AMK und BFS warnen

Keine Iodprophylaxe in Eigenregie

Stuttgart - 01.03.2022, 17:50 Uhr

Hochdosiertes Iod sollte nur auf explizite Anweisung der Katastrophenschutzbehörden eingenommen werden, nicht jedoch in der Selbstmedikation. (x / Foto: IMAGO / Eibner)

Hochdosiertes Iod sollte nur auf explizite Anweisung der Katastrophenschutzbehörden eingenommen werden, nicht jedoch in der Selbstmedikation. (x / Foto: IMAGO / Eibner)


Es besteht derzeit keine nukleare Gefahr für Deutschland – die AMK und das Bundesamt für Strahlenschutz raten ausdrücklich von einer Selbstmedikation mit hochdosiertem Iod ab. Ohnehin schützt eine zu frühe Iodprophylaxe nur unzureichend, auch macht radioaktives Iod nur einen Teil der schädlichen Substanzen bei nuklearen Zwischenfällen aus.

Die AMK (Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker) rät dringend von einer eigenmächtigen Iodblockade ab. „Eine Selbstmedikation birgt erhebliche gesundheitliche Risiken, hat aktuell aber keinerlei Nutzen“, erklärt die AMK. Derzeit gebe es in Deutschland keine rationale Begründung für die Einnahme hochdosierter Iodpräparate aufgrund der Situation in der Ukraine, da keine Belastung durch radioaktives Jod gegeben sei, betont die AMK

Zur Erinnerung: Russlands Präsident Wladimir Putin hatte am 27. Februar seine Atomstreitkräfte in Alarmbereitschaft versetzt. Zudem schüren Kampfhandlungen in der Ukraine, die Lager für radioaktive Abfälle in Kyjiw und Charkiw betreffen, sowie die Besetzung der Sperrzone um den verunglückten Reaktor in Tschernobyl durch russische Truppen die Angst vor nuklearen Folgen – wohl auch bereits in Deutschland. Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) geht jedoch davon aus, dass radiologische Auswirkungen auf Deutschland nach dem Stand der verfügbaren Informationen nicht zu befürchten seien, erklärte das BfS am Sonntag. Man beobachte jedoch die Situation in der Ukraine aufmerksam.

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Dennoch kocht das Thema um eine prophylaktische Iodeinnahme, um sich vor Aufnahme radioaktiven Iods zu schützen, derzeit hoch, sodass sich neben der AMK auch Wissenschaftler bemüßigt sehen, Stellung zu beziehen. Auch das BFS versucht zu verdeutlichen, für wen und wann eine Iodblockade sinnvoll ist und was auch ihre Grenzen sind.

Iod statt radioaktives Iod

Die Ratio einer hochdosierten Iodprophylaxe ist, dass bei Unfällen oder Angriffen auf Kernkraftwerke oder durch Detonation von Nuklearwaffen radioaktive Stoffe freigesetzt werden, auch Iod 131, das sodann über die Luftwege oder Nahrung und Getränke aufgenommen werden kann. Radioaktives Iod hat allerdings die gleichen chemischen und biologischen Eigenschaften wie auch normales Nahrungsiod, weswegen es in gleicher Weise in der Schilddrüse gespeichert wird und Schilddrüsenkrebs verursachen kann. Kurzum: Die Schilddrüse unterscheidet nicht zwischen Nahrungsiod und radioaktivem Iod. 

Eine hochdosierte aktive Iodeinnahme bei nuklearen Zwischenfällen soll die Schilddrüse mit Iod sättigen, sodass diese kein radioaktives Iod mehr speichern kann. Für eine solche Iodblockade sind enorme Mengen an Iod vonnöten – während man für eine Iodmangelprophylaxe Präparate im Mikrogrammbereich anwendet (z. B. Jodid Hexal 100 µg bzw. 200 µg), erfordert eine Iodblockade die bis zu tausendfache Menge, wobei nach Alter dosiert wird: In der Regel nehmen 13- bis 45-Jährige einmalig 130 mg Kaliumiodid, was 100 mg Iodid entspricht.

