Neufassung des Perspektivpapiers 2030

Apotheke soll zum Drehkreuz im Gesundheitswesen werden

Traunstein - 13.01.2022, 17:50 Uhr

Das Perspektivpapier von 2014 wurde überarbeitet. (Foto: DAZ)

Das Perspektivpapier von 2014 wurde überarbeitet. (Foto: DAZ)


Das Perspektivpapier 2030 wurde im September 2014 vom Deutschen Apothekertag in München mit großer Mehrheit verabschiedet. Seither ist viel geschehen. Einschneidende Ereignisse waren insbesondere das EuGH-Urteil vom 19. Oktober 2016, durch das die EU-Versender gestärkt wurden, sowie die seit nunmehr fast zwei Jahren anhaltende Corona-Pandemie. Zudem ist die Digitalisierung im Gesundheitswesen deutlich fortgeschritten und der Klimaschutz hat erheblich an Bedeutung gewonnen. Dies alles hat die am heutigen Donnerstag von einer außerordentlichen ABDA-Mitgliederversammlung verabschiedete aktualisierte und ergänzte Version mit dem Titel „APOTHEKE 2030 – Perspektiven zur pharmazeutischen Versorgung in Deutschland (2.0)“ beeinflusst.

Als im Jahr 2014 der Deutsche Apothekertag in München das Perspektivpapier 2030 nach einem mehrmonatigen Diskussionsprozess verabschiedete, schrieb die ABDA dazu: „Im Grundsatz beschreibt ‚Apotheke 2030‘, wie die Apotheken ihr heilberufliches Profil schärfen, in einem Netzwerk mit Ärzten und anderen Fachberufen zusammenarbeiten und somit ein echtes Medikationsmanagement für die Patienten ermöglichen.“ Das trifft im Kern auch immer noch zu für die am heutigen Donnerstag von einer außerordentlichen ABDA-Mitgliederversammlung einstimmig verabschiedete neue Version des Perspektivpapiers 2030. Doch seit 2014 ist viel passiert: Das EuGH-Urteil vom Oktober 2016 hat die EU-Versender gestärkt, die Digitalisierung der Gesellschaft ist deutlich fortgeschritten, die Bedeutung des Klimaschutzes ist rasant gewachsen und seit rund zwei Jahren hält die Corona-Krise die Welt in Atem.

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Auf diese Veränderungen wird nun mit der neuen Fassung reagiert. So heißt es in der Präambel, dass der Kern der Arbeit in den Apotheken „mehr denn je die individuelle und persönliche Betreuung der Patientinnen und Patienten unter sinnvoller Nutzung der wachsenden Möglichkeit einer sich digitalisierenden Welt“ sei. Und: „Nachhaltigkeit und Klimaschutz werden mehr und mehr zu selbstverständlichen Elementen apothekerlicher Berufsausübung.“

Digitalisierung als Chance nutzen

Breiteren Raum nimmt die Digitalisierung beim Unterpunkt „Stabile Versorgung – Nah am Menschen“ ein. „Das rote Apotheken-A steht für einen universellen Qualitätsanspruch, der für analoge wie digitale Prozesse gleichermaßen gilt“, heißt es dort. „Ob vor Ort oder im Rahmen telepharmazeutischer Angebote, in einer digitalen Welt steht die Apotheke allen dort, wo sie sie brauchen, und so, wie sie sie brauchen, zur Verfügung.“ Die Digitalisierung biete die Chance,

  • Menschen noch individueller entlang ihrer Bedürfnisse und Service-Ansprüche zu versorgen und zu beraten,
  • wissenschaftliche Informationen im Sinne der Translation noch umfassender und schneller durch die Apotheken zu nutzen und
  • durch die Nutzung von Gesundheitsdaten zur Verbesserung der Therapien und der Versorgung beizutragen.

