Krieg und internationale Forschung

Ukraine-Krieg: Sorge um globale Folgen für die Forschung

Düsseldorf - 15.03.2022, 10:45 Uhr

Der Angriffskrieg des russischen Machthabers Wladimir Putin auf die Ukraine hat Auswirkungen auf die Forschung – nicht nur die pharmazeutische. (Foto: IMAGO / ZUMA Wire)

Der Angriffskrieg des russischen Machthabers Wladimir Putin auf die Ukraine hat Auswirkungen auf die Forschung – nicht nur die pharmazeutische. (Foto: IMAGO / ZUMA Wire)


Der Überfall des russischen Machthabers Wladimir Putin auf die Ukraine hat Folgen für die internationale Forschung. Unter anderem sind unmittelbar oder indirekt mehrere hundert klinische Studien in der Ukraine und in Russland betroffen – sodass sich Wirkstoff-Zulassungen verzögern werden. Unter anderem der deutsche Arbeitskreis Medizinischer Ethik-Kommissionen AKEK hat dazu jetzt Stellung bezogen und fordert Konsequenzen.

Etwa 300 bis 400 klinische Studien mit Patienten und Probanden aus den jeweiligen Ländern laufen derzeit – noch – in der Ukraine und in Russland. Beteiligt sind daran etliche Gesundheitseinrichtungen und Forschungsinstitute sowie etliche große Pharmaunternehmen aus der ganzen Welt. „Da diese Studien sich mehrheitlich in der späten Studien-Phase III befinden, verzögert sich durch eine Unterbrechung dieser Studien auch die Zulassung der neuen Medikamente, mit unter Umständen globalen Folgen“, so erklärte es jetzt der Arbeitskreis Medizinischer Ethik-Kommissionen (AKEK) in einer Mitteilung sowie in einem Brief an all seine Mitglieder.

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Allein in der Ukraine seien mehr als 200 klinische Studien in über 2.500 Forschungs- und Gesundheitseinrichtungen betroffen. Rund 251 Wirkstoffe und medizinische Geräte werden laut dem Branchenportal Fierce Biotech aktuell in der Ukraine erprobt. 

Der Angriffskrieg des russischen Machthabers Wladimir Putin auf die Ukraine hat damit auch Auswirkungen auf die Forschung – nicht nur die pharmazeutische. Während in der Ukraine unter anderem wohl durch den Beschuss zahlreicher Gesundheitseinrichtungen und Krankenhäuser etwa in der Hauptstadt Kiew und anderen großen Städten des Landes an eine Durchführung klinischer Studien erstmal wahrscheinlich niemand einen Gedanken verwendet, ist das Problem bei Studien in Russland anderer Natur.

Immer mehr Forschungskooperationen abgebrochen

Immer mehr freie und öffentliche Forschungseinrichtungen brechen Kooperationen mit russischen Instituten ab, und immer mehr Unternehmen ziehen sich aus Russland zurück. Zwar hatten Berichten zufolge mehrere größere Pharmaunternehmen unter anderem wegen ihres Engagements in Studien noch gezögert, sich aus Russland zurückzuziehen, doch werden sie dies möglicherweise in der kommenden Zeit auch tun. Zwar sind Arzneimittel von den Sanktionen gegen Russland gemäß internationaler Handelsgesetze ausgenommen – der mögliche politische Druck könnte aber wohl zunehmen. Im Falle der wissenschaftlichen Forschung kam der unter anderem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung – damit „deutsche Forschungsgelder Russland nicht mehr zugutekommen“. 

Viele Pharmafirmen zögern noch mit einem Rückzug aus Russland 

Einige Firmen wie etwa Stada haben in ihr Russland-Geschäft in den vergangenen Jahren allerdings auch große Summen investiert. Im Falle von Stada wird von einer Milliarde Euro gesprochen. Trotz der aktuell schwierigen Situation und eines zunehmenden russischen Protektionismus auf dem Pharmamarkt, wie ihn etwa das Handelsblatt in einem Bericht beschreibt, gibt es daher wirtschaftliche und wirtschaftlich-wissenschaftliche Gründe, am Russland-Engagement festzuhalten. Das Branchenmagazin Laborjournal online hat etwa zusammengetragen, dass sich auch etliche größere Pharmaunternehmen wie GlaxoSmithKline, Roche oder Johnson&Johnson etwa noch nicht einem Aufruf zum Anschluss an die internationalen Sanktionen angeschlossen hätten, insbesondere um ihr Studien-Engagement aufrechtzuerhalten. Viele kleinere Unternehmen aus dem Pharmasektor dagegen schon. 

