So funktioniert die „Notapotheke der Welt“

Weshalb private Arzneimittelspenden kontraproduktiv sind

Stuttgart - 03.03.2022, 17:50 Uhr

Aktion Medeor sitzt im m niederrheinischen Tönisvorst . Die Organisation ist vor allem auf Geldspenden angewiesen. (c / Foto: Action Medeor e.V.)

Aktion Medeor sitzt im m niederrheinischen Tönisvorst . Die Organisation ist vor allem auf Geldspenden angewiesen. (c / Foto: Action Medeor e.V.)


Seit fast 60 Jahren versorgt Action Medeor Menschen in Not mit Arzneimitteln und Medizinprodukten – so aktuell auch in der Ukraine. Ging es in den Anfangsjahren noch tatsächlich um private Arzneimittelspenden, die in die jeweiligen Krisenregionen verbracht wurden, hat sich das Konzept der Hilfsorganisation inzwischen sehr verändert. Europas größtes Medikamentenhilfswerk mit Sitz im niederrheinischen Tönisvorst ist sowohl pharmazeutischer Großhändler als auch Generikahersteller. Man ist auf Spenden angewiesen, doch weshalb Arzneimittel aus Apotheken oder privaten Beständen dabei keine Rolle spielen, erklärt Dr. Markus Bremers von Action Medeor im DAZ-Interview.

Dr. Markus Bremers (Foto: action medeor e.V.)

DAZ: Herr Dr. Bremers, wie realistisch ist es, dass es Medikamentenlieferungen aktuell bis in die umkämpften Gebiete der Ukraine schaffen?

Bremers: Wenn die entsprechenden Lieferungen professionell und sorgfältig geplant und durchgeführt werden, dann ist das tatsächlich sehr realistisch. Wir von Action Medeor konnten am vergangenen Dienstag die allererste Lieferung mit Hilfsgütern realisieren. Ein LKW mit 30 Paletten erreichte ein städtisches Krankenhaus in Ternopil, einer Stadt im Westen der Ukraine. Konkret ging es um eine Lieferung von Verbandsmaterial, Spritzen, Kanülen, Pflastern und Infusionslösungen.

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Inwiefern erreicht diese Hilfe auch die ukrainischen Großstädte, aus denen seit Tagen gemeldet wird, dass neben Lebensmitteln und Trinkwasser auch Arzneimittelbestände immer knapper werden?

Auch hier sind wir sehr zuversichtlich, die Stadtbevölkerung auf direktem Weg zu unterstützen. Ausgehend von Ternopil, wo wir mit einem Partnerkrankenhaus einen Logistikstützpunkt errichten wollen, sollen ukrainische Speditionen die Auslieferungen auch in andere Regionen übernehmen. Aktuell planen wir wöchentlich mehrere Transporte.

Mit welchen Herausforderungen rechnen Sie?

Wir rechnen mit einer wachsenden Anzahl von flüchtenden Menschen, die medizinisch versorgt werden müssen. Aber auch ein Land, das sich in einem solchen Ausnahmezustand befindet, hat zollrechtliche Bestimmungen, die wir beachten und einhalten müssen. Das sind komplexe Prozesse. Nicht zuletzt benötigen wir für die Auslieferung der Hilfsgüter natürlich auch entsprechende Aufnahmekapazitäten vor Ort.

(Foto: action medeor e.V.)

Nun blicken Sie als Action Medeor auf eine fast 60-jährige Geschichte und Erfahrung zurück. Wie kommen Sie eigentlich an Arzneimittel, um diese bedarfsgerecht in die entsprechenden Erdteile zu verbringen?

Was viele nicht wissen: Wir sind ein zertifizierter pharmazeutischer Großhandel und lassen Generika von qualifizierten Herstellern in unserem Auftrag produzieren. Einige Präparate, wie Schmerzmittel, stehen uns in Großgebinden in Form von Schüttware zur Verfügung. Beides spart Kosten. Wir versorgen ja Gesundheitssysteme und Krankenhäuser weltweit. Da geht es nicht nur um die akute Nothilfe, sondern auch um langfristige Entwicklungszusammenarbeit. Im Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen vor Ort müssen wir auch immer abstimmen, welche sehr speziellen Arzneimittel der jeweiligen Länder wir bereitstellen müssen. Das lässt sich nicht verallgemeinern.

© action medeor e.V.

Die Situation in der Ukraine, gerade in den Städten Kyjiw oder Charkiw, hat verdeutlicht, wie schnell die pharmazeutische Versorgung in Gefahr sein kann, weil sich das Apothekenpersonal selbst auf der Flucht, an der Front oder in Bunkern befindet. Hier haben Sie keine lange Vorlaufzeit zur Abstimmung.

Ganz genau. Um sehr schnell in Krisenregionen helfen zu können, orientieren wir uns dann an der von der WHO veröffentlichten Liste der unentbehrlichen Arzneimittel. Vor allem geht es um Schmerzmittel, Antibiotika oder Arzneimittel bei chronischen Erkrankungen. Auch Verbandsmaterialien, medizinische Verbrauchsgüter und medizintechnische Geräte spielen eine große Rolle.

Action Medeor ist vor allem auf Geldspenden angewiesen

(Foto: Action Medeor e.V.)

Spenden Sie die gelieferten Arzneimittel oder werden diese auch mit den Kostenträgern oder den Staaten vor Ort abgerechnet?

