Neue S3-Leitlinie

Rückenschmerzen bei Kindern – besser keine Schmerzmittel?

Stuttgart - 21.01.2022, 15:15 Uhr

Sollte ein Therapiepfeiler bei nicht-spezifischen Rückenschmerzen bei Kindern auch aus Analgetika wie Ibuprofen bestehen? (Foto: dream@do / AdobeStock)

Sollte ein Therapiepfeiler bei nicht-spezifischen Rückenschmerzen bei Kindern auch aus Analgetika wie Ibuprofen bestehen? (Foto: dream@do / AdobeStock)


Was tun, wenn Kinder unter Rückenschmerzen leiden? Sind Schmerzmittel wie Ibuprofen eine sinnvolle Behandlung? Antworten auf diese Fragen liefert die neue S3-Leitlinie „Rückenschmerz bei Kindern und Jugendlichen“.

Erwachsene mit nicht-spezifischem Kreuzschmerz sollen sich vor allem bewegen, Arzneimittel können die Behandlung unterstützen. Am ehesten rät die Leitlinie „Nicht-spezifischer Kreuzschmerz“ (erschienen 2017, gültig bis Ende 2021) zu Diclofenac und Ibuprofen. Was aber, wenn Kinder und Jugendliche an Rückenschmerzen leiden? Wie sieht für jüngere Patienten eine sinnvolle Behandlung aus? 

Damit beschäftigt sich die im Dezember 2021 erschienene S3-Leitlinie „Rückenschmerz bei Kindern und Jugendlichen“. Das Thema hat Relevanz: Immerhin berichtet einer Studie aus dem Jahr 2017 zufolge etwa jeder fünfte Jugendliche (18 Prozent) zwischen elf und 17 Jahren in Deutschland über wiederkehrende Rückenschmerzen in den letzten drei Monaten (zum Zeitpunkt der Datenerhebung). Zu jüngeren Kindern liegen keine Daten vor. Die Auswertung von Krankenkassendaten aus Deutschland zeigt zudem, dass 6,5 Prozent der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter bis 24 Jahren aufgrund einer Rückenschmerzdiagnose behandelt wurden. Die Leitlinie gibt außerdem an, dass zwischen 10 und 35 Prozent der Betroffenen einen immer wiederkehrenden oder persistierenden Verlauf beschreiben. Jeder fünfte bis zehnte Patient sei zudem durch die Rückenschmerzen stärker beeinträchtigt. Doch wann spricht man eigentlich von Rückenschmerzen?

Rückenschmerzen: von Kopf bis Gesäß

Die neue Leitlinie definiert als Rückenschmerz alle Schmerzen zwischen Kopf und Po: „Unter dem Begriff Rückenschmerz werden alle Schmerzen zusammengefasst, die unterhalb des Kopfes und oberhalb der Gesäßfalten, mit und ohne Ausstrahlung in die Nachbarregionen, wahrgenommen werden, dabei wird zwischen Nacken-, rückseitigen Brust- und Kreuzschmerzen unterschieden“. Einen Unterschied macht es auch, ob die Rückenschmerzen durch eine Ursache, durch eine Grunderkrankung, erklärbar sind – wie Infektionen, Erkrankungen des Kopfes, des Brust- und Bauchraumes oder der Arme und Beine. Ursachen für Rückenschmerzen können auch in der Struktur der Wirbelsäule, der benachbarten Muskulatur oder des Nervensystems liegen. In diesen Fällen handelt es sich um spezifische Rückenschmerzen. Von nicht-spezifischen Rückenschmerzen hingegen spricht man, wenn sich keine andere Krankheitsursache oder eine Fehlhaltung finden lässt – kurzum: Man weiß nicht, woher die Rückenschmerzen kommen. Dauern die Schmerzen länger als drei Monate an (dauerhaft oder wiederholt auftretend), liegen laut der „International Association for the Study of Pain“ (IASP) chronische Rückenschmerzen vor.

Welche Ursachen haben Rückenschmerzen bei Kindern?

Spezifischen Rückenschmerzen können zahlreiche andere Erkrankungen zugrunde liegen: Infektionskrankheiten, Tumore der knöchernen Wirbelsäule oder an Rückenmark, Spinalnerven oder paraspinalen Ganglien, angeborene und erworbene strukturelle Erkrankungen der Wirbelsäule, neurologische, neuromuskuläre, rheumatische, inflammatorische, hämatologische oder vaskuläre Erkrankungen sowie abdominelle und thorakale Erkrankungen. Lassen sich die Rückenschmerzen folglich einer Grunderkrankung zuordnen, gilt die Behandlung primär der Ursache – also der Grunderkrankung – der Rückenschmerzen. Die Leitlinie beschäftigt sich, vor allem bei der Therapie, hauptsächlich jedoch mit nicht-spezifischen Rückenschmerzen im Kindes- und Jugendalter.

