Bundesgerichtshof

Werbung für rein digitalen Arztbesuch ist unzulässig

Berlin - 09.12.2021, 14:50 Uhr

Der Bundesgerichtshof hat zwar erst einmal rigoros entschieden – zumindest die Telemedizinanbieter dürften mit dem Urteil nicht zufrieden sein. Allerdings hat er auch eine Tür für die Fernbehandlungs-Werbung geöffnet. (x / Foto: Nattakorn /AdobeStock)

Der Bundesgerichtshof hat zwar erst einmal rigoros entschieden – zumindest die Telemedizinanbieter dürften mit dem Urteil nicht zufrieden sein. Allerdings hat er auch eine Tür für die Fernbehandlungs-Werbung geöffnet. (x / Foto: Nattakorn /AdobeStock)


Die Werbung einer privaten Krankenversicherung für einen umfassenden „digitalen Arztbesuch“ per App verstößt gegen das Werbeverbot für Fernbehandlungen. Das hat der Bundesgerichtshof heute entschieden. Unerheblich ist demnach, dass die „behandelnden“ Ärzte in der Schweiz ansässig sind, wo die Fernbehandlung schon seit Jahren erlaubt ist.

Die Wettbewerbszentrale wollte es einmal wieder grundsätzlich wissen: Ist die Werbung von Krankenversicherern für telemedizinische Angebote, bei denen eine Behandlung von Patienten nur auf digitalem Wege erfolgt, zulässig?

Seit Dezember 2019 heißt es in § 9 Heilmittelwerbegesetz (HWG):


Unzulässig ist eine Werbung für die Erkennung oder Behandlung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden, die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen oder Tier beruht (Fernbehandlung). Satz 1 ist nicht anzuwenden auf die Werbung für Fernbehandlungen, die unter Verwendung von Kommunikationsmedien erfolgen, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist.“

§ 9 HWG


Das zuvor geltende generelle strenge Werbeverbot für Fernbehandlungen war gelockert worden, nachdem die Telemedizin zunehmend Einzug in die Versorgung gefunden hatte. Aber wann ist nun eine Werbung nach der neuen Norm zulässig? Was genau ist unter den „anerkannten fachlichen Standards“ zu verstehen? Das wollte die Wettbewerbszentrale klären lassen – und das ist nun geschehen. Am heutigen Donnerstag hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass die Werbung für eine umfassende, nicht auf bestimmte Krankheiten oder Beschwerden beschränkte ärztliche Primärversorgung (Diagnose, Therapieempfehlung, Krankschreibung) im Wege der Fernbehandlung gegen das Werbeverbot des § 9 HWG verstößt. Die Urteilsbegründung liegt allerdings noch nicht vor.

Worum ging es?

Im jetzt entschiedenen Fall ging es um die Werbung des privaten Krankenversicherers Ottonova. Dieser hatte seinen Kunden und Kundinnen auf seiner Internetseite den „digitalen Arztbesuch“ über eine App angekündigt. Beworben wurde dabei nicht nur Diagnose und Therapieempfehlung, sondern auch die Krankschreibung per App. Wörtlich hieß es: „Warum du den digitalen Arztbesuch lieben wirst. Erhalte erstmals in Deutschland Diagnosen, Therapieempfehlung und Krankschreibung per App.“ Dazu kam der verlockende Slogan: „Bleib einfach im Bett, wenn du zum Arzt gehst.“ Bei den sogenannten „eedoctors“, die die beworbene Fernbehandlung durchführen sollten, handelte es sich nach Angaben des Versicherers um erfahrene Ärzte in der Schweiz.

Die Wettbewerbszentrale rügte einen Verstoß gegen § 9 HWG und machte einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch geltend. Schon in den ersten beiden Instanzen hatte sie damit Erfolg. Das Oberlandesgericht München hatte die Revision zwar nicht zugelassen, aber die Versicherung legte Beschwerde ein und schaffte es so zum Bundesgerichtshof – dieser hat nun allerdings nicht in ihrem Sinne entschieden.

Anerkannte fachliche Standards können sich entwickeln 

Laut Pressemitteilung des Gerichts verstößt die beanstandete Werbung gegen § 9 HWG – und zwar sowohl in seiner alten wie auch in seiner neuen Fassung. Da es sich bei dieser Vorschrift um eine – dem Gesundheitsschutz dienende – Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG handelt, sei die Versicherung verpflichtet, die Werbung zu unterlassen.

Was das Fernbehandlungsverbot in seiner neuen Fassung betrifft, führt der Bundesgerichtshof aus, dass Apps, wie die hier vorliegende, grundsätzlich ein Kommunikationsmedium nach § 9 Satz 2 HWG sind, sodass eine Ausnahme vom Werbeverbot vorliegen könnte. Allerdings gelte dies nur dann, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist. Diese Voraussetzung sieht der Senat hier nicht erfüllt.

Fachgesellschaften und G-BA gefragt

Dazu stellt die Pressemitteilung klar: „Mit den allgemein anerkannten fachlichen Standards sind – entgegen der Ansicht der Beklagten – nicht die Regelungen des für den behandelnden Arzt geltenden Berufsrechts gemeint. Es kommt daher nicht darauf an, ob die beworbene Fernbehandlung den Ärzten in der Schweiz schon seit Jahren erlaubt ist.“ Auszulegen sei der Begriff der „allgemein anerkannten fachlichen Standards“ unter Rückgriff auf den entsprechenden Begriff in den Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs zum medizinischen Behandlungsvertrag (§ 630a Abs. 2 BGB) und die dazu von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze auszulegen. Danach könnten sich solche Standards auch erst im Laufe der Zeit entwickeln und sich etwa aus den Leitlinien medizinischer Fachgesellschaften oder den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) ergeben.

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Vorliegend habe die beklagte Versicherung für eine umfassende, nicht auf bestimmte Krankheiten oder Beschwerden beschränkte ärztliche Primärversorgung im Wege der Fernbehandlung geworben. Dass diese eine den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemeinen fachlichen Standards entspreche, sei nicht festgestellt. Da das Versicherungsunternehmen dies auch nicht behauptet hatte, sah sich Bundesgerichtshof zu einer abschließenden Entscheidung in der Lage.

Der Bundesgerichtshof hat damit zwar erst einmal rigoros entschieden – zumindest die Telemedizinanbieter dürften mit dem Urteil nicht zufrieden sein. Allerdings hat er auch eine Tür für die Fernbehandlungs-Werbung geöffnet. Im Laufe der Zeit können sich Standards entwickeln – und es wird sich zeigen, ob und wann die Fachgesellschaften oder der G-BA hier aktiv werden, objektive fachliche Standards zu setzen. Jedenfalls wird man es nicht den Telemedizinanbietern selbst überlassen dürfen, diese zu entwickeln.

Urteil des Bundesgerichtshofs vom 9. Dezember 2021, Az.: I ZR 146/20



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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