Darmsanierung

Hefezellen oder Laktobazillen – oder nichts von beidem?

Waren (Müritz) - 11.03.2022, 07:00 Uhr

Heilpraktiker richten die sogenannte Darmsanierung gern nach den Ergebnissen einer Stuhlprobe und suggerieren damit eine gezielte Therapie. (x / Bild: T. L. Furrer / AdobeStock)

Heilpraktiker richten die sogenannte Darmsanierung gern nach den Ergebnissen einer Stuhlprobe und suggerieren damit eine gezielte Therapie. (x / Bild: T. L. Furrer / AdobeStock)


Dass die Darmgesundheit maßgeblich zum Wohlbefinden beiträgt, ist kein Geheimnis – wie genau man sie beeinflussen kann, dagegen schon. Eine Hypothese besagt, dass Beschwerden wie Blähungen, Bauchschmerzen, Durchfall oder Verstopfung Folge einer aus dem Gleichgewicht geratenen Darmflora sein können, insbesondere wenn ihnen eine Antibiose vorausgegangen ist. Durch die Gabe von „guten“ Mikroorganismen sollen „schlechte“ Keime verdrängt werden. 

Heilpraktiker richten die sogenannte Darmsanierung gern nach den Ergebnissen einer Stuhlprobe und suggerieren damit eine gezielte Therapie. Hierzu steht eine breite Palette von Präparaten auf Basis von Hefezellen und Milchsäurebakterien bereit. Was gilt als belegt, was ist Wunschdenken und was sagt ein Gastroenterologe zu alledem?

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Unter Darmsanierung versteht man den Wiederaufbau einer gestörten Darmflora. Patienten, die in der Apotheke danach fragen, leiden oft unter unspezifischen Magen-Darm-Beschwerden und Unwohlsein. Nicht wenige erkundigen sich schon beim Einlösen einer Antibiotika-Verordnung nach einer wirksamen Maßnahme, wie der Darm und seine physiologischen Bewohner vor dem antimikrobiellen Angriff geschützt werden können. Die Auswahl an Probiotika ist groß und immer mehr Hersteller werben mittlerweile damit, ihr Präparat „nach jeder Antibiose“ einzunehmen. Hier lohnt sich ein prüfender Blick auf den aktuellen Kenntnisstand.

Das gilt als erwiesen

Die Wirksamkeit von Probiotika wurde in mehreren Metaanalysen und systematischen Übersichtsarbeiten sowie prospektiven randomisiert-kontrollierten Studien untersucht. Einen guten Überblick über die verfügbare Evidenz zum Thema liefert die S3-Leitlinie Reizdarmsyndrom (RDS), die im Juni 2021 ein Update erfahren hat. Folgende Stämme von Mikroorganismen zeigten im Zusammenhang mit RDS positive Effekte: 

bei abdominellen Schmerzen und Blähungen:

  • Bifidobacterium infantis 35624 (z. B. in Alflorex® Inbiotys)
  • Lactobacillus plantarum 299v (DSM 9843) (z. B. in Innovall® RDS)
  • Lactobacillus acidophilus NCFM (z. B. in Probielle®Pro-A)
  • Saccharomyces cerevisiae (z. B. in Perenterol®)

bei prädominierender Diarrhoe:

  • Bifidobacterium longum NCC3001 (z. B. Pascoflorin® sensitiv)
  • Lactobacillus brevis KB 290
  • Bacillus coagulans MTCC 5856

bei prädominierender Obstipation:

  • Bifidobacterium animalis DN173010 (z. B. in Activia®)
  • Lactobacillus reuteri (DSM 17938) (z. B. in BiGaia®)

bei Stuhlunregelmäßigkeiten:

  • Bifidobacterium bifidum MIMBb75 (z. B. in Kijimea® Reizdarm Pro)
  • Lactobacillus gasseri CP2305 (z. B. in Omniflora® N)
  • Escherichia coli (DSM 17252) (z. B. in Symbioflor® 2)

Die Studien unterscheiden sich in ihrer Qualität. Die Gruppe der untersuchten Mikroorganismen ist sehr heterogen, sodass eine Vergleichbarkeit untereinander kaum möglich ist. Unter den genannten Präparate-Beispielen sind Arzneimittel ebenso zu finden wie Medizinprodukte, Nahrungsergänzungsmittel und Lebensmittel. 