Risikofaktoren für nicht-spezifische Rückenschmerzen

Gibt es Risikofaktoren – Geschlecht, bestimmte Sportarten –, die Kinder und Jugendliche besonders anfällig machen, nicht-spezifische Rückenschmerzen zu entwickeln? Die Leitlinienautoren konnten mehrere Faktoren ausfindig machen. So seien zunehmendes Alter, weibliches Geschlecht und Leistungssport „nachgewiesene Risikofaktoren“ für nicht-spezifische Rückenschmerzen. Auch bestimmte psychosoziale Faktoren gehen mit einem erhöhten Risiko für kindliche Rückenschmerzen einher – so neigten ängstliche, depressive Kinder mit geringem Selbstwert und geringer Lebenszufriedenheit eher zu Rückenschmerzen. Die gleichen Risikofaktoren nennen die Leitlinienautoren auch, wenn es darum geht, dass Rückenschmerzen bei Kindern und Jugendlichen chronisch werden, wobei sie hier auch noch regelmäßiges Rauchen dazu zählen.

Therapie von Rückenschmerzen bei Kindern

Was also tun, nachdem die Diagnose nicht-spezifischer Rückenschmerz gestellt ist? Ziel einer Behandlung ist laut Leitlinie, dass bei den Kindern und Jugendlichen normale Alltagsaktivitäten, körperliche Aktivität und Sport, die Teilnahme am Schulunterricht und soziale Aktivitäten mit Freunden erhalten oder wiederhergestellt werden. Wesentliche Bestandteile der Therapie sind zunächst die Aufklärung und Beratung der Patienten (unter Einbeziehung der Familie) und die Vermittlung von nicht-medikamentösen Behandlungsmaßnahmen – Arzneimittel zählen damit bei Kindern und Jugendlichen nicht zur ersten Therapiewahl bei Rückenschmerzen.

Physiotherapie und multimodale Schmerztherapie

Die Leitlinienautoren raten vor allem zur aktiven Physiotherapie. Mit deren Unterstützung sollen Kinder und Jugendliche mit nicht-spezifischen Rückenschmerzen zu selbstständigen Übungen, mehr Bewegung und sportlicher Aktivität angeleitet werden, wobei die Physiotherapie regelmäßig durch Physiotherapeuten kontrolliert und angepasst werden solle. Auch die Möglichkeit einer Psychotherapie – genauer: einer kognitiven Verhaltenstherapie – räumt die Leitlinie ein, und zwar vor allem für Kinder mit wiederkehrenden oder chronischen Rückenschmerzen. Diese Kinder und Jugendlichen sollen – ebenso, wenn sie schmerzbezogen stark beeinträchtigt sind – eine „intensivierte interdisziplinäre multimodale Schmerztherapie“ erhalten.

Keine Empfehlung für Schmerzmittel bei Kindern

Wie sieht es nun mit der Datenlage zu Schmerzmitteln bei nicht-spezifischen Rückenschmerzen bei Kindern und Jugendlichen aus – wie NSAR und Opioide? Die Datenlage ist schlecht. Zwar gibt es durchaus Studien, doch betreffen diese bei nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR), wie Ibuprofen oder Diclofenac, meist die Schmerzmittelanwendung bei Kindern und Jugendlichen aufgrund einer Grunderkrankung (Arthritis), und sie sind nicht Placebo-kontrolliert. „Zusammenfassend lässt die Datenlage keine evidenzbasierte Empfehlung zur Wirksamkeit oder zu Risiken in der Behandlung mit antientzündlichen Medikamenten bei Kindern und Jugendlichen mit nicht-tumorbedingten chronischen Schmerzen zu“, erklären die Leitlinienautoren. Gleiches gilt für die Anwendung von Paracetamol und Opioiden bei chronischen, nicht-tumorbedingten Schmerzen im Kindes- und Jugendalter: Hier konnten keine Studien gefunden werden, die hinsichtlich der Qualität den Ansprüchen der Leitlinienautoren genügten. Daneben könnten auch sogenannten Ko-Analgetika vielleicht eine Option bei kindlichen Rückenschmerzen sein – wie zum Beispiel Gabapentin oder die Antidepressiva Amitriptylin oder Citalopram. Eine 2019 in „Pain“ veröffentlichte Meta-Analyse lieferte zwar Hinweise, dass Amitriptylin und Gabapentin „geringe Effekte“ zeigten, doch wurde der primäre Endpunkt der Studie (Schmerzreduktion um mindestens 30 Prozent) nicht erreicht. Drei weitere Studien untersuchten die Antidepressiva Amitriptylin oder Citalopram an insgesamt 238 Kindern gegen Placebo. Auch hier konnten die Arzneimittel keine mindestens 30-prozentige Schmerzreduktion erzielen.

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Die Leitlinienautoren fassen zusammen: Für Kinder und Jugendliche existiere „keine gesicherte Evidenz“ für eine medikamentöse Therapie wiederkehrender oder langanhaltender nicht-spezifischer Rückenschmerzen, weder für die Gruppe der nicht-steroidalen antientzündlichen Medikamente, noch für Opioide oder Ko-Analgetika. Und weiter: „Zur Vermeidung möglicher Nebenwirkung oder Komplikationen durch eine medikamentöse Therapie hat die Leitliniengruppe eine Empfehlung gegen eine medikamentöse Therapie bei Kindern und Jugendlichen mit nicht-spezifischen Rückenschmerzen ausgesprochen.“



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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