E-Health müsse sich konsequent am Patientenwohl orientieren: „Risiken sollen minimiert, Chancen genutzt, Versorgungsprozesse und -ergebnisse qualitativ verbessert werden.“ Als Ziel wird formuliert: „Analog wie digital sind die Apotheken leicht und verlässlich erreichbar und damit zentrale Anlaufstelle für ihre Patientinnen und Patienten.“

Verstärkte Managementaufgaben zwischen Krankenhäusern, Praxen und Pflegeeinrichtungen

Das durch die Pandemie gestärkte Selbstbewusstsein der Apotheken zeigt sich beim Unterpunkt „Heilberufliche Zusammenarbeit“. Dort heißt es, ähnlich wie in der Version von 2014: „Die öffentlichen Apotheken gestalten die heilberufliche Zusammenarbeit aktiv mit und übernehmen die primäre Verantwortung für die Verbesserung und Sicherheit der Arzneimitteltherapie.“ Doch in der neuen Version zeigt sich die Bereitschaft, mehr Verantwortung zu übernehmen: „Als Drehkreuz werden sie auf lokaler Ebene verstärkt Managementaufgaben zwischen Arztpraxen, Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen wahrnehmen und die verlässliche Arzneimittelversorgung der Menschen sicherstellen.“

Diese Bereitschaft zur Ausweitung des Aufgabenfelds wird auch darin deutlich, dass der Unterpunkt „Nutzen für die Gesellschaft – Leistungen und Angebote“ gegenüber der alten Version deutlich ausgebaut wurde. „Die freiberuflich geführten Apotheken vor Ort werden wegen ihrer Expertise in Gesundheitsfragen, ihrer Unabhängigkeit, ihres niedrigschwelligen Zugangs und ihrer sozialen Funktion geschätzt und gebraucht. Dieser bewährte Vierklang soll fortwährend verstärkt und ausgebaut werden“, heißt es dort. Damit die Apothekerschaft die flächendeckende Arzneimittelversorgung langfristig, qualitativ hochwertig und effizient sichern könne, brauche es ausreichend Nachwuchs. „Um diesen langfristig zu gewinnen, soll die Attraktivität der pharmazeutischen Berufsbilder in Zusammenarbeit mit Politik und Gesellschaft weiter gesteigert werden.“ Essenzielle Elemente dabei seien Planungssicherheit sowie wirtschaftliche und fachliche Perspektiven für Apothekerinnen und Apotheker. Dabei wird auch zumindest indirekt auf das erfolgreiche Agieren in der Pandemie abgehoben: „Das dezentrale, in freiberuflicher Unternehmerschaft organisierte Arzneimittelversorgungssystem ist in hohem Maße krisenresilient und in der Lage, neue Aufgaben zur Versorgung der Bevölkerung in kürzester Zeit zu übernehmen und entlang des wechselnden Bedarfs der Bevölkerung zu skalieren.“

Größtmögliche Entscheidungsfreiheiten bei Lieferengpässen

Die Erfahrungen (nicht nur) aus der Pandemie spiegeln sich auch im Unterpunkt „Arzneimittelversorgungssicherheit“ wider. Dort wird gefordert, dass „Lieferengpässen, die seit Jahren die Kontinuität und den Erfolg von Arzneimitteltherapien gefährden“, aktiv entgegengetreten werden müsse. „Deshalb brauchen die Apotheken die größtmöglichen Entscheidungsfreiheiten, um die Bevölkerung versorgen zu können“, heißt es weiter. 

 

Mehr Raum für pharmazeutischen Dienstleistungen 

Mehr Raum als zuvor nehmen die pharmazeutischen Dienstleistungen ein. Zwar spielten auch in der ersten Version Medikationsanalyse und -management eine große Rolle, doch da nun die honorierten Dienstleistungen kurz vor der Umsetzung stehen, hat das Gebiet eine andere Bedeutung gewonnen. Unter der Überschrift „Weiterentwicklung der pharmazeutischen Dienstleistungen“ steht dazu: „Die öffentlichen Apotheken beobachten die Entwicklung des Versorgungsbedarfs. Sie erarbeiten dazu passgenaue pharmazeutische Dienstleistungen und setzen sich für deren Implementierung ein.“ 

