Misoprostol in der Geburtseinleitung

Muss die Galenik von Angusta verbessert werden?

Stuttgart - 31.01.2022, 12:15 Uhr

Kann der Zusatznutzen von Angusta aufgrund fehlender Daten gar nicht belegt werden? (s / Foto: Voy_ager / AdobeStock, Norgine, Montage: DAZ.online)

Kann der Zusatznutzen von Angusta aufgrund fehlender Daten gar nicht belegt werden? (s / Foto: Voy_ager / AdobeStock, Norgine, Montage: DAZ.online)


Man sollte meinen, der „Fall Cytotec“ rund um den Wirkstoff Misoprostol in der Geburtseinleitung wurde durch die Markteinführung von Angusta im vergangenen Jahr abgeschlossen. Doch noch ist das Nutzenbewertungsverfahren dazu nicht beendet. Es soll gegenüber Dinoproston ein Zusatznutzen gezeigt werden, was sich komplex gestaltet: Der Gemeinsame Bundesausschuss spricht von einem Dilemma, Probleme machen Bioäquivalenzstudien.

Seit 1. September 2021 ist das orale Arzneimittel Angusta zur Geburtseinleitung auf dem deutschen Markt. Die Zulassung des Misoprostol-Präparates war in dieser Indikation sehnsüchtig erwartet worden. Die vorherrschende Hoffnung: „endlich Rechtssicherheit für Ärzte“. Zuvor hatte Ärzten und Ärztinnen in der Geburtshilfe der Off-Label-Use des Präparats Cytotec Probleme bereitet – vor allem, weil zuletzt medial intensiv über diesen berichtet wurde. Problematisch war insbesondere die Dosierung von Cytotec, da je Tablette 200 µg Misoprostol enthalten waren — Angusta enthält nun 25 µg je Tablette.

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Indiziert war Cytotec zur Vorbeugung und Behandlung von Magenschleimhautschädigungen und zur Behandlung von akuten Zwölffingerdarm- und Magengeschwüren. „War“, weil Cytotec seit April 2021 in Deutschland nicht mehr verfügbar ist. Der Hersteller Pfizer hatte den Vertrieb in Deutschland eigentlich bereits 2006 aus „ethischen Gründen“ gestoppt, Importpräparate waren aber weiterhin erhältlich. Im April 2021 hatten dann die Parallelimporteure auf Anregung des BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) auf ihre Parallelimport-Zulassungen verzichtet. Wie vieles im Fall Cytotec sind auch die Hintergründe dieses Zulassungsverzichts ziemlich kompliziert. Die DAZ berichtete darüber. 

Dass Cytotec plötzlich ganz vom Markt verschwand, während Angusta noch gar nicht verfügbar war – damit wurde wohl etwas über das eigentliche Ziel hinausgeschossen. Insgesamt 16 Organisationen wandten sich daraufhin nämlich in einem offenen Brief an den damaligen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und den BfArM-Präsidenten Professor Karl Broich mit der Forderung, die Versorgung der Frauen in Deutschland mit Misoprostol in den jeweils benötigten Dosierungen zu gewährleisten und den erschwerten Zugang zu Cytotec zurückzunehmen. In anderen Indikationen neben der Geburtseinleitung – Blutungen und Fehlgeburten – gebe es nämlich keinen adäquaten Ersatz, wenn Cytotec nicht mehr zur Verfügung stehe, erklärte damals die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG). 

Ist seit Markteinführung von Angusta nun dennoch vieles besser?

Angusta – in der Praxis angekommen, aber kein Zusatznutzen gegenüber Dinoproston?

Das Nutzenbewertungsverfahren zu Angusta ist jedenfalls noch nicht abgeschlossen, die Beschlussfassung soll Mitte Februar 2022 erfolgen. Aus dem Wortprotokoll zur mündlichen Anhörung am 10. Januar 2022 geht zumindest hervor, dass Angusta in der Praxis mittlerweile angekommen ist. Jedoch befindet man sich hinsichtlich dessen Nutzenbewertung offenbar weiterhin in einem Dilemma, das der unparteiische Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) Professor Josef Hecken so beschrieb: „Wir haben hier einen seit geraumer Zeit im Bereich der Geburtseinleitung bei der unreifen Zervix eingesetzten Wirkstoff. Wir haben aber eben aufgrund des Umstandes, dass es in der Vergangenheit keine Zulassung gab und diese jetzt eher aufgrund bibliografischer Daten erfolgte, ein kleines Problem im hiesigen AMNOG-Prozess.“ Deshalb diskutiere man den Zusatznutzen im Wesentlichen im Kontext der klinischen Praxis und begründe das damit, dass der Einsatz im geburtshilflichen Alltag schon länger (auch in Leitlinien) etabliert sei. Doch: „Natürlich genügt das klassischerweise den Anforderungen des AMNOG [Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz] nicht. Aber ich stelle mir folgende Frage: Wie kann man es jetzt in irgendeiner Form noch hinkriegen?“ 

