Aktien brechen ein

E-Rezept-Verschiebung erwischt Versender kalt

München - 21.12.2021, 17:50 Uhr

Amtsschild am Eingang des Bundesministeriums für Gesundheit in der Friedrichstraße 108, Berlin. (Foto: IMAGO / Müller-Stauffenberg)

Amtsschild am Eingang des Bundesministeriums für Gesundheit in der Friedrichstraße 108, Berlin. (Foto: IMAGO / Müller-Stauffenberg)


Die Verfügung des neu formierten Bundesgesundheitsministeriums, die für 1. Januar 2022 vorgesehene Einführung des E-Rezepts auf unbestimmte Zeit zu verschieben, erwischt die Arzneimittelversender auf dem falschen Fuß. Unternehmen wie Zur Rose und Shop Apotheke Europe haben ihre geschäftlichen Erwartungen stark auf dieses Ereignis und damit auf steigende Rx-Verkäufe ausgerichtet. Die Aktien verloren deswegen deutlich an Wert. 

Für die Arzneimittelversender war es kein Weihnachtsgeschenk, sondern eine Vollbremsung: Die Entscheidung des seit einigen Tagen von Minister Karl Lauterbach geführten Bundesgesundheitsministeriums, die eigentlich für den 1. Januar 2022 geplante Einführung des E-Rezeptes zu verschieben, hat für Marktteilnehmer unmittelbare Folgen. Vor allem die beiden großen Versandhändler Zur Rose Group aus der Schweiz und Shop Apotheke Europe aus den Niederlanden müssen nun ihre Wirtschaftspläne für 2022 und danach wohl überarbeiten.

Mehr zum Thema

Schreiben an Gematik-Gesellschafter

BMG: E-Rezept-Start auf unbestimmte Zeit verschoben

Nach verschobenem Start

Wo hakt es beim E-Rezept?

Die Aktionäre jedenfalls handelten unverzüglich und schickten die Aktien der beiden Unternehmen am Tag nach der Verkündung zeitweise um mehr als zehn Prozent in den Keller. Kein Wunder, denn beide Unternehmen haben sich im ablaufenden Jahr 2021 intensiv auf die Einführung des E-Rezeptes vorbereitet, frisches Geld zur Expansion aufgenommen, ihre Marktplätze und IT-Strukturen weiterentwickelt, spezialisierte Digitalunternehmen übernommen und künftige Umsatzplanungen danach ausgerichtet. Ihre Erwartung ist, mithilfe des E-Rezepts mittelfristig einen deutlichen Anstieg bei den wirtschaftlich besonders lukrativen Verkäufen von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zu erreichen. Wann und in welchem Ausmaß dies nun passieren wird, steht nach der BMG-Bremse aktuell in den Sternen.

„Das sind grundsätzlich keine guten Nachrichten“, stellt denn auch Michael Heider, Analyst von Warburg Research, fest. Würde sich die Einführung des E-Rezeptes nun beispielsweise um ein Jahr verzögern, hätte dies signifikanten Einfluss auf die Geschäfte der Versender. Auch Olivier Calvet, Analyst bei Kepler Chevreux, mahnt zur Vorsicht: „Dies wirft erneut die Frage nach der Akzeptanz elektronischer Rezepte durch die Ärzte auf.“ Bis 1. Dezember seien lediglich 42 derartige Verschreibungen ausgestellt worden. Eine schnelle Einführung des E-Rezeptes stehe nun nicht mehr zur Debatte. Dies wiederum gefährde den mehrheitlich prognostizierten Anstieg der Verschreibungseinnahmen im Rx-Bereich - dem Wachstumsmotor für Online-Apotheken.

Wie sich die Entscheidung des BMG konkret auf Umsätze und Erträge der Versandapotheken im Jahr 2022 und danach auswirken wird, lässt sich nach Einschätzung der Analysten aktuell allerdings noch nicht in Zahlen fassen. „Vieles ist derzeit noch im Unklaren“, so Analyst Heider.

Kritik an Gematik

Tatsächlich lässt die Abteilung 5 Digitalisierung und Innovation des BMG in ihrem Schreiben an die Gematik – jener Organisation, die die Gesamtverantwortung für die Telematikinfrastruktur (TI), der zentralen Plattform für digitale Anwendungen im deutschen Gesundheitswesen, trägt – offen, wann die Einführung des E-Rezeptes stattdessen umgesetzt werden soll. Dagegen ist aus den Zeilen eine deutliche Kritik an der bisherigen Arbeit der Gematik bei der Umsetzung dieses „politisch höchst bedeutsamen Digitalisierungsprojektes“ herauszulesen. So gebe es aus dem Gesellschafterkreis heraus „erhebliche Bedenken (…), ob angesichts des noch laufenden Feldtests der Gematik und nicht hinreichender Erprobung der gesamten Prozesskette eine fehlerfreie Ausstellung, Übermittlung, Annahme und Abrechnung von elektronischen Rezepten ab dem 1. Januar 2022 möglich sein wird.“ Es werde deutlich, „dass anders als oftmals von den Akteuren kommuniziert, die erforderlichen technischen Systeme noch nicht flächendeckend zur Verfügung stehen.“

Gleichzeitig erhöht das BMG den Druck auf die Gematik. Die Rahmenbedingungen für die Einführung des E-Rezeptes sollten nun schnellstmöglich geschaffen werden. Maßstab sei dabei die technische Verfügbarkeit. Bis dahin solle der Test- und Pilotbetrieb schrittweise fortgesetzt und ausgeweitet werden. Dabei fordert das BMG eine deutliche Verbesserung in den Prozessen, klare Verantwortlichkeiten, eine höhere Transparenz und einen unmissverständlichen Reporting-Prozess. Übersetzt heißt dies: In der Vergangenheit ist vieles schlecht gelaufen.

