Biotechnologie

Amöben produzieren THC und vielleicht auch bald Antibiotika

Düsseldorf - 02.02.2022, 12:15 Uhr

Makroskopische Aufnahme einer Amöbe. (Quelle: IMAGO / Panthermedia) 

Makroskopische Aufnahme einer Amöbe. (Quelle: IMAGO / Panthermedia) 


Forscher des Leibniz-Instituts für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie in Jena haben eine mögliche neue Plattform für die biotechnologische Synthese makromolekularen Wirkstoffen aus der Natur erforscht. Ihr Organismus der Wahl ist die als „Schleimpilz“ bekannte Amöbe Dictyostelium discoideum.

Auch wenn es eher ein Zungenbrecher ist und es keinen richtigen deutschen Namen für den Organismus gibt, kennen viele Dictyostelium discoidale etwa aus dem Biologie-Unterricht. Die Nacktamöbe ist ein gut untersuchter Modellorganismus, der sich in seinem Lebenszyklus stets zwischen dem Tier- und dem Pflanzenreich und zwischen Ein- und Vielzelligkeit bewegt. Unter normalen Umständen leben die Amöben als Einzeller im Boden – unregelmäßig von Gestalt, sehr mobil und etwa 10 bis 20 Mikrometer groß.

Die Amöben ernähren sich von Bodenbakterien, die sie umfließen und in Vakuolen verdauen. Schwindet jedoch das Nahrungsangebot oder wird die Population der Amöben im Verhältnis zur Nahrung zu groß, finden sich bis zu 100.000 der Einzeller zusammen und bilden einen völlig neuen echten vielzelligen Organismus – einen Schleimpilz, der zunächst noch als schneckenartiges Wesen kriecht, um schließlich Fruchtkörper mit Sporen an der Spitze von pilzartigen Stilen zu bilden.

Tiertypisch sind dabei die Bewegung, die wie in Muskelzellen durch Aktin- und Myosinfasern vonstattengeht sowie die Chemotaxis. Pflanzentypisch ist die Immobilität in der Vermehrungsphase und dass dann sogar Zellwände aus Zellulose angelegt werden. In den unterschiedlichen Stadien schaltet Dictyostelium (von griechisch dictyo = Netz und stelium = Säule) discoideum (von lateinisch discoidal = scheibenförmig) auch unterschiedliche Gene seines mittlerweile vollständig sequenzierten Genoms an.

Effizientere Biosynthese als mit bestehenden Biotechnologie-Systemen

So viel zur äußerst faszinierenden Biologie dieses Wesens – den Forschern des Leibniz-Instituts für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie aka „Hans-Knöll-Institut“ (HKI) in Jena ging es bei ihrer nun im Fachmagazin Nature Biotechnology veröffentlichten Arbeit allerdings eher um Anwendungstechnik. Denn sie haben die Amöben als Biotechnologieplattform auserkoren, um Wirkstoffe in großem Maßstab herzustellen, die aufgrund ihrer großen makromolekularen Struktur nur schwer synthetisch herzustellen sind. Die Klasse der Polyketene will man mit D. discoidale nun wesentlich effizienter herstellen, als das mit vergleichbaren Organismen wie dem Bakterium Escherichia coli oder der Hefe Saccharomyces cerevisiae bislang möglich ist.

Zu dieser großen Naturstoffgruppe der Polyketide gehören viele wichtige Wirkstoffe wie etwa die Antibiotika Erythromycin oder die Tetracycline. Auch die Zytostatika Doxorubicin oder Epothilone werden in der Natur über den Polyketid-Biosyntheseweg hergestellt, ebenso wie die Antiparasitika aus der Gruppe der Avermectine. Ivermectin, ein für Tiere zugelassenes Mittel aus dieser Klasse gegen Würmer, hat traurige Berühmtheit erlangt, weil es vorgeblich gegen den COVID-19-Erreger SARS CoV-2 wirken solle und daher besonders in den USA und in Österreich massenweise von Menschen eingenommen wurde und wird – mit zum Teil fatalen Folgen als Neurotoxin beim Menschen.

Auch die Cannabinoidvorstufe Olivetolsäure, aus der sich der Cannabis-Wirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC) synthetisieren lässt, gehört zu den Polyketiden. Für das psychoaktive THC werden bereits diverse Anwendungen als Analgetikum oder als Psychopharmakon erforscht. Die Gewinnung aus der Hanfpflanze in Reinform allerdings sei sehr aufwendig, sagt Falk Hillmann, Leiter der Nachwuchsgruppe „Evolution mikrobieller Interaktionen“ am HKI und einer der Studienleiter. Da auch die chemische Synthese teuer und mit geringer Ausbeute verbunden sei, habe man neue Wege gesucht, diese Pflanzenstoffe biotechnologisch effizient herzustellen.

Besondere Stellung zwischen den Reichen der Lebewesen bringt Vorteile

Natürlich gibt es bereits biotechnologische Methoden, die eben besonders auf E. coli oder S. cerevisiae basieren. Diese haben jedoch den Nachteil, selbst von Natur aus keine Synthesewege für Naturstoffe mitzubringen, was aufwendige gentechnische Modifikationen nötig macht – auch wenn die Genschere CRISPR/Cas - dabei mittlerweile vieles sehr viel einfacher gemacht hat.