Der Trivialisierung entgegenwirken

Offenbar als Reaktion auf die zunehmende Marktmacht der Versender greift die neue Version des Perspektivpapiers das Thema „Der Trivialisierung von Arzneimitteln entgegenwirken“ auf. Dabei wird davor gewarnt, Medikamente wie beliebige Konsumgüter zu betrachten, da ansonsten ihre Trivialisierung drohe: „Die Einnahme wird verharmlost, Fehl- und Mehrgebrauch sind die Folge.“ Der Trivialisierung müsse man konsequent entgegenwirken mit „Verbraucherschutznormen, die unter anderem in der Verschreibungspflicht sowie der Apothekenpflicht in Verbindung mit der freien Apothekenwahl ihren Ausdruck finden“. Diese müssten erhalten und bei Bedarf geschärft werden, heißt es weiter. Damit dürfte insbesondere auf die Aufweichung der Verschreibungspflicht durch Internetportale, die eine Verordnung von Rx-Arzneimitteln auf Basis eines Fragebogens ermöglichen, angespielt werden. Zudem müssten Anreize für Fehl- und Mehrgebrauch vermieden werden, genannt werden unangemessene Werbung und Preisdumping im OTC-Bereich. „Diese Prinzipien sind auch bei Entscheidungen auf europäischer Ebene zu berücksichtigen. Auf dem Gebiet der Arzneimittelversorgung rechtfertigt der Verbraucherschutz partielle Einschränkungen von Grundfreiheiten des Binnenmarktes“, wird abschließend betont.

 Drei Themenfelder stärker herausgearbeitet und ergänzt

In der Pressemeldung äußert ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening zu der neuen Fassung: „Mit der Digitalisierung des Gesundheitswesens, dem Kampf gegen die Trivialisierung von Arzneimitteln und der Schaffung von gesellschaftlichem Nutzen durch neue Dienstleistungen sind nun drei Themenfelder stärker herausgearbeitet und ergänzt, die unsere Arbeit künftig bestimmen werden. Ich freue mich, dass wir das Update in einem kompakten Verfahren mit Kammern und Verbänden so schnell hingekriegt haben.“ Jetzt sollen aus dem Papier  Handlungsfelder für die konkrete berufspolitische Arbeit abgeleitet werden, heißt es weiter.

Die neue Version des Perspektivpapiers kann hier abgerufen werden.



Dr. Christine Ahlheim (cha), Chefredakteurin AZ
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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2 Kommentare

Apotheke 2030

von Barth Christiane am 14.01.2022 um 12:22 Uhr

Es gibt eine europäische Vorgabe für nationale Vor-Ort-Versorgung, es gibt seit Jahren einen bayerischen Beschluss, die ländlichen Regionen genauso zu stellen, wie die städtischen. Es gibt seit 2014 das Perspektivpapier. Wann fängt die Standespolitik
endlich an zu Handeln. Der Kuschelkurs der letzten Jahre mit dem Gesundheitsministerium und die Macht der Krankenkassen, von Bundeskanzler a.D. Schröder gewollt, sind für die sinkende Zahl der Apotheken verantwortlich. Von einer noch Flächendeckung kann schon lange nicht mehr die Rede sein. Die Weiterentwicklung des Berufes und der Gesundheitsversorgung wird zur Luftnummer, wenn der Staat die Folgen von Ärzte und Apothekenmangel weiter kleinredet.
Die uralte Gesetzgebung muß dem digitalen Zeitalter angepasst werden, damit zum Beispiel wie bei den Ärzten auch bei den Apotheken Sateliten-Betriebe entstehen können, bei denen ein Apotheker auch über einen Bildschirm zu kontaktieren ist. So ein Netz von Apotheken könnte im Katastrophenschutz verankert sein, damit keine Begehrlichkeiten bei Niederlasungswilligen entstehen könnten.
Wenn auch die Hoffnung zuletzt stirbt, so gehe ich davon aus, dass die Infrastruktur der Gesundheitsversorgung 2030 eher nicht mehr existiert, als dass bis dahin bedarfsgerecht auf hohem Niveau die nationalen Vor-Ort-Apotheken die Arzneimittelversorgung im Griff haben.

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Fazit

von Dr. Peter M. Schweikert-Wehner am 14.01.2022 um 8:19 Uhr

Klingt gut, müsste aber noch konkretisiert werden. Für neue Aufgaben brauchen wir mehr generelle Rechtssicherheit und den Auftrag durch den Gesetzgeber. Vor Behördenwillkür und Überbürokratisierung muss der "freie Beruf" besser geschützt werden. Bei heilkundlicher Tätigkeit muss gelten: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!

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