Rückblick

Das war die Amtszeit von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn

Stuttgart - 07.12.2021, 17:50 Uhr

Jens Spahns Zeit als Bundesgesundheitsminister ist vorbei. (c / Foto: Schelbert / DAZ)

Jens Spahns Zeit als Bundesgesundheitsminister ist vorbei. (c / Foto: Schelbert / DAZ)


Die Apothekerschaft hat vier turbulente Jahre mit dem scheidenden Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hinter sich: Das Ringen um das Rx-Versandhandelsverbot und später das VOASG, der Turbo bei der Digitalisierung und nicht zuletzt die zusätzlichen Aufgaben für die Apotheken während der Pandemie hielten den Berufsstand in Atem. Die DAZ blickt auf Spahns Amtszeit zurück und fragt: Was bleibt?

Am 14. März 2018 wurde Jens Spahn als Bundesgesundheitsminister und jüngstes Kabinettsmitglied im sogenannten Kabinett Merkel IV vereidigt. Der CDU-Politiker hatte bei seinem Amtsantritt viel vor. Drei großen Themen wollte er sich im Besonderen widmen: der flächendeckenden ärztlichen Versorgung, der Pflege und der Digitalisierung. Apothekenthemen standen offensichtlich nicht ganz oben auf seiner Agenda. Ganz entziehen konnte er sich ihnen aber nicht – dem EuGH-Urteil aus dem Oktober 2016 sei Dank. Dessen Folgen „erbte“ er von seinem Amtsvorgänger und Parteifreund Hermann Gröhe.

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Der Kontrast zu seinem Vorgänger im Amt hätte größer kaum sein können: Gröhe galt als Verwalter, der seine To-do-Liste Punkt für Punkt abarbeitete. Im Gegensatz dazu präsentierte sich Spahn als Macher und Gestalter und scheute dabei keine Konflikte, weder mit der Selbstverwaltung noch mit der eigenen Fraktion. Ein wesentlicher Punkt auf Gröhes To-do-Liste war am Ende seiner Amtszeit unerledigt geblieben: Infolge des EuGH-Urteils, das es den ausländischen Versendern erlaubte, Boni auf verschreibungspflichtige Arzneimittel zu gewähren, waren die Apotheken in Deutschland massiv benachteiligt. Gröhe war es aber nicht mehr gelungen, seine und die von der Apothekerschaft favorisierte Lösung, das Rx-Versandverbot, durchzusetzen.

Als letztes Vermächtnis landete folgende Formulierung im Koalitionsvertrag:


Um die Apotheken vor Ort zu stärken, setzen wir uns für ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ein.“

Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU aus dem Jahr 2017


Allerdings war jedem, der die Karriere von Jens Spahn aufmerksam verfolgt hat, klar: Das Rx-Versandverbot war für ihn keine Herzensangelegenheit – im Gegenteil. Da auch vom Koalitionspartner SPD nicht mit Druck in Richtung Rx-Versandverbot zu rechnen war – die Sozialdemokraten hatten dies nie befürwortet –, war rückblickend eine Umsetzung während der Amtszeit von Spahn nicht wirklich realistisch.

Das VOASG: Spahns Alternative zum Rx-Versandverbot

Was Spahn bezüglich des Rx-Versandverbots vorhatte bzw. welche Alternativen er für die Apotheken plante, blieb für die Apotheker lange eine Blackbox. Den versprochenen und mehrfach angekündigten Lösungsvorschlag blieb er beim Apothekertag 2018 noch schuldig – konkret wurde es erst im Dezember 2018 bei der ABDA-MV: Spahn schlug einen Bonus-Deckel vor und griff damit den Vorschlag der SPD-Fraktion zur Lösung des Versandhandelskonflikts auf. Außerdem sollte die Preisbindung im SGB V verankert werden.

Clever koppelt er diesen dicken Brocken an Neuregelungen, die sich die Apothekerschaft schon seit längerem gewünscht hatte: zum Beispiel die Möglichkeit, von den Kassen vergütete pharmazeutische Dienstleistungen zu erbringen, die Erhöhung der Nacht- und Notdienstpauschale sowie der BtM-Gebühr. Außerdem enthielt das Paket Neureglungen zum Botendienst, der Regelleistung werden sollte, was auch nicht unbedingt der erklärte Wunsch der Apothekerschaft war. 