Das ist sehr unterschiedlich. Wir spenden Arzneimittel oder geben sie zum Selbstkostenpreis ab. Bei langfristiger Entwicklungshilfe gehören die von uns ausgegeben Arzneimittelmittel und Medizinprodukte auch zur Regelversorgung des jeweiligen Landes und können abgerechnet werden. Aktuell in der Ukraine findet die Medikamentenversorgung spendenfinanziert statt.

Das heißt im Klartext: Action Medeor ist vor allem auf Geldspenden angewiesen?

Das ist richtig. Wir setzen diese Spenden unmittelbar für die betroffenen Menschen ein. 

Und was ist mit Medikamentenspenden?

Arzneimittelspenden aus der Industrie sind natürlich wichtig, die nehmen wir in großen Mengen ab, da sprechen wir über Paletten. Kleinstmengen oder Präparate, die bereits hier in Deutschland im Umlauf waren oder sind, können wir leider nicht verwerten.

Diese Auffassung scheint sich aber noch nicht allgemein durchgesetzt zu haben. Apotheken werden immer wieder mit privaten Arzneimittelspenden ihrer Kunden konfrontiert, und aktuell überlegen auch Apotheken zu spenden. Was spricht dagegen?

Im Vergleich zu dem, was uns pharmazeutische Hersteller zur Verfügung stellen können, würden Spenden von Privatpersonen oder Apotheken eher Kleinstmengen sein. Das wäre für uns organisatorisch ein sehr großer Aufwand. Aber daneben spielen vor allem zulassungs- und zollrechtliche Aspekte eine Rolle. Jede Lieferung muss mit dem Empfänger und den Behörden abgestimmt werden. Außerdem müssen wir nicht zuletzt aus Gründen der AMTS dafür Sorge tragen, dass Packungen und Beipackzettel möglichst in der jeweiligen Landessprache verfügbar sind oder in englischer Aufmachung. Sie sehen also, so groß und akut die Not auch ist: Nur eine professionelle und sorgfältige Organisation führt zu einer Medikamentenlieferung, die auch tatsächlich die notleidenden Menschen erreicht und ihnen hilft.

(Foto: Action Medeor e.V.)

Welche Unterstützung können Ihnen denn Apotheken leisten?

Die Unterstützung öffentlicher Apotheken ist uns sehr wichtig. Viele Apotheken stellen zum Beispiel eine Action-Medeor-Spendenbox auf, in die die Apotheken-Kunden ihr Wechselgeld einwerfen und spenden können. Unsere Zusammenarbeit mit dem Berufsstand endet aber nicht am HV-Tisch. Wir kooperieren auch mit Apothekerkammern und Apothekerverbänden sowie deren aufgestellten Hilfswerken.

Sind bei Ihnen auch Apothekerinnen und Apotheker aktiv?

Bei uns sind Apotheker beschäftigt, im Vorstand, im Bereich der Medikamentenhilfe und in der Qualitätssicherung. Wir beteiligen uns auch aktiv an der Ausbildung von Pharmazeuten, nicht nur in Deutschland, sondern über unsere Niederlassungen auch in Tansania und Malawi. Neben der Akuthilfe und Ausbildung bilden die Entwicklungszusammenarbeit und die humanitäre Hilfe die dritte Säule von Action Medeor.

Herr Dr. Bremers, vielen Dank für das Gespräch.

Das Deutsche Medikamenten-Hilfswerk Action Medeor

Action Medeor setzt sich nach eigenen Angaben als größtes Medikamentenhilfswerk Europas seit fast 60 Jahren für eine nachhaltige und bessere Gesundheitsversorgung der Menschen insbesondere in ärmeren Regionen ein. Hauptsitz des gemeinnützigen Vereins ist das niederrheinische Tönisvorst. Von hier aus werden jedes Jahr Gesundheitsstationen in circa 100 Ländern in Afrika, Lateinamerika und Asien mit medizinischer Hilfe versorgt. Im Not- und Katastrophenfall ist Action Medeor in der Lage, Arzneimittel, medizinisches Material und Instrumente in wenigen Stunden in das Katastrophengebiet zu schicken. Außerdem führt Action Medeor gemeinsam mit lokalen Partnern Gesundheitsprojekte in den Bereichen Prävention, Diagnostik und Therapie durch. Im Rahmen seiner pharmazeutischen Fachberatung bildet Action Medeor Gesundheitspersonal aus, richtet Forschungslabore ein und unterstützt den Aufbau von lokalen Produktionsstätten für Medikamente. Action Medeor ist Mitglied bei Aktion Deutschland Hilft, dem Bündnis renommierter deutscher Hilfsorganisationen.


Spendenkonten

Sparkasse Krefeld
BIC: SPKRDE33
IBAN: DE78 3205 0000 0000 0099 93

Volksbank Krefeld
BIC: GENODED1HTK
IBAN: DE12 3206 0362 0555 5555 55



Dr. Armin Edalat, Apotheker, Chefredakteur DAZ
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Arzneimittelspenden

von Roland Mückschel am 04.03.2022 um 9:39 Uhr

Kontraproduktiv?

Das müsst ihr den hilfsbereiten Leuten erzählen die gerade
Hilfslieferungen mit privaten Spenden für die Ukraine packen.

Ansonsten ist klar: Nur Bares ist Wahres.

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