Bei D. discoidales kommt den Forschern nun die besondere Positionierung des Organismus im Bereich zwischen dem Reich der Tiere, der Pflanzen und der Pilze zugute. „Bei näherer Betrachtung der Gene ist uns aufgefallen, dass einige eine hohe Ähnlichkeit zu pflanzlichen Biosynthesegenen aufweisen“, sagt Erstautorin Christin Reimer. Sie hatte sich bereits in ihrer Doktorarbeit mit dem Thema beschäftigt.

In ihrer Arbeit beschreiben die Forschenden, wie sie als einen ersten Test des Organismus für die Biotechnologie den sekundären Pflanzenstoff Resveratrol (unter anderem in Wein und Weintrauben enthalten) durch die Amöben synthetisieren ließen – mit guten Ergebnissen.

Als Nächstes habe man die genetische Information für das pflanzliche Enzym zur Synthese der Olivetolsäure in die Amöben transferiert. Dabei habe man allerdings ein anderes Verfahren als CRISPR/Cas angewendet, sagt Hillmann. „Für die Entdeckungsarbeit haben wir ein System verwendet, bei dem die pflanzlichen Gene noch nicht fest in das Genom der Amöbe eingesetzt wurden. Dies wäre aber prinzipiell möglich und soll auch im Zuge der Optimierungen angewendet werden“, sagt er.

In den ersten Ansätzen habe man chemische Vorstufen dem Substrat zugeben müssen, um den gewünschten Naturstoff zu erhalten. Durch ein gentechnisch hybrides Enzym aus Pflanze und Amöbe ließ sich das allerdings umgehen, beschreiben die Forscher weiter. „Die Amöbe ist in der Lage, direkt vor Ort die benötigte Vorstufe, eine Hexan-Einheit, herzustellen“, sagt Hillmann.

Durch die Forschung habe man zeigen können, dass die Amöbe Dictyostelium discoidales als biotechnologische Produktionsplattform für polyketidbasierte Naturstoffe genutzt werden könne, erklärt Reimer.

Das Verfahren sei bereits zum Patent angemeldet und werde nun laufend weiter verbessert. „Unser nächstes Ziel ist es jetzt, die beiden noch fehlenden Enzyme einzufügen, um das Endprodukt THC in den Amöben herstellen zu können“, sagt Hillmann.

Amöben können nicht aus dem Bioreaktor kriechen

Angst, dass die gentechnisch veränderten Amöben nun aus dem Bioreaktor kriechen könnten, müsse man nicht haben, sagt der Forscher. „Auch Bakterien sind zumeist mobil. Die Amöbe bewegt sich kriechend über Oberflächen, ist aber nur schwach adhärent und an ein feuchtes Milieu gebunden. Sie ist nur bis circa 25 Grad Celsius lebens- und bewegungsfähig. Dazu ist der Reaktionsraum des Bioreaktors generell geschlossen, selbst der Gasaustausch verläuft über Sterilfilter. Hier besteht also keine besondere technische Herausforderung im Vergleich zu herkömmlich eingesetzten GMO (Gentechnisch modifizierten Organismen).“

Mehr zum Thema

Transplantation ohne Immunsuppressiva?

Lungen aus dem Bioreaktor

Derzeit ist das Verfahren noch im Laborstadium und auf dem Weg zur großtechnischen Anwendung. „Wir arbeiten derzeit an einer standardisierten und zuverlässig steuerbaren Kultivierung der Amöbe in Bioreaktoren und befinden uns derzeit versuchsweise in Größenordnungen von bis zu 200 Litern. Diese Versuche laufen derzeit im Biotechnikum des Instituts“, erklärt Hillmann. Dabei lasse sich der komplexe Organismus aber wie E. coli oder S. cerevisiae unkompliziert als Einzeller behandeln. „Die Amöbe lebt als Einzeller und vermehrt sich in Flüssigkultur durch einfache Zweiteilung. Diese Verdoppelungen finden bei ausreichenden Nährstoffen etwas alle sechs bis acht Stunden statt. Die Amöbe ist zu der sehr komplexen Fruchtkörperbildung fähig, diese ist aber in Flüssigmedien unterdrückt“, erklärt er.

Zunächst vor allem erstmal regulatorische Fragen

Als nächste Forschungsschritte stellten sich nun vor allem erstmal regulatorische Fragen, da es sich um einen völlig neuen Prozess mit einem neuen Organismus handele, sagt Hillmann. Die genetische Stabilität der Zellen – für die die Unterdrückung der Fruchtkörperbildung unter anderem wichtig ist – sowie der Bioprozess stünden dabei im Mittelpunkt. „Ein weiterer nächster Schritt ist natürlich die Optimierung der Erträge, sowie eine vollständige Synthese von THC“, sagt Hillmann.

Mit dem erreichten ist man bereits recht zufrieden und blickt positiv in die Zukunft. „Zunächst ging es bei dieser Arbeit um eine reine Machbarkeitsstudie, wobei wir recht schnell gemerkt haben, dass diese Ergebnisse großes Anwendungspotenzial besitzen. Derzeit arbeiten wir als Team an der Weiterentwicklung zu einem auch kommerziell verwertbaren System und freuen uns in Zukunft natürlich auch über Kooperationsangebote aus der Industrie“, sagt der Forscher.


Originalpublikation:

Reimer C, Kufs JE, Rautschek J, Regestein L, Valiante V, Hillmann F (2022) Engineering the amoeba Dictyostelium discoideum for biosynthesis of a cannabinoid precursor and other polyketides. Nat Biotechnol (2022). https://doi.org/10.1038/s41587-021-01143-8



Volker Budinger, Diplom-Biologe, freier Journalist
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.