Zudem lässt sich eine Wirkung bei Colon irritabile nicht ohne Weiteres für alle unspezifischen Magen-Darm-Beschwerden verallgemeinern, das beweist das Beispiel Symbioflor® 2: Durfte das Arzneimittel früher noch zur Behandlung „funktionaler gastrointestinaler Störungen“ eingesetzt werden, muss das Anwendungsgebiet auf Geheiß des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) heute klar definiert sein und umfasst offiziell nur noch das Reizdarmsyndrom. Es gibt keine Studien, die eine gezielte Darmsanierung mit der Symbioflor-Produktreihe nach Antibiose untersucht haben. Dennoch kann deren Einsatz im Anschluss sinnvoll sein, sagt der Hersteller. Andere Unternehmen bewerben ihre Produkte aggressiver mit dem Hinweis „zu jedem Antibiotikum“. Eine derartige Empfehlung ist aufgrund der unzureichenden Studienlage äußerst umstritten.

Bisher gibt es lediglich einige vage Hinweise. So beschäftigt sich ein Cochrane-Review aus dem Jahr 2019 explizit mit der Frage, ob Probiotika bei Kindern eine Antibiotika-induzierte Diarrhoe verhindern können. Das Ergebnis: Während in der mit Probiotika behandelten Gruppe bei 8 Prozent der Kinder betroffen waren, waren es in der Kontrollgruppe 19 Prozent. Als am geeignetsten kristallisierten sich Lactobacillus rhamnosus und Saccharomyces boulardii in einer Dosierung von 5 bis 40 Milliarden KBE/Tag heraus. Doch es bleiben mehr Fragen als Antworten.

Das ist noch umstritten

Noch immer tappt man im Dunkeln, welche Probiotika das Mikrobiom auf welche Weise verändern können und wie man sie zu Korrekturen nutzen kann – jedenfalls nach derzeit geltenden wissenschaftlichen Maßstäben. Auf eine Darmsanierung spezialisierte Behandler berufen sich als Rationale für die Therapie auf Stuhlanalysen. Im Labor soll festgestellt werden, welche Darmbakterien fehlen und welche drohen, überzuwuchern. 

Probiotika sollen das Gleichgewicht wiederherstellen. Für einen scheinbar gezielten Einsatz bestimmter Stämme fehlt aber nach wie vor die wissenschaftliche Grundlage, kritisieren Schulmediziner. Die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) riet im Jahr 2018 ausdrücklich von der Bestimmung des Darm-Mikrobioms zur Ableitung von Ernährungs- und Handlungsempfehlungen ab, mit der Begründung: „teuer und sinnlos“. Die bakterielle Zusammensetzung der Darmflora könne individuell höchst unterschiedlich ausfallen und korreliert nicht unbedingt mit eventuellen Krankheitssymptomen. Davon unberührt bleibt die Notwendigkeit von Stuhltests im Rahmen der Darmkrebsvorsorge oder Diagnostik einzelner pathogener Erreger wie Clostridium difficile.

Eine Darmsanierung in Form einer Kur mit den Teilschritten „Darmreinigung“ – „Förderung der Verdauung durch Präbiotika“ – „Wiederaufbau mit Probiotika“, wie sie in der Alternativmedizin propagiert wird, entbehrt jeglicher wissenschaftlichen Grundlage und kann im Selbstversuch sogar gefährlich werden. 

Das sind die Gefahren

Eine „Spülung“ des Darms ist definitiv nicht nötig, außer es handelt sich um die Vorbereitung einer Darmspiegelung. Der Darm reinigt sich selbst. Nur bei echten Vergiftungen, beispielsweise einer Überdosierung von Arzneimitteln, braucht er Hilfe von außen. Für die Sinnhaftigkeit einer Detox-Kur zur Entfernung von Schwermetallen und Co. findet sich kein einziger wissenschaftlicher Beweis. Auf der anderen Seite kann die nicht indizierte Anwendung von Abführmitteln zu Elektrolytverlusten und Mangelernährung führen.

Bei einem „Wiederaufbau“ der Darmflora darf nicht vergessen werden, dass es sich bei Probiotika um lebensfähige Mikroorganismen handelt. Im Raum stehen deshalb nicht nur die Fragen, ob und wie Probiotika den Darm „sanieren“ können, sondern auch, wie sicher diese Methode ist. Eine israelische Arbeitsgruppe ließ 2018 jedenfalls Zweifel an der Idee aufkommen. In ihren Untersuchungen verzögerte die Anwendung von Probiotika sogar die Regeneration der Darmflora, statt sie zu fördern. Die Forscher schlossen daraus, dass eine ungezielte Gabe von Probiotika den meisten Patienten nicht nützt und vielleicht sogar schaden kann.