Bei der ABDA stieß vor allem der Bonus-Deckel und damit die Aufhebung der Gleichpreisigkeit auf Widerstand. Eine komplette Ablehnung kam aber aufgrund der gebotenen Perspektiven auch nicht infrage. Einzelne sprachen gar von „erpresserischen Methoden“. In der Mitgliederversammlung wurde zum Thema Preisbindung ein Gegenvorschlag formuliert: Spahns Idee, die Arzneimittelpreisverordnung ins SGB V zu transportieren, wird aufgegriffen, zugleich soll allerdings ein striktes Rx-Boni-Verbot gegenüber GKV-Versicherten festgeschrieben werden – mit Sanktionsmöglichkeiten. Dieser Kompromissvorschlag findet sich tatsächlich auch in der heute geltenden Regelung wieder. 

Was von der Apothekenreform übrig blieb

Im Frühjahr 2019 legte der Minister dann einen ersten Entwurf eines Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetzes (VOASG) vor. Dieser enthielt neben den genannten Regelungen aber mit dem Vorstoß, in Apotheken gegen Grippe impfen zu lassen, noch ein Überraschungsei des Ministers, das die Apothekerschaft nie gefordert hatte. Der Konflikt mit den Ärzten war vorprogrammiert.

Allerdings wurde zunächst nur ein Teil von Spahns Apothekenreform wirksam – sie wurde filetiert und teils per Sammelverordnung durchgesetzt. Im Dezember 2020 trat das VOASG bzw. das, was davon übrig war, in Kraft und mit ihm das Rx-Boni-Verbot für GKV-Versicherte. Außerdem wurde die gesetzliche Grundlage für vergütete pharmazeutische Dienstleistungen geschaffen. Spahns Beharrlichkeit – er hatte seine Lösung des Versandhandelskonflikts ohne Rx-Versandverbot gegen Widerstände in den eigenen Reihen und in der Apothekerschaft verteidigt und die Gutachten und Analysen namhafter Juristen sowie hunderttausende Unterschriften für Petitionen ignoriert – hatte sich ausgezahlt.

Herzensprojekt Digitalisierung

Von Anfang war klar: Digitalisierung sollte Jens Spahns Thema werden. Um den Einfluss des BMG zu vergrößern und  das Ganze so zu beschleunigen, entmachtete er Kassen- und Leistungserbringer in der Gematik. So initiierte er eine Gesetzesänderung, durch die seinem Ministerium 51 Prozent der Anteile und damit die Kontrolle über die Gematik-Gesellschaft zukamen.

Der Wille des BMG war fortan maßgeblich für die Entscheidungen der Gematik. Digitalisierungsprojekte, wie das E-Rezept, hat das ohne Frage beschleunigt. Doch so schnell, wie Spahn sich das vorstellte, ging es dann doch nicht. So mussten immer wieder Fristen verlängert werden, zum Beispiel die Anbindung der Apotheken an die TI. Auch die Einführung es E-Rezepts wird nicht mehr wie ursprünglich geplant in seine Amtszeit fallen. Tempo schien Spahn oft wichtiger als Gründlichkeit.

Auch mit Blick auf die Digitalisierung des Gesundheitswesens stand der Vorwurf der Nähe zu den Arzneimittelversendern von Beginn seiner Amtszeit an im Raum. Seine Gesetzentwürfe wurden seitens der Apothekerschaft immer wieder als versenderfreundlich eingestuft. Zu nennen sind hier unter anderem die Sonderbehandlung der Versender bei der Ausgabe der für den TI-Zugang notwendigen Smartcards oder die Lücken zu ihren Gunsten in den Regelungen zum E-Rezept, zum Beispiel beim Makelverbot.

Für große Kritik und den Vorwurf der Vetternwirtschaft sorgte auch die Personalie Leyck Dieken bei der Gematik. Spahn machte den ehemaligen Pharmamanager dort zum Geschäftsführer inklusive üppigem Gehaltsplus. Auch lukrative Maskendeals im Zuge der Coronapandemie sollen seinem Umfeld zugeschustert worden sein. So soll beispielsweise Spahns Ehemann Maskenlieferanten die Tür zum BMG geöffnet haben.

Spahn und die Pandemie – eine Achterbahnfahrt

Jens Spahn hatte große Pläne. Corona war sicher keiner davon. