Schon an die nächsten Varianten denken

Gefriergetrockneter Moderna-Nachahmer aus Afrika ab 2024?

Stuttgart - 16.12.2021, 17:10 Uhr

Bislang werden in warmen Ländern wie Afrika vor allem Vektorimpfstoffe verimpft. Das könnte mit einer gefriergetrockneten Variante von Moderna anders werden. Allerdings erst ab 2024. (Foto: mbruxelle / AdobeStock)

Bislang werden in warmen Ländern wie Afrika vor allem Vektorimpfstoffe verimpft. Das könnte mit einer gefriergetrockneten Variante von Moderna anders werden. Allerdings erst ab 2024. (Foto: mbruxelle / AdobeStock)


Eine Open-Source-Technologie für COVID-19-Impfstoffe, das wäre doch was? Tatsächlich arbeitet ein Biotechnologieunternehmen aus Kapstadt in Südafrika bereits genau an diesem Ziel – unterstützt von der Weltgesundheitsorganisation, dem UN Medicines Patent Pool sowie der Gesundheitsorganisation der Afrikanischen Union. Dabei sollen bestehende Impfstoffe nicht nur kopiert, sondern auch verbessert werden.

Während man sich in Europa derzeit auf die Omikron-Variante vorbereitet, denken die Gesundheitsexpert:innen in Afrika schon an die nächsten möglichen Corona-Varianten. Der südafrikanische Epidemiologe und Ex-Regierungsberater Salim Abdool Karim sagte laut der Nachrichtenagentur dpa am vergangenen Mittwoch bei einer Konferenz, bei der es um die Neuausrichtung der afrikanischen Gesundheitssysteme ging: Es gelte nun, sich auf neue Herausforderungen vorzubereiten – „Varianten haben das Spiel verändert – wir werden weitere Varianten sehen.“ John Nkengasong von der Gesundheitsorganisation der Afrikanischen Union (Africa CDC) bestätigte diese Einschätzung und mahnte: „Der Kontinent sollte sich beeilen, ein neues Gesundheitssystem aufzubauen.“ Neue Ansätze seien nötig. Der Ebola-Ausbruch vor einigen Jahren in Westafrika sei bereits eine Vorwarnung gewesen. „Als Kontinent müssen wir dabei unsere eigenen Lösungen finden“, gab die Medizinerin Ebere Okereke vom Tony Blair-Institut zu bedenken. Die CDC – welche die Konferenz organisierte – versucht, die Mittel der afrikanischen Staaten zu bündeln und Maßnahmen im Kampf gegen die Pandemie zu koordinieren.

Ebenfalls am gestrigen Mittwoch berichtete die dpa, dass das Biotechnologieunternehmen „Afrigen Biologics and Vaccines“ sich bereits in einer entscheidenden Phase bei der Entwicklung von Afrikas erstem eigenem Corona-Impfstoff befinde. Dieser soll das mRNA-Präparat von Moderna nachahmen und damit die Abhängigkeit von der Pharma-Industrie mindern. Anfang 2024 sollen die Mittel marktreif sein. Afrigen will die beiden derzeit zugelassenen mRNA-Präparate von Moderna und Biontech/Pfizer zudem verbessern. Ziel sei ein gefriergetrockneter Impfstoff, der keine Kühllagerung erfordert.

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Unterstützt von der Weltgesundheitsorganisation (WHO), dem UN Medicines Patent Pool (MPP) sowie der Gesundheitsorganisation der Afrikanischen Union (Africa CDC) will Afrigen die Verteilung von Impfstoffen weltweit günstiger, schneller und gerechter machen. Anders als traditionellen Pharma-Unternehmen gehe es Afrigen nicht um Profite. Der neue Impfstoff werde nicht patentiert werden, sondern eine Art Open-Source-Technologie sein, erklärt Afrigens Geschäftsführerin Petro Terblanche. Die WHO werde kostenfreie Lizenzen an Entwicklungs- und Schwellenländer vergeben und damit Produktionskapazitäten überall auf der Welt ermöglichen. Ein breiter und schneller Technologietransfer habe dabei „absolute Priorität“, so Terblanche. Etwa 40 Länder in Afrika, Lateinamerika, Asien und dem Mittleren Osten haben nach Angaben der WHO bereits Interesse bekundet. „Es ist eine Intervention. Wir werden die globale Gesundheitslandschaft ändern“, verspricht Terblanche.

Es gibt weiterhin Hürden

Doch es gibt Hürden: Zwar hat Moderna im Juli eine Verzichtserklärung für das geistige Eigentum an ihrem mRNA-Präparat abgegeben. Diese gilt jedoch nur für einen begrenzten Zeitraum. „Weder von Moderna noch von Biontech/Pfizer haben wir einen Technologietransfer bekommen“, sagt Terblanche. Somit arbeiten Afrigens Forscher mit der öffentlich zugänglichen genetischen Sequenz für den Impfstoff und mithilfe von wissenschaftlichen Beratern an der Entwicklung einer ersten vollständigen Laborprobe, die das Präparat von Moderna nachahmt. „Aufgrund der Verzichtserklärung können wir den Impfstoff legal bis zu klinischen Studien bringen, ohne geistiges Eigentum zu verletzen“, erklärt Terblanche.

