Neuer Gesundheitskiosk in Aachen

Beratung, für die beim Arzt die Zeit fehlt

Marseille - 17.03.2022, 09:15 Uhr

Im Gesundheitskiosk in Hamburg bekommen Menschen kostenlos eine gesundheitliche Beratung. (Foto: picture alliance / Daniel Reinhardt/dpa | Daniel Reinhardt)

Im Gesundheitskiosk in Hamburg bekommen Menschen kostenlos eine gesundheitliche Beratung. (Foto: picture alliance / Daniel Reinhardt/dpa | Daniel Reinhardt)


In Aachen wird am 1. April ein Gesundheitskiosk eröffnet: Dort soll es umfassende Beratung zu medizinischen Fragen geben, für die beim Arzt oft die Zeit fehlt. In Hamburg wird das Konzept bereits seit 2017 umgesetzt. Während man in Hamburg noch nach Wegen für die Zusammenarbeit mit Apotheken sucht, hat das zuständige Amt in Aachen dafür bereits grünes Licht gegeben.

Alexander Fischer ist Geschäftsführer der Gesundheitskioske in den Hamburger Bezirken Billstedt und Horn. Es gebe in diesen Stadtteilen weniger Ärzte und gleichzeitig mehr Kranke als anderswo. „Das liegt daran, dass Armut einfach krank macht, sie sorgt für ungesunde Arbeits- und Lebensbedingungen.“ Zudem führten sprachliche und kulturelle Hürden dazu, dass medizinische Hilfe weniger in Anspruch genommen wird. Daher werde genau hier ein Beratungsangebot benötigt: „In bestimmten Vierteln muss man sich etwas einfallen lassen, um den Zugang zur Versorgung zu verbessern.“

Getragen wird das Projekt der Gesundheitskioske in Billstedt und Horn von den Krankenkassen AOK Rheinland/Hamburg, der Barmer, der DAK Gesundheit, der Techniker Krankenkasse und der Mobil Betriebskrankenkasse. Etwa 85 Prozent der Anwohner sind in einer dieser Kassen versichert und können die Leistungen der Kioske in Anspruch nehmen. Die meisten Menschen werden von ihrem Arzt dorthin überwiesen, sie können einen Kiosk aber auch eigenständig aufsuchen. Wer an der Versorgung im Gesundheitskiosk teilnehmen möchte, muss außerdem eine Teilnahmeerklärung unterschreiben und erklärt sich damit einverstanden, dass Gesundheitsdaten erfasst werden.

Beratungsangebot in verschiedenen Sprachen

Die Beratung wird von examinierten Pflegekräften übernommen. Bei deren Auswahl wurde darauf geachtet, dass sie möglichst aus ähnlichen Kulturkreisen wie die Anwohner kommen und deren Muttersprache sprechen: Gesundheitsberatungen werden nicht nur auf Deutsch und Englisch, sondern auch auf Polnisch, Russisch oder Türkisch angeboten.

Die Beratung im Kiosk soll Ratsuchenden unter anderem dabei helfen, chronische Krankheiten wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Leiden besser zu verstehen, unentdeckte Krankheiten zu bemerken und es sollen den Betroffenen Gesundheitstipps für den Alltag vermittelt werden. Beratungsbedarf gebe es zu ganz unterschiedlichen Fragen, sagt Fischer. „Manche möchten vielleicht einfach wissen, wie ihr Asthma-Inhalator richtige funktioniert. Ärzte überweisen aber auch Patienten für eine ausführliche Aufklärung über eine Insulinbehandlung zu uns oder für eine Ernährungsberatung bei Adipositas.“ Eine Frau habe zum Beispiel auch nur deshalb regelmäßig den Gesundheitskiosk aufgesucht, um sich zu wiegen.

Auch Medikamente werden erfasst

Erfasst wird im Gesundheitskiosk auch, welche Medikamente die Ratsuchenden einnehmen: Gemeinsam wird eine Liste erstellt, die diese dann ihrem Arzt vorlegen sollen. Fischer fände es schön, bei der Beratung zu Medikamenten mit Apotheken in den Stadtteilen zu kooperieren. Bis jetzt gab es aber noch keine Einigung darüber, wie genau die Zusammenarbeit gestaltet werden kann.

Das Angebot im Gesundheitskiosk geht über eine medizinische Beratung hinaus: „Wir verstehen uns als Schnittstelle zwischen sozialer Arbeit und Gesundheitsleistung“, sagt Geschäftsführer Fischer. Im Kiosk werden Gesundheitskurse und Herzsportgruppen angeboten, wenn jemand einsam ist, wird aber auch zum Beispiel auch der Kontakt zu Nachbarschaftstreffs vermittelt.

Das Hamburg Center for Health Economics (HCHE) der Universität Hamburg hat 2021 einen Evaluationsbericht des Projekts veröffentlicht. Bei der Evaluation habe sich gezeigt, dass die Menschen im Viertel öfter zum Arzt gingen und seltener im Krankenhaus behandelt werden mussten, seit es die Kioske gibt, sagt Fischer. Die Verfasser des Evaluationsberichts kamen zu dem Schluss, dass die Kioske den Zugang zur Gesundheitsversorgung verbessert hatten und empfahlen, das Angebot in die Regelversorgung aufzunehmen. Der Innovationsausschuss beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) hatte das Projekt gefördert und unterstützte die Forderung im Februar dieses Jahres.

Apotheken als Partner gesucht

Die AOK Rheinland/Hamburg, die auch das Projekt in Hamburg initiiert hatte, will nun in Aachen den nächsten Gesundheitskiosk eröffnen und auch dort noch weitere Versicherungen mit ins Boot holen. Die Eröffnung ist für den 1. April geplant. Das Angebot wird ähnlich wie in Hamburg aus einer Beratung in mehreren Sprachen bestehen.

Es werde aber auch Unterschiede zum Hamburger Modell geben, sagt Elif Tunay-Çot, Leiterin der neuen Einrichtung in Aachen: „In Hamburg werden die meisten Menschen von ihren Ärzten dorthin überwiesen. Zu uns sollen die Menschen zum Beispiel über die Schulsozialarbeit, das Integrationszentrum oder die Elternstelle vermittelt werden.“ So spiele die Beratung von Eltern bei dem Projekt eine wichtige Rolle, sagt Tunay-Çot: „Schließlich fängt ein gesundes Ernährungs- und Bewegungsverhalten in der Kindheit an.“

Mobile Beratung durch Apotheker?

Der Gesundheitskiosk ist gut sichtbar am Eingang im Gesundheitsamt der Städteregion Aachen untergebracht, die das Projekt unterstützt. Das ermöglicht einen guten Kontakt zu anderen Abteilungen des Amtes. Außerdem wird es einen Bus geben, der in der Nähe von Einkaufstraßen stehen und ohne Termin Beratung anbieten soll.

Für den Kiosk in Aachen sollen auch Apotheken als Kooperationspartner gewonnen werden, sagt Tunay-Çot. „Apotheker könnten zum Beispiel im Bus mitfahren und Menschen  über Medikamente aufklären.“ Die Abteilung für Apothekenwesen im Gesundheitsamt hat bereits eine Zusammenarbeit zugesagt.



Irene Habich, Autorin DAZ.online
redaktion@daz.online


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