Vor allem Kinder und Schwangere, aber nicht für Ab-45-Jährige

Besonders wichtig, sollte eine Iodblockade erforderlich werden, ist, dass Kinder und Schwangere Iod einnehmen, da die Schilddrüse bei Kindern besonders empfindlich sei, erklärt das BfS. Bei Schwangeren soll durch die Iodblockade vornehmlich das ungeborene Baby geschützt werden, das auf die mütterliche Iodzufuhr angewiesen ist. Hingegen rät das BfS von einer Iodprophylaxe bei Ab-45-Jährigen ab. Bei ihnen überwögen die Nebenwirkungen der Hochdosisiodtherapie den Nutzen der Iodblockade mit der Intention, Schilddrüsenkrebs zu vermeiden.

Nur nach Aufforderung der Katastrophenschutzbehörde

Allerdings sollten Iodtabletten in dieser Menge „nur nach ausdrücklicher Aufforderung durch die Katastrophenschutzbehörden eingenommen werden“, erklärt das Bundesamt für Strahlenschutz und weist darauf hin, dass hochdosiertes Iod Nebenwirkungen mit sich bringt. Deswegen rät das BfS, wie auch die AMK, von der „Eigenanwendung dringend“ ab. Auch betont das BfS, dass im Fall einer erforderlichen Iodblockade sodann eine einmalige Applikation genügt. Weiteres Iod sollte nur auf Empfehlung der Strahlenschutzbehörde eingenommen werden.

Der richtige Zeitpunkt

Dass eine hochdosierte Iodprophylaxe nur auf ausdrückliches Kommando der zuständigen Katastrophenschutzbehörden erfolgen sollte, begründet sich darin, dass sowohl eine zu frühe wie auch zu späte Anwendung den maximalen Nutzen verfehlt. Bei zu früher Einnahme könne nicht radioaktives Iod schon wieder abgebaut sein, wenn radioaktives Iod aufgenommen werde, warnt das BfS. Bei verzögerter Einnahme hingegen war das radioaktive Iod schneller und hat sich bereits in der Schilddrüse eingelagert, was ebenfalls den Iodschutz beschränkt.

Entfernung, Windverhältnisse und freigesetzte Menge

Ob die Katastrophenschutzbehörden nach nuklearen Zwischenfällen dazu auffordern, prophylaktisch Iod einzunehmen, hängt davon ab, ob ein Risiko für die Bewohner besteht und ob radioaktives Iod über die Luft in die Region kommen kann. Das wiederum werde beeinflusst davon, „wieviel radioaktives Iod freigesetzt wird, wie weit der Unfallort entfernt liegt und wie die Wind- und Wetterverhältnisse sind“, erklärt das BfS.

Radioaktives Iod ist nicht das einzige Problem

Einen weiteren wichtigen Punkt gibt es zu beachten: Bei nuklearen Unfällen ist radioaktives Iod nicht das alleinige Problem. So twitterte Professor Martin Smollich (Institut für Ernährungsmedizin des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein und Betreiber von Ernährungsmedizin.blog) am heutigen Dienstag (1. März 2022): „Die Jodblockade schützt ausschließlich vor der Aufnahme von radioaktivem Jod in die Schilddrüse. Vor allen (!) übrigen Schäden einer Kernwaffenexplosion (Druckwelle, Licht-/Wärme-/ionisierende Strahlung, Fallout, EMP) schützen Jodtabletten NICHT.“ Und weiter: „Damit ist klar: Die Schilddrüsenschädigung durch radioaktives Jod macht nur einen minimalen Bruchteil der Gesundheitsschäden einer Kernwaffenexplosion aus“.

Nach Angaben der AMK haben die für den Katastrophenschutz zuständigen Behörden 189,5 Millionen hochdosierte Kaliumiodidtabletten bevorratet, die bei Bedarf und nach Aufforderung der Behörden an die Bevölkerung ausgegeben werden sollen.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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