Schon im Januar 2022 sollen erste Studien an Tieren beginnen. Für November sei Phase I der klinischen Studie geplant. Die WHO hat für das ehrgeizige Projekt 92 Millionen Euro bereitgestellt. Moderna verfolgt derweil eigene Pläne. Das Pharmaunternehmen will bis zu 500 Millionen Dollar (442 Millionen Euro) in eine Impfstofffabrik in Afrika investieren, die jährlich bis zu 500 Millionen Impfdosen herstellen soll. Auch Biontech/Pfizer will in Afrika produzieren.

„Die Covid-19-Pandemie hat gezeigt, dass es nicht ausreicht und gefährlich ist, sich bei der Versorgung der Welt mit globalen öffentlichen Gütern auf ein paar wenige Firmen zu verlassen“, sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus im Juni über das Projekt. Seit Monaten warnt er vor moralischem Versagen, weil reiche Länder eigene Verträge mit Pharmafirmen machten und sich Unmengen Impfstoff gesichert hätten. Während in reichen Ländern schon Auffrischimpfungen gemacht würden, warteten Dutzende arme Länder immer noch auf Impfdosen. Länder hätten auf seine Appelle hin zwar Impfdosen gespendet, aber bei weitem nicht genug, so Ghebreyesus. Während die WHO internationalen Druck aufbaut, schreitet Afrigen auch ohne die Hilfe der beiden großen Hersteller voran. „Wir hoffen, dass die regulatorischen Probleme gelöst sind, wenn unser Impfstoff in gut zwei Jahren marktreif ist“, sagt Terblanche.

HIV, Tuberkulose und Malaria 

Die Entwicklung eines Corona-Impfstoffes sei erst der Anfang. Zukünftig sollen weitere mRNA-Impfstoffe entwickelt werden, gegen HIV, Tuberkulose und Malaria – ebenfalls mit kostenfreien Lizenzen. Es sei das Ziel der Afrikanischen Union, bis 2040 rund 60 Prozent der auf dem Kontinent benötigten Impfstoffe selbst zu produzieren, erklärte der leitende wissenschaftliche Berater der Africa CDC, Nicaise Ndembi. „Wir beginnen, afrikanische Lösungen für globale Probleme zu schaffen.“

Human Rights Watch appelliert direkt an Bundeskanzler Olaf Scholz

Am Technologietransfer hapert es bislang. Human Rights Watch (HRW) hat gerade eine Liste mit 120 Firmen in aller Welt veröffentlicht, die schon in Kürze mRNA-Impfstoff herstellen könnten, wenn sie die Technologie bekämen. Die Menschenrechtsorganisation ruft Deutschland und die USA auf, Druck zu machen, damit die Mainzer Firma Biontech und die US-Hersteller Moderna und Pfizer ihr Wissen für eine breitere Impfstoffproduktion zur Verfügung zu stellen.

89 der Firmen sind in Indien und China angesiedelt, weitere beispielsweise in Vietnam, Ägypten, Senegal, Brasilien und Kuba. Experten haben nach Angaben von HRW solche Firmen auf die Liste genommen, die von renommierten Behörden etwa bei der Herstellung steriler Injektionsmittel anerkannt sind. Dazu gehören die europäische Arzneimittelbehörde EMA, die WHO und die US-Arzneimittelbehörde FDA.

In einem offenen Brief wandte sich HRW gemeinsam mit dem Europäischen Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte (ECCHR) direkt an Bundeskanzler Olaf Scholz. Darin fordern sie Scholz auf, „alle verfügbaren Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass die deutschen Entwickler von mRNA-Impfstoffen, beginnend mit Biontech, Technologietransfers ins Ausland vornehmen und die breitere Herstellung von COVID-19-Impfstoffen unterstützen, um schnell Leben zu retten und die Menschenrechte weltweit zu schützen.“ „Die Liste zeigt, dass die Produktion von mRNA-Impfstoffen außerhalb der USA und Deutschlands möglich ist“, teilte HRW mit. Moderna sowie Biontech und Pfizer hätten nur drei bis sieben Monate für den Technologietransfer gebraucht, um die Impfstoffe in eigenen neuen Fabriken herstellen zu können. Die Pharmaindustrie argumentiert immer, der Aufbau einer mRNA-Herstellung und die Schulung des Personals seien kompliziert und brauchten Jahre.

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Pro und Contra: Hilft eine Patentfreigabe?

Bislang vergeblich setzen sich die WHO und mehr als 100 Länder in der Welthandelsorganisation (WTO) dafür ein, dass der Patentschutz für COVID-19-Produkte aufgehoben wird. Die Pharmaindustrie, die Europäische Union und andere Länder wollen das nicht. Ihr Argument: Ohne Patentschutz seien Pharmafirmen nicht zu den hohen Investitionen bereit, die Innovationen hervorbrächten. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) erinnert daran, dass in die Entwicklung der Impfstoffe von Moderna und Biontech/Pfizer Milliarden Steuergelder geflossen sind. Deshalb müssten sie ihre Technologie zur Verfügung zu stellen. „Länder mit niedrigen und mittleren Einkommen (...) dürfen nicht von der Wohltätigkeit und Spenden reicher Länder und der Pharmaindustrie abhängig sein“, verlangte Candice Sehoma von MSF Südafrika. „Dafür stehen zu viele Menschenleben auf dem Spiel.“ Während Deutschland 69,3 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft hat, haben auf dem afrikanischen Kontinent mit seinen 1,2 Milliarden Menschen bislang nur 7,35 Prozent eine vollständige Impfung erhalten.



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