf, dass mich hinterher jemand anzeigt, weil er einen Hörsturz erlitten hat.“ Das wollte die DAZ genauer wissen und fragte beim Berliner Juristen Ursus Koerner von Gustorf, Fachanwalt für Strafrecht, nach. Seine Antwort fällt klar aus: „Die Trillerpfeife ist erlaubt – es handelt sich hier um Notwehr.“

Was können Betroffene tun?

Nicht gestattet ist es Koerner zufolge jedoch, in einem solchen Fall das Telefon abzustellen. „Davon würde ich aus berufsrechtlichen Gründen abraten“, erläutert er gegenüber der Redaktion. „Die Apotheke muss erreichbar sein.“ Sein Rat lautet, in solchen Situationen immer die Polizei zu rufen und das dem Anrufenden auch mitzuteilen. Zudem sollen Betroffene das Gespräch nach einem kurzen Hinweis aufzeichnen.

Die Kollegin aus Hamburg hat übrigens ihren eigenen Weg gefunden, obszöne Telefonate abzuwimmeln: Sie fing an zu singen. „Danach hat dieser Mann sich nie wieder bei mir gemeldet“, sagt sie. Heute kann sie darüber lachen – damals hat sie das Erlebte im Nachhinein betrachtet doch irgendwie belastet. „Ich habe mich ziemlich allein gefühlt mit meinem Problem.“ Obwohl sie hart im Nehmen sei, habe sie sich dabei ertappt, dass sie doch in den nachfolgenden Notdiensten bei manch einem Telefonklingeln gehofft habe, dass nicht wieder jemand ins Telefon stöhnt.

Obszöne Anrufe im Notdienst – wie kann man sich schützen?

  • Schalten Sie eine Bandansage vor, in der darauf hingewiesen wird, dass Sie tatsächlich Notdienst haben.
  • Weisen Sie den Anrufenden darauf hin, dass Sie das Gespräch aufzeichnen und die Polizei informieren werden.
  • Legen Sie für den Notfall eine Trillerpfeife bereit.

Haben Sie weitere Ideen? Schreiben Sie uns eine E-Mail mit Hinweisen an redaktion@daz.online!

In den sozialen Medien stieß sie kürzlich auf einen weiteren Tipp, wie sie sich nicht nur vor obszönen, sondern auch vor unnötigen Anrufen im Notdienst schützen kann: Kolleginnen und Kollegen raten, eine Bandansage – am besten von einem Mann gesprochen – vorzuschalten, in der darauf hingewiesen wird, dass die Apotheke tatsächlich in der betreffenden Nacht Notdienst hat. „Die Idee ist gut. Den Perversen dauert das wohl zu lange, bis sie dann endlich durchgestellt werden“, vermutet die Apothekerin. Und die Frage „Haben Sie Notdienst?“ erübrigt sich dadurch auch.

Umfrage: Haben Sie schon obszöne Anrufe im Notdienst bekommen?

Auch eine Apothekerin aus Nordrhein berichtet der DAZ von ihren Erfahrungen: Sie sei eines Morgens gegen 6 Uhr von einem Mann mittleren Alters angerufen worden, der „merkwürdige Fragen stellte, in denen es um sein Glied ging“. Ob er eine bestimmte Salbe auftragen könne, wollte er wissen, und ob sie diese Salbe vorrätig hätte. Die Kollegin bejahte. Wenig später rief der Mann erneut an. Er sei bei seiner Mutter zu Besuch und habe jetzt eine Vaginalcreme gefunden, die gut rutsche. „Spätestens an dieser Stelle war mir klar, was er von mir wollte“, sagt die Kollegin. Da habe sie aufgelegt. Als kurze Zeit später erneut das Telefon klingelte, sei er wieder dran gewesen und habe unüberhörbar onaniert – das sei zum Glück der letzte Anruf an diesem Morgen gewesen.

Auf Nachfrage, ob sie den Vorfall ihrer Kammer oder der Polizei gemeldet habe, zuckt sie mit den Schultern. „Sowas kommt doch ständig vor. Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen, es irgendwo anzuzeigen.“ Sie gehe davon aus, dass ein Großteil der Apothekerinnen, die regelmäßig Notdienste leisten, schon Vergleichbares erlebt hätten. „Ich denke, dass alle meine angestellten Apothekerinnen schon einmal solch einen Anruf im Notdienst bekommen haben.“

Wie groß ist das Problem tatsächlich?

