SARS-CoV-2-Varianten

Deltakron – Omikrons und Deltas neues Sorgenkind?

Düsseldorf - 23.03.2022, 16:45 Uhr

Kommt mit Deltakron der Wolf (Delta) im Schafspelz (Omikron)? Aktuell scheint „Deltakron“ keine besondere zusätzliche Gefahr darzustellen. Doch weitere Varianten sind wahrscheinlich. (c / Symbolbild: Yingyaipumi / AdobeStock)

Kommt mit Deltakron der Wolf (Delta) im Schafspelz (Omikron)? Aktuell scheint „Deltakron“ keine besondere zusätzliche Gefahr darzustellen. Doch weitere Varianten sind wahrscheinlich. (c / Symbolbild: Yingyaipumi / AdobeStock)


Während auf der einen Seite unter der Dominanz der Omikron-Variante der „Reichtum“ der zirkulierenden COVID-19-Erreger zusehends schwindet, macht eine doch recht überraschende Hybridvariante aus Delta und Omikron als Deltakron-Variante von sich reden. Was es über die Variante zu berichten gibt, die eigentlich „XD“ oder „Recombinant AY.4 x BA.1“ heißt, und mehr über SARS-CoV-2, lesen Sie hier. 

Man könnte fast meinen, der Erreger der COVID-19-Erkrankung, das Virus SARS-CoV-2, wolle der Gemeinschaft der Wissenschaftler und allen praktizierenden Medizinern sowie Gesundheitsberuflern zeigen, wie wenig wir alle doch wirklich von Viren verstehen. Natürlich hat dieser obligate zelluläre Parasit keinen Willen und auch keine Absicht – aber für Überraschungen ist dieses Virus, das die Welt seit über zwei Jahren heimsucht, immer gut.

Noch vor einem Jahr Ende März 2021 schrieb die DAZ über den „Besorgniserregenden Variantenreichtum“ von SARS-CoV-2. Schon der Umstand, dass mit Alpha, Beta und Gamma – die zu dem Zeitpunkt noch „britische“, „südafrikanische“ und „brasilianische“ Variante hießen –, drei besorgniserregende Virusvarianten existierten, die bereits umfassend vom Wuhan-Wildtyp abwichen, hatte Forscher und Mediziner überrascht. Schließlich war man anfangs von einer nur geringen Mutationsrate des Virus ausgegangen.

Alpha, Beta, Gamma und Wuhan-Wildtyp sind verschwunden

Ein Jahr später hat gerade erst die Weltgesundheitsorganisation WHO die Liste der aktuell besorgniserregenden VOC (Variants of Concern) und „interessanten“ VOI (Variants of Interest) zusammengestrichen – und dafür zwei „Varianten unter Beobachtung“ VUM (Variants under Monitoring) hinzugefügt. Von den ursprünglich fünf VOCs Alpha, Beta, Gamma, Delta und Omikron zirkulieren aktuell nur noch Delta und zu weit über 90 Prozent Omikron. Alpha, Beta und Gamma sind ebenso wie der ursprüngliche Wuhan-Wildtyp offensichtlich verschwunden und werden nur noch als „Previously circulating VOCs“ geführt.

Von den acht VOIs (Epsilon, Zeta, Eta, Theta, Iota, Kappa, Lambda und Mu) zirkuliert gar keiner mehr. Einige davon waren für viele Krankheitsfälle und Tote verantwortlich, und man hatte ihnen das Potenzial zugeschrieben, sich weiter auszubreiten. Dann allerdings kam Omikron und verdrängte mit seiner massiv gesteigerten Übertragbarkeit praktisch alle bisherigen Varianten weltweit.

Deltakron ist da

Omikron mit seinen über 50 funktionellen Mutationen und seinem von allen anderen Varianten signifikant abweichenden Spike-Protein hatte vielen Wissenschaftlern bereits als unwahrscheinlich gegolten – tauchte aber im November 2021 auf und dominiert nun das Pandemie-Geschehen mit gleich zwei Subtypen: BA.1 und BA.2. Ebenfalls überraschend unterläuft Omikron weitgehend jeden Immunschutz und führte zu einem rasanten Anstieg der Fallzahlen, während auf der anderen Seite seine pathogenen Eigenschaften im Vergleich zu Delta deutlich weniger ausgeprägt scheinen. Fürchtete man vor einem Jahr noch bei einer Inzidenz von 265 die Schulen schließen zu müssen, diskutiert man im März 2022 bei einer Inzidenz von über 1.700 über „Freedom-Day“-Termine.