Mehrfach wird in dem Wortprotokoll des G-BA zur mündlichen Anhörung betont, dass die Wirksamkeit und Sicherheit von Angusta überhaupt nicht infrage gestellt würden. Das nun noch bestehende Dilemma liege allein bei der zweckmäßigen Vergleichstherapie (Dinoproston). Diese wurde auch von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AKdÄ) im Januar in einer eigenen Stellungnahme beleuchtet. Darin heißt es: „Die AkdÄ sieht für das Fertigarzneimittel Angusta® (Misoprostol) in dem Anwendungsgebiet Geburtseinleitung einen Zusatznutzen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie Dinoproston als nicht belegt an.“ Der Grund: Vom pharmazeutischen Unternehmer seien keine für die Nutzenbewertung geeigneten Daten vorgelegt worden. 

Fehlende Bioäquivalenz zu Cytotec – kein Zusatznutzen, aber dringend benötigt?

Wie die AKdÄ erklärt, sei eine Studie eingereicht worden, in der tatsächlich geteilte Tabletten des Misoprostol-Präparats Cytotec® (also nicht Angusta) eingesetzt wurden. Doch: „Die aus der Studie resultierenden Daten zu Misoprostol lassen sich aufgrund des fehlenden Nachweises der Bioäquivalenz nicht auf das Fertigarzneimittel Angusta® übertragen“, heißt es. Professor Bernd Mühlbauer von der AkdÄ sagte in der mündlichen Anhörung beim G-BA am 10. Januar 2022, dass die Bioäquivalenzstudien die Limits zwar nicht dramatisch verpasst hätten, man sich aber durchaus über die Zulassung von Angusta wundern könne. „Das heißt, da müssen auch die für die Zulassung zuständigen Officers in den Behörden über lange Schatten gesprungen sein, was vielleicht ein bisschen erkennbar macht, dass da ein Medical Need besteht.“ 

Konkret richtete er die Frage an den pharmazeutischen Unternehmer, ob daran gearbeitet werde, eine bessere Galenik herzustellen oder die Situation grundsätzlich zu ändern. Klar wurde das nicht beantwortet – randomisierte kontrollierte Studien seien jedenfalls nicht geplant, hieß es vom pharmazeutischen Unternehmer.

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Damit ist der Fall „Misoprostol in der Geburtseinleitung“ also weiterhin nicht abgeschlossen. Allerdings erklärt auch die AKdÄ in ihrer aktuellen Stellungnahme: „Misoprostol bietet Vorteile gegenüber anderen zur Geburtseinleitung zugelassenen Prostaglandin-E2-Präparaten (v. a. Dinoproston) sowie Oxytocin. Im Gegensatz zu Dinoproston hat Misoprostol keine bronchokonstriktorische Wirkung und kann daher bei Patientinnen mit Asthma eingesetzt werden.“ Bei der Weheneinleitung zeichne sich Misoprostol auch durch den Vorteil der oralen Anwendbarkeit aus, was das Infektionsrisiko (insbesondere bei Blasensprung) gegenüber vaginalen Prostaglandin-Präparaten senke und die Akzeptanz bei Schwangeren erhöhe.

Zur weiteren Einordnung erklärt die AKdÄ, dass zu den Therapiestandards (bei unreifem Zervixbefund) ab der 37. Schwangerschaftswoche (SSW) neben Misoprostol gemäß der aktuellen S2k-Leitlinie Geburtseinleitung der AWMF, dem Cochrane-Review „Low-dose oral misoprostol for induction of labour“ und den Empfehlungen des NICE zur Geburtseinleitung vaginal anzuwendendes Dinoproston in seinen verschiedenen Zubereitungen, Foley-Ballonkatheter und Dilatatoren (beide nur bei intakter Fruchtblase) zählen. Zu den in Deutschland zugelassenen vaginalen Dinoproston-Darreichungen gehörten Minprostin® Gel 1 bzw. 2 mg, Minprostin® Vaginaltabletten 3 mg und Propess® Freisetzungssystem 10 mg.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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