Das macht neugierig: Wie groß ist das Problem tatsächlich? Und sind eigentlich nur Frauen betroffen, oder bekommen auch männliche Kollegen solche Anrufe? Helfen Sie uns, es herauszufinden, und machen Sie bei unserer Umfrage mit!

Auch wenn es oft schwierig sein dürfte, die Täter dingfest zu machen: Welche Strafen drohen ihnen, wenn sie doch erwischt werden? Rechtsanwalt Koerner klärt auf: „Als sexuelle Belästigung (§ 184i StGB) lässt sich die Tat nicht einordnen – denn dabei handelt es sich um ein Delikt, das eine körperliche Berührung voraussetzt. Es kann jedoch eine Beleidigung (§ 184 StGB) vorliegen. Diese kann mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden, in besonders schweren Fällen können es auch bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe sein. Die Tat muss bei der Polizei angezeigt werden.“ 


Christina Müller, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (cm)
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


Das könnte Sie auch interessieren

Interview mit Kammerpräsident Peter Stahl

Drohanrufe im Notdienst: „Wir wollen nicht wegschauen“

Drohanrufe im Notdienst: Interview mit Rheinland-Pfalz‘ Kammerpräsident Peter Stahl

Den Tätern die Schrecksekunde nicht gönnen

Obszöne Anrufe im Notdienst

84 Prozent sind betroffen

Rückblick von DAZ-Redakteurin Christina Grünberg

Meine Themen des Jahres – Dienstleistungen, Streik und Drohanrufe

DAT-ANTRagsberatung

Die Nöte beim Notdienst

KOSSENDEYS GEGENGEWICHT

Wir sind Helden!

3 Kommentare

Trillerpfeife ist ein schlechter Rat

von Hummelmann am 18.04.2022 um 13:08 Uhr

Als Betroffener kann ich Ihnen sagen:
Die Idee mit der Trillerpfeife ist ein wirklich schlechter Rat. Denn auch der Anrufer kann sich eine solche Pfeife beschaffen.
Können Sie sich nur annähernd vorstellen, mit welchen Ängsten die Mitarbeiter:Innen zukünftig auch tagsüber ans Telefon gehen, wenn sie gelegentlich eine Trillerpfeife als ersten Ton hören?
Eine Eskalation der Gewalt hat noch nie ein Problem gelöst. Da gibt es deutlich bessere Verhaltensweisen.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Telefon"streiche" im Notdienst

von Sonja Kirchner am 28.03.2022 um 10:28 Uhr

Die Idee, die Polizei einzuschalten ist wirklich unnötig... da bekommt man nur die Antwort: "Und? Was sollen wir jetzt tun?"
Nein, da hilft einem niemand.

Das mit dem Singen finde ich genial: "Der Vogelfänger bin ich, ja, Heißa, Hopsasa!"
Das werde ich auf jeden Fall versuchen!
Das könnte klappen, die lüsternen Belästiger loszuwerden.

Mit Humor gegen die Resignation ;)

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Das ist keine Bagatelle

von Christiane Patzelt am 25.03.2022 um 19:08 Uhr

Wir sind nachts alleine, sind an der Klappe leicht ansprechbar und je nach Penetranz machst du dann auch kein Auge zu. Ich hatte schon einen echten Telefonterror-Kandidaten, der mich alle 30 Sekunden angerufen hat. Da habe ich das Telefon abgeschaltet. Penisanrufe und Geschichten von vorzeitigem Samenerguss um 1 Uhr morgens, Ratschläge über Kondombenutzung oder wie die Frau am besten schwanger wird, weil er gerade dabei war sind hier noch die irritierend harmlosen Themen. Wie wäre es denn mal, wenn wir die Notdienste tunneln von 19-22Uhr und Ruhe ist, dann sind wir auch sicher bei unseren Familien und unsere Männer schlafen besser und nicht mit dem Messer auf dem Nachttisch.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.