Doch jetzt überrascht das Virus einige Wissenschaftler erneut. Mit der neu aufgenommenen Variante unter Beobachtung (VUM), die offiziell den Namen XD (in der Pango-Nomenklatur) oder auch „Recombinant AY.4 x BA.1“ trägt und vielen bereits besser unter „Deltakron“ bekannt ist, steht ein Hybride neu in der Liste der als wichtig erachteten Varianten.

Damit zeigt SARS-CoV-2, dass es nicht nur in der Lage ist, neue Varianten durch Mutation in Form eines Gendrifts hervorzubringen, sondern auch den Mechanismus des Genshifts beherrscht, bei dem ganze Gruppen von Genen ausgetauscht werden. Gut bekannt ist der Mechanismus etwa von Influenza-Viren. Infizieren dort zwei verschiedene Influenza-Viren eine Zelle, tauschen sich weitgehend zufällig Teile des in acht Segmente gegliederten Genoms der Influenza-Viren aus, und neue sogenannten Reassortanten entstehen, mit Eigenschaften der beiden ursprünglichen Viren. Nun haben Influenza-Viren allerdings von Natur aus ein gegliedertes Genom, das diesen Mechanismus des Neuzusammenstellens befördert.

Homologe Rekombination zwischen Varianten – entscheidende Erkenntnis?

Coronaviren wie das SARS-CoV-2 besitzen ein rund 30.000 Nukleotide umfassendes einzelsträngiges positives RNA-Genom (ss-RNA (+)). Um eine Rekombinante wie XD aka Deltakron entstehen zu lassen, müssen zum einen ein Delta- und ein Omikronvirus die gleiche Zelle infizieren, außerdem müssen bei der Vervielfältigung der Genom-RNA durch die viruseigene RNA-Polymerase sich die Genome sinnvoll zu einem neuen Strang spontan homolog rekombinieren. Dass Coronaviren diese Eigenschaft zur homologen Rekombination besitzen, ist durchaus bekannt. Das Robert Koch-Institut (RKI) verweist in seiner Übersicht darauf. Der Mechanismus spielt etwa eine Rolle beim Übergang zwischen verschiedenen Tierarten und/oder dem Menschen.

Dass es aber auch zwischen den einzelnen Varianten und Subtypen von SARS-CoV-2 viel öfter zu Rekombinationsereignissen kommt als bislang vermutet, wird erst allmählich klar. Unter anderem chinesische Forscher konnten das jetzt zeigen. Co-Infektion und nachfolgende Gen-Rekombination etwa zwischen den Omikron-Subtypen BA.1 und BA.2 sowie zwischen zahlreichen anderen Varianten spielen ihrer Meinung nach eine sogar entscheidende Rolle bei der Pandemie, schreiben sie.

Bislang nur wenige Deltakron-Fälle

Dabei ist es nicht ganz einfach, die rekombinanten Varianten problemlos nachzuweisen. So hatten bereits Anfang des Jahres zypriotische Forscher erklärt, eine Deltakron-Variante gefunden zu haben. Da sie aber eine Kontamination ihrer Proben nicht ausschließen konnten, zogen sie ihre Veröffentlichung wieder zurück. Die nun neu in die Liste der VUMs aufgenommene XD-Variante fanden französische Forscher erstmals in Südfrankreich in drei Fällen. Erst vor kurzem veröffentlichten sie ihre Arbeit, bei der sie die Rekombinante als „Deltamikron“ bezeichneten. Die WHO führt die Variante als XD. 

