Hilfsmittelbürokratie in Apotheken

Präqualifizieren trotz Betriebserlaubnis?

Stuttgart - 10.02.2022, 07:00 Uhr

Insulin darf die Apotheke in Patronen oder Fertigpens abgeben, weil sie eine Apotheke ist. Für die Nadeln und den wiederverwendbaren Pen braucht sie eine Präqualifizierung. (Foto: IMAGO / Science Photo Library)

Insulin darf die Apotheke in Patronen oder Fertigpens abgeben, weil sie eine Apotheke ist. Für die Nadeln und den wiederverwendbaren Pen braucht sie eine Präqualifizierung. (Foto: IMAGO / Science Photo Library)


Apotheken, die Hilfsmittel zulasten der GKV abgeben, müssen bekanntlich präqualifiziert sein. Dies soll der Qualitätssicherung in der Hilfsmittelversorgung dienen – die Bürokratie wird dabei von den Krankenkassen auf die Leistungserbringer abgewälzt. Doch viele Anforderungen der Präqualifizierung erfüllen die Apotheken ohnehin bereits auf Grundlage ihrer Betriebserlaubnis. Daher stellt sich die Frage, weshalb Apotheken überhaupt den Formalien des Hilfsmittelmarkts nachkommen müssen.

Der Bürokratiewahnsinn im Hilfsmittelbereich der Krankenkassen erreichte zum Jahreswechsel einen neuen Höhepunkt: Ende Oktober 2021 informierten die Präqualifizierungsstellen darüber, dass ab dem Jahr 2022 Trink- und Sondennahrungen im Kriterienkatalog der Präqualifizierung (PQ) aufgeführt werden. Eingruppiert wurden sie in den Bereich 03-Applikationshilfen. Trink- und Sondennahrungen galten bis dato als Arzneimittel und konnten ohne besondere Auflagen an GKV-Versicherte abgegeben werden. Nun ist auch für diesen Bereich eine PQ erforderlich und Apothekerverbände sowie Inhaberinnen und Inhaber sind über diese Neuregelung mehr als irritiert.

Bei der Begründung für diese Entscheidung verweist der GKV-Spitzenverband auf den §31 Abs. 5 Satz 6 SGB V. In diesem Paragraph (der übrigens „Arznei- und Verbandmittel, Verordnungsermächtigung“ heißt) steht im erwähnten Satz 6: „Für die Abgabe von bilanzierten Diäten zur enteralen Ernährung gelten die §§ 126 und 127 in der bis zum 10. Mai 2019 geltenden Fassung entsprechend.“ § 126 bezieht sich auf die Pflicht zur PQ, § 127 auf das Schließen von Hilfsmittelverträgen.

Warum stehen Nicht-Hilfsmittel im Kriterienkatalog für Hilfsmittel?

Warum man aber Produkte, bei denen es sich nicht um Hilfsmittel handelt (wie der GKV-Spitzenverband selbst einräumt), in den Kriterienkatalog aufnimmt, erschließt sich aus den zu lesenden Begründungen des Spitzenverbands nicht wirklich. Fest steht, dass Apotheken nun folgendes beachten müssen: Bei Arzneimittelverträgen, in denen Trink- und Sondennahrungen aufgeführt werden, besteht keine Notwendigkeit, aktiv zu werden. Denn in diesen Verträgen ist keine Pflicht zur PQ fixiert.

Anders sieht es bei aktuell gültigen Hilfsmittelverträgen aus, in denen neben den Hilfsmitteln zur Applikation auch Trink- und Sondennahrungen stehen. Enthalten diese Verträge einen Passus, wonach für alle in diesem Vertrag geregelten Produkte § 126 gilt (also die Pflicht zur PQ), so muss hier seit Januar 2022 die PQ beantragt werden. Andernfalls besteht die Gefahr, dass Kostenträger die Leistung wegen fehlender Präqualifizierung nicht vergüten – auch wenn ihre Versicherten mit den jeweiligen Produkten versorgt wurden.

Viele Nachweise bereits für die Betriebserlaubnis erbracht 

Dieser ganze Vorgang wirft mal wieder die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Formalien des Hilfsmittelmarkts auf. Das Ziel der Einführung einer PQ war, für (noch) mehr Qualität in der Versorgung der GKV-Versicherten zu sorgen. Allerdings wurde dabei nicht berücksichtigt, dass viele Anforderungen der PQ von Apotheken bereits bei der Beantragung ihrer Betriebserlaubnis erfüllt sein müssen. Ein Beispiel: Als apothekenübliche Hilfsmittel sind Lanzetten für Pens (Produktgruppe 03), Inhaliergeräte aus der Gruppe 14 sowie Blutdruckmessgeräte aus der Gruppe 21 anzusehen. Folgende Nachweise werden schon bei der Beantragung einer Betriebserlaubnis benötigt, aber zusätzlich auch für die PQ:

  • Approbation
  • Mietvertrag oder Auszug aus dem Grundbuch
  • Führungszeugnis
  • Fotonachweis Lagermöglichkeit
  • Fotonachweis getrennte Lagermöglichkeit (rein/unrein)
  • Fotonachweis abgetrennter Beratungsbereich
  • Skizze über Grundriss
  • Eigenerklärung über Beachtung des § 128 SGB V (unzulässige Zusammenarbeit).

Damit kommt es zu erheblichen Überschneidungen und unnötiger Bürokratie. Absurderweise wird für Apotheken bei der Beantragung der Präqualifizierung sogar noch die Betriebserlaubnis selbst gefordert.

