Schadensersatzklage

Beweislastumkehr für Unterdosierungen des Bottroper Zyto-Apothekers

Essen - 21.12.2021, 16:00 Uhr

Der Vorsitzende Richter Theissen (Mitte) setzt sich mit den Schadensersatzklagen von Betroffenen des Bottroper Zyto-Skandals auseinander. (s / Foto: Feldwisch-Drentrup)

Der Vorsitzende Richter Theissen (Mitte) setzt sich mit den Schadensersatzklagen von Betroffenen des Bottroper Zyto-Skandals auseinander. (s / Foto: Feldwisch-Drentrup)


Insolvenzverwalter muss Information beschaffen

Auch ohne Behandlungsvertrag zwischen dem Patienten und dem Apotheker Stadtmann komme zivilrechtlich ein sogenannter deliktischer Anspruch in Betracht, erklärt Theissen: Wenn der Patient gewusst hätte, dass das Medikament unterdosiert war, hätte er in die Therapie nicht eingewilligt. Für die Richter ist klar, dass es in den Zivilverfahren – anders als im Strafverfahren, in dem die Unschuldsvermutung gilt – zu einer Beweislastumkehr kommt in Bezug auf die Frage, ob Infusionen korrekt dosiert waren. „Der Einzige, der das sagen kann, ist Herr Stadtmann“, sagt Theissen. Diese Information müsse der Insolvenzverwalter von ihm beschaffen. „Wenn er das nicht kann, kann er in diesem Prozess keinen Erfolg haben.“ Es sei nicht davon auszugehen, dass ausgerechnet die neun Infusionen für diesen Patienten korrekt dosiert wurden.

Für Ärzte ist die Beweislastumkehr gesetzlich geregelt, wenn es wie beim Bottroper Zyto-Skandal zu schwerwiegenden Pflichtverletzungen gekommen ist und die Kläger besondere Beweisschwierigkeiten hätten. „Für andere Berufsgruppen ergibt sich das aus Entscheidungen des Bundesgerichtshofs“, erklärt der Richter. „Im Hintergrund dieser Taten ist es kein unbilliges Ergebnis, weil es gerade das Wesen dieser Taten ist, dass jetzt die Patient:innen dastehen und nicht wissen, was sie bekommen haben.“

Doch während für die Richter klar ist, dass die Beweislastumkehr etwa die Frage von Unterdosierungen betrifft, müssen die Kläger offenbar dafür Beweise vorlegen, dass sie durch Fehldosierungen mit mehr als 50 Prozent Wahrscheinlichkeit gesundheitlich geschädigt wurden oder dass Angehörige früher gestorben sind. In Bezug auf die Rechtsprechung erstrecke sich die Beweislastumkehr nur auf die Primärschäden, die direkt durch die Tat entstehen, erklärt Theissen. Allerdings hatte der Rechtsanwalt Lars Voges, der die Klägerin vertritt, sich auf ein Urteil des Oberlandesgerichts Hamm bezogen, laut dem sich der Begriff des Primärschadens viel weiter auslegen ließe. In dem Fall hatte das Gericht geurteilt, dass durch Fehler bei der Erkennung einer Krebsdiagnose auch ein Verlust von Heilungschancen als Primärschaden zählt.

Laut den Richtern des LG Essen lassen sich die Fälle nicht vergleichen. „Es hat nicht eine Nicht-Therapie stattgefunden, sondern eine Fehltherapie durch Unterdosierung“, erklärt Theissen. „Es hat auch eine Behandlung stattgefunden – Infusionen sind ja durchgelaufen.“ Diese seien schon ein körperlicher Eingriff. Dafür, dass Therapien nicht gewirkt haben, kann es aber viele Gründe geben – eine Unterdosierung ist nur eine. Bei 80 Prozent der mit Nivolumab behandelten Patienten schlage das Mittel ohnehin nicht an. Für die Zivilkammer ist damit nicht nachgewiesen, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit durch die Unterdosierung ein gesundheitlicher Schaden verbunden ist. „Wir werden dabei bleiben“, erklärt Theissen.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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