Etliche Pharma-Unternehmen und Verbände verurteilen das russische Vorgehen

Auf der anderen Seite haben sich gerade erst etliche auch große Pharmaunternehmen eindeutig verurteilend gegen Russland als Aggressor positioniert und spenden für die Ukraine Arzneimittel und Geld – wie der Europäische Verband der Pharmazeutischen Industrie jetzt erklärte. Unter Umständen schränkt diese Positionierung wohl in Zukunft die Möglichkeit ein, sich überhaupt noch wirtschaftlich oder wissenschaftlich in Russland zu betätigen. 
Am Ukraine-Engagement halten die Unternehmen dagegen unter anderem mit Notfall-Plänen fest – auch wenn die Sicherheit der Mitarbeiter aktuell im Vordergrund stehe.

Russische Forschende verurteilen das Vorgehen des russischen Machthabers

Seitens der russischen Wissenschaftsgemeinde gibt es allerdings offensichtlich keine breite Unterstützung für den Kurs ihres Staatsoberhaupts – abgesehen von Statements etwa der Universität Moskau und anderen. In einem offenen Brief hatten kurz nach der russischen Invasion russische Wissenschaftler das Vorgehen Putins verurteilt. Nach der Verschärfung der Gesetze und der massiven Beschneidung der Presse- und Medienfreiheit in Russland, könnte das allerdings auch Konsequenzen für die Forschenden haben.

Ukrainische Wissenschaftler fürchten unterdessen nun wohl neben ihrer wissenschaftlichen Arbeit auch um ihr Leben, wie das Magazin Spektrum berichtet. An Forschung ist dort derzeit offensichtlich nicht zu denken. 

Insgesamt sind Studien und Forschungsvorhaben, die zu wesentlichen Teilen in der Ukraine oder Russland stattfinden, damit gefährdet, ergebnislos abgebrochen zu werden. So umstritten überhaupt viele der klinischen Studien zum Teil in diesen – wirtschaftlich betrachtet – Schwellenländern sind, fürchtet nun unter anderem die AKEK, dass es gravierende Auswirkungen für die Welt haben wird, wenn etliche Wirkstoffe nun nicht oder viel später eine Zulassung erhalten können. 

Maßnahmen gefordert, um Fortführung klinischer Studien sicherzustellen

Der Vorstand des AKEK habe sich daher in dem Mitgliederbrief an alle Ethik-Kommissionen gewandt, „um einen Beitrag zur Sicherung der ordnungsgemäßen Weiterführung laufender Klinischer Studien unter Beteiligung der Ukraine/Russland zu leisten“. Man müsse aktive Maßnahmen ergreifen, um die Folgen abzufedern, zitiert das Ärzteblatt den Vorsitzenden der AKEK, Georg Schmidt. 
Die AKEK habe sich gemeinsam mit dem Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V. (BPI), dem Bundesverband Medizinischer Auftragsinstitute e. V. (BVMA) und dem Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V. (vfa) verständigt und notwendige Maßnahmen benannt, um die Fortführung Klinischer Studien im Rahmen der derzeitigen Krise in der Ukraine sicherzustellen, hieß es seitens der AKEK.

Unter solche Maßnahmen fielen etwa Änderungen im Studien-Ablauf auf EU-Ebene, die notwendig seien, um die Studien abzuschließen. „Es müssen mehr Patienten in den europäischen Studienzentren eingeschlossen, die Laufzeiten der Studien verlängert und gegebenenfalls bereits geschlossene Studienzentren reaktiviert werden“, so die AKEK. 

Abgesehen davon sei man „erschrocken von den Entwicklungen in der Ukraine und der humanitären Katastrophe“, zitiert das Ärzteblatt Schmidt. Auch BPI-Vorsitzender Hans-Georg Feldmeier erklärte vor kurzem, man verurteile den Bruch des internationalen Rechts durch Russland aufs Schärfste.



Volker Budinger, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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