DAT-Antrag: Präqualifizierung nur für bestimmte Versorgungsbereiche

Ob durch all die Anforderungen zur Erlangung der Präqualifizierung wirklich die Qualität in der Patientenversorgung gesteigert wird, ist also mehr als fraglich. Beim Deutschen Apothekertag 2019 wurde ein Antrag angenommen, dessen Kern­forderung ist, dass mit Erteilung einer Apothekenbetriebserlaubnis automatisch einige bestimmte Hilfsmittel durch die Apotheken abgegeben werden dürfen. Eine Präqualifizierung würde dann nur noch für speziellere Versorgungsbereiche notwendig werden. Doch eine Reaktion auf diese Forderung seitens ABDA oder Gesetzgeber ist bisher nicht erfolgt bzw. öffentlich nicht bekannt.

Mehr zum Thema

Schon im Jahr 2015 hatte die ABDA beim GKV-Spitzenverband interveniert und auf diesen Umstand hingewiesen. Letztlich erfolglos, wie Hilfsmittelexperte Thomas Platz in seinem aktuellen DAZ-Beitrag erläutert. Der Sinn einer Präqualifizierung werde seiner Meinung auch dadurch in Frage gestellt, dass eine ganze Reihe von Hilfsmitteln wie saugende Inkontinenzprodukte, Inhaliergeräte, Pen-Nadeln, Blutdruck-Messgeräte rechtlich konform ohne Einweisung von präqualifizierten Vertragspartnern der Krankenkassen versendet werden. Bei diesen Versendern sei es laut Platz mehr als fraglich, ob beispielsweise jemals ein Patient in den Räumen des Leistungserbringers war.

In der aktuellen DAZ Nr. 6 finden Sie den gesamten Artikel „Warum eigentlich präqualifizieren? Über den Sinn und Unsinn bei der Hilfsmittelversorgung durch Apotheken“ von Thomas Platz.



Deutsche Apotheker Zeitung
redaktion@daz.online


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5 Kommentare

Gleich lange Spiesse

von Thomas B am 14.02.2022 um 8:21 Uhr

Bevor irgendwas anderes "geregelt" wird: In Analogie zu Streitpunkten wie Tierarzneimittelversand, RX-Versand usw.
Auch hier müsste eigentlich gelten: Gleiches Recht für alle. Gleiche Pflichten, gleiche Rechte, gleiche Verträge, gleiche Vertragpreise. Für alle. Versender, Sanitätshäuser, Apotheken, sonstige Leistungserbringer.
Tut es aber nicht. Warum? Dieser Willkür und systematischer Ungleichbehandlung gehört (endlich) der Zahn gezogen!
Wer profitiert von dieser systematischen und eklatanten Inländerdiskriminierung?

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Des Wahsinns fette Beute

von Tilman Hecht am 12.02.2022 um 11:26 Uhr

Dieser freundlich kritische Beitrag ist etwas Wasser auf meine Mühlen...Der Schwachsinn in diesem Thema hört gar nicht mehr auf, ich könnt noch einiges anfügen, bei dem die Schlinge, im Vergleich zu meinen bisherigen Audit zur Re-Prä-Qualifizierungen noch unsinniger enger gezogen wurde. Leider ist der GKV Spitzenverband in diesem Punkt sehr durchsetzungsstak, und die Politik lässt ihn gewähren.
Der Grund für diese Wegelagerei ist darin zu suchen, daß die Sanitätshäuser(ketten) die Apotheken gerne aus diesem Versorgungsbereich raushaben möchten und alleinig an leichter Beute, wie Pen Nadeln, verdienen wollen.

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Präqualifizierung - Inhaltlich leer

von Jochen Müller am 10.02.2022 um 21:53 Uhr

Ich persönlich frage mich als Apothekenleiter immer, welche Qualifikation im Rahmen der Präqualifizierung überhaupt qualifiziert bzw. abgefragt wird. Da wird nur über inhaltlich völlig nebensächliche Punkte, wie Mietvertrag, Auszug aus dem Gewerbezentralregister, polizeiliches Führungszeugnis und eine nichtssagende Fotodokumentation sinniert.
Dass eine Apotheke als einziges "Handelsgewerbe" akademisches bzw. an einer höheren Berufsfachschule ausgebildetes pharmazeutisches Personal vorhalten muss und alle 2-3 Jahre einer Inspektion durch die lokale Überwachungsbehörde unterzogen wird um die Betriebserlaubnis zu behalten, wird völlig außer Acht gelassen.
Die Präqualifizierung war doch dafür gedacht, bisher nicht überwachte Leistungserbringer sozusagen ins Überwachungsboot zu holen. Dafür ist sie ja auch sinnvoll.

Entweder die Präqualifzierung wird inhaltlich sinnvoll oder man schafft sie für Apotheken endlich ab. Ein paar zusätzliche Prüfpunkte auf der Checkliste der turnusmäßigen Inspektion würden es auch tun!

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Präqualifiz.

von Wolfgang Steffan am 10.02.2022 um 9:18 Uhr

Eine Berufsgruppe, die alles mit sich machen läßt und so gar
bestrebt ist, geforderten Blödsinn noch überzuerfüllen,
verdient es nicht anderst !
Ich habe vor über 30 Jahren mit 3 Ordnern angefangen, heute
stehen in meiner Apotheke mindestens 30 Ordner- und der
Wahnsinn nimmt kein Ende.

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Overkill

von Olaf Rose am 10.02.2022 um 8:44 Uhr

Die Präqualifizierungs-Stelle hat gestern meinen seit 2004 bestehenden Mietvertrag als nicht ausreichend "abgelehnt", Der muss jetzt geändert werden, damit wir auch weiterhin Pflästerchen auf Rezept abgeben dürfen. Totaler Overkill, willkommen in Deutschland. Es muss dringend aufgeräumt werden mit diesem Wahnsinn.

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