Hinreichend bekannt ist, dass Probiotika den Verlauf einer Pankreatitis ungünstig beeinflussen können und sie deshalb nicht bei Patienten mit schweren abdominellen Entzündungen zum Einsatz kommen sollten. Vorsicht ist insbesondere auch bei immungestörten Patienten geboten. Die Arzneihefe Saccharomyces boulardii kann bei schwerkranken oder abwehrgeschwächten Patienten systemische Pilzinfektionen auslösen. Kontraindikationen bestehen auch bei bekannten Allergien gegen Hefen und für Patienten mit Venenkatheter.

Das sagt der Gastroenterologe

Fazit: Dem Patienten bei der Abgabe eines Antibiotikums gleich ein Probiotikum mitzugeben, kann basierend auf dem aktuellen Kenntnisstand nicht empfohlen werden. Den Wunsch der Kunden nach einer Darmsanierung mag das nicht unbedingt bremsen. Kann man ihm ruhigen Gewissens nachgeben? Oder um die strenge Evidenzfrage zu umgehen: Würden vielleicht schon probiotische Nahrungsmittel helfen? 

Wir baten die DGVS um ein Statement. In ihrem Namen antwortete Professor Stefan Lüth, Klinikdirektor Zentrum für Innere Medizin II, Universitätsklinikum Bandenburg an der Havel: „Die Annahme, dass mit Probiotika eine Darmsanierung erfolgreich gelingen kann, ist weit verbreitet, wird von der Industrie auch geschickt beworben, ist aber leider grundsätzlich falsch. Daher spricht auch nichts für eine Darmsanierung mit Probiotika nach Antibiotika-Einnahme.“ 

Gefahren sieht der Gastroenterologe insbesondere bei Probiotika aus dem Supermarkt. „Wir wissen, dass Probiotika in Form von bestimmten Joghurtdrinks sogar eine erhöhte Sterblichkeit bei Patienten z. B. mit Bauchspeicheldrüsenentzündung zur Folge haben können. Sie sind also bei sehr kranken Patienten in jedem Fall kontraindiziert.“ Bakterien, die in Joghurt oder höher verarbeiteten Joghurt-Drinks vorkommen, darunter milchsäurespaltende Bakterien (Laktobazillen), spielen vor allem eine Rolle bei Säuglingen, sollten aber im Erwachsenenalter nicht mit einer häufig von der Werbung beschworenen verbesserten Immunitätslage des Darms vergesellschaftet werden, lautet das Urteil von Lüth. „Mitnichten wird das Immunsystem dadurch gestärkt. Die Anwesenheit solcher Bakterien im Darm beim Erwachsenen ist in der Regel überflüssig, wenn man sich nicht nahezu ausschließlich von (Mutter-)Milch ernährt.“

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Für die Präparate aus der Apotheke gibt es nach Lüth immerhin belegte Indikationen: „Bestimmte Bakterien, z. B. E. coli-Stämme, haben aber gezeigt, dass sie leichte chronische Darmentzündungen [z.B. Colitis ulcerosa, Anm.d.R.] im Einzelfall günstig beeinflussen können.“ Derartige Arzneimittel sollten aber gezielt nach Empfehlung eines Arztes eingenommen werden, keinesfalls zur Verwendung nach einer Antibiose. „Das Mikrobiom ist nach einer Antibiotika-Therapie im Darm häufig schwer erschüttert, regeneriert sich aber innerhalb von zwei Tagen in der Regel vollständig.“ Zu erklären sei dies mit der hohen Teilungspotenz der Bakterien, so hat E. coli eine Verdopplungsrate von 20 Minuten.

Lüth rät von einer Darmsanierung während oder nach einer Antibiose ab: „Die Wahrscheinlichkeit, seine eigenen Darmbakterien ungünstig zu beeinflussen, ist durch Probiotika-Einnahme im Erwachsenenalter höher als durch das Weglassen solcher Nahrungsergänzungsmittel bzw. ,Medikamente‘. Umgekehrt kann man aber sagen, dass der gesunde, nicht geschädigte Darm im Erwachsenenalter Probiotika in der Regel verkraften kann.“

Für Patienten bedeutet das, die Antibiose erst einmal abzuwarten, auf keinen Fall eigenmächtig abzusetzen und eventuelle Symptome zu beobachten. Leichte gastrointestinale Beschwerden sind in der Regel selbstlimitierend. Zubereitungen zur oralen Rehydratation können empfohlen werden. Tritt schwerer Durchfall auf, sind sowohl Loperamid als auch Racecadotril kontraindiziert. Die Behandlung gehört dann in jedem Fall in ärztliche Hände.

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Rika Rausch, Apothekerin
redaktion@daz.online


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