Arzneimittelversender fordern Planungssicherheit

Die Versandhändler sind derweil in die Zuschauerrolle verdammt, bemühen sich aber um Schadensbegrenzung. So sagt Stefan Feltens, Vorstandschef von Shop Apotheke Europe, gegenüber der DAZ: „Das elektronische Rezept ist ein wesentlicher und überfälliger Baustein zur Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens. Deshalb war es wichtig, dass das BMG das E-Rezept in seiner Kommunikation nochmals als politisch höchst bedeutsames Digitalisierungsprojekt hervorgehoben hat. Vor diesem Hintergrund müssen natürlich alle Aspekte des E-Rezepts hinreichend getestet werden. Bei uns ist das zweifelsfrei der Fall.“

Um Planungssicherheit für alle Marktteilnehmer wiederherzustellen, sei es jetzt erforderlich, dass das BMG „schnellstmöglich einen verbindlichen neuen Zeitplan kommuniziert“. Shop Apotheke habe in der Vergangenheit betont, dass man von einem „graduellen Zuwachs“ von E-Rezepten in den ersten Monaten des kommenden Jahres ausgehe und erst zur Jahresmitte einen deutlichen Anstieg erwarte. Feltens wörtlich: „Wir haben lange auf die Einführung des E-Rezepts in Deutschland gewartet. Eine Verzögerung von ein paar Monaten ist nicht von entscheidender Bedeutung.“

Die Zur Rose Group stellt ihrerseits fest: „Zusammen mit allen anderen Beteiligten werden wir unseren maximalen Beitrag dazu leisten, dass die flächendeckende, verpflichtende Einführung zügig voranschreitet und umgesetzt wird. Das werden wir auch so dem BMG signalisieren, das auf uns zählen kann, wenn es um die Umsetzung des Koalitionsvertrages geht, der sich die beschleunigte Einführung des E-Rezepts zum Ziel gesetzt hat. Gestützt auf diese Entwicklung gehen wir weiterhin von einem E-Rezept-Roll-out im Jahr 2022 aus, wodurch sich unsere mittelfristigen Wachstumsziele nicht verändern.“

Wann die nächsten Schritte anstehen und wie diese aussehen werden, will das BMG demnächst festlegen. Im Schreiben an die Gematik und deren Gesellschafter, zu denen unter anderem Ärztekammern, der GKV-Spitzenverband, private Krankenversicherungen, der Deutsche Apothekenverband, aber mehrheitlich auch das BMG selbst gehören, heißt es: „Die Einzelheiten zum weiteren Vorgehen, insbesondere die gegenseitigen Pflichten im Rahmen der weiteren Testung, sollen in den kommenden Wochen mit Ihnen verbindlich abgestimmt werden.“ Die Gematik werde dabei den Test- und Rollout-Prozess weiterhin „eng begleiten.“



Thorsten Schüller, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


Das könnte Sie auch interessieren

Aktienkurse der EU-Versender brechen nach Verschiebung der E-Rezept-Einführung ein

Herber Schlag für Zur Rose und Shop Apotheke

Wie sich das E-Rezept 2022 entwickelte – oder auch nicht

Irrungen und Wirrungen

Wie sich Zur Rose und Shop Apotheke Europe an der Börse entwickeln

E-Rezept soll für neuen Auftrieb sorgen

Schreiben an Gematik-Gesellschafter

BMG: E-Rezept-Start auf unbestimmte Zeit verschoben

BMG-Einsicht: Erforderliche technische Systeme stehen noch nicht flächendeckend zur Verfügung

Das E-Rezept wird verschoben

Shop Apotheke Europe

Tiefrote Bilanz für 2021

EU-Versender wollen leichter ans E-Rezept heran

BMG sieht keinen Mangel an diskriminierungsfreien Einlösewegen

1 Kommentar

E- rezept

von ratatoske am 21.12.2021 um 18:25 Uhr

Nicht mal mit viel Geld an den richtigen Stellen kann deutsche Inkompetenz bei solchen Dingen , von der Maut bis Herkules etc. umgesetzt werden.
Da es außer den begünstigten Versendern und Tele - Fuzzis nur Benachteiligte gibt, war dies eigentliche klar. Unglaublich lächerlich waren auch die idiotischen Angaben zu angeblichen Effizienzgewinnen bei den Arztpraxen. Wenn sich einer dieser Superministerialen trauen würde, sollte er mal in einer normalen Praxis danach fragen, aber - halt - die würden auch keine Beraterverträge verteilen, das tun nur Telemedizinplattformen und Versender,
Dort kann man, wie auch in den Apotheken einiges digital verbessern, dieses Projekt ist jedoch völlig daneben.
Es verringert die Resilienz auf fast Null, bei maximalem Aufwand an Kosten und Arbeitszeit.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.