XD trage das Spike-Protein von Omikron mit seinen immunevasiven Eigenschaften und im Übrigen die Gene der deutlich pathogeneren Variante Delta, so die französischen Forscher. Bislang fanden sich Infektionen mit Deltakron-Hybriden beispielsweise in Dänemark, Großbritannien, den USA und anderen Ländern. Noch ist aber nicht bekannt, ob die genetische Kombination auch wie manche befürchten zu einer analogen Kombination der Eigenschaften führt – also einer Kontagiosität (Ansteckungsfähigkeit) wie Omikron und einer krankmachenden Eigenschaft (Pathogenität) wie Delta. In Deutschland gebe es stand März 2022 einen Fall, erklärte das RKI gegenüber dem Tagesspiegel. 

XF – andere Linie in Großbritannien

Darüber hinaus ist nicht ganz klar, ob alle bisher gefunden Fälle auf eine generelle Weitergabe eines rekombinierten Virus „Deltakron“ zurückgehen oder ob es mehrere unabhängige Rekombinationsereignisse in doppelt infizierten Patienten gegeben hat. Zumindest für Großbritannien geht man von einer anderen Linie aus, die das Europäische Zentrum für Seuchenkontrolle (ECDC) als Recombinant AY.4.2.2 x BA.1.1 führt. Ein anderer Name ist XF. Beide Varianten sollen bereits seit Januar in Frankreich beziehungsweise Großbritannien kursieren.

Die gesamten Fallzahlen der „Deltakrons“ fallen allerdings bislang nicht ins Gewicht, und auch darüber, welche Eigenschaften das Virus zeigt, ist bislang vieles eher unklar. Forscher, wie der ehemalige Leiter der COVID-19-Genominitiative des „Wellcome Trust Sanger Instituts“ in Großbritannien, Jeffrey Barrett, bezeichnen die Rekombinante als „nicht viel mehr als eine wissenschaftliche Kuriosität“. Das erklärte er gegenüber der britischen Tageszeitung Guardian

Insgesamt gehen Forscher und praktizierende Mediziner aber davon aus, dass es weitere Varianten entweder durch Mutation oder durch Rekombination geben wird und sich von den aktuellen Eigenschaften der dominierenden Omikron-Variante nicht auf einen überwiegend ähnlich milden Verlauf auch zukünftiger Varianten schließen lasse. Das unterliegt naturgemäß einem zufälligen evolutionären Faktor.

Die Variante B.1.640 und umstrittene Forscher aus Frankreich

Im Übrigen gibt es neben den beiden VOC Delta und Omikron unter den für die WHO bemerkenswerten Varianten noch einen weiteren Vertreter. In der Liste der VUM findet sich neben XD noch die Variante B.1.640, welche im Januar Schlagzeilen machte und sich ebenfalls in Frankreich fand – bei Reisenden aus Kamerun.

Sowohl XD als auch B.1.640 sind in jedem Fall in die Listung der WHO der Varianten unter Beobachtung aufgenommen. Jedoch ist bemerkenswert, dass hinter beiden Veröffentlichungen auf dem nicht Peer-reviewten Medrxiv-Portal die gleichen umstrittenen französischen Forscher-Teams stecken. Insbesondere der an den Arbeiten zu „Deltamikron“ und „B.1.640“ beteiligte Forscher Didier Raoult gilt als umstritten, wie das Faktenfinder-Team der Tagesschau bereits im Januar nach der B.1.640-Aufregung festgehalten hatte: Der Forscher genießt demnach insbesondere unter Corona-Leugnern „Kult-Status“ und hat besonders im Zusammenhang mit COVID-19 etliches an zweifelhafter Forschung auch an Patienten fabriziert. Unter anderem verabreichte er das vorgeblich als COVID-19-Mittel wirksame Malaria-Medikament Hydroxychloroquin.

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Bleibt also festzuhalten: SARS-CoV-2 ändert sich auf vielfältige Art und Weise, sowohl durch Mutation als auch durch Rekombination. Aktuell scheint „Deltakron“ keine besondere zusätzliche Gefahr darzustellen, und Omikron beherrscht noch mit seinen Subtypen BA.1 und BA.2 das Pandemiegeschehen. (Wahrscheinlich wird der noch etwas ansteckendere BA.2-Typ bald BA.1 verdrängen, vermuten Forscher). In Zukunft dürften aber neue Varianten – ob durch Mutation oder Rekombination – mit neuen Eigenschaften auftreten.



Volker Budinger, Diplom-Biologe, freier Journalist
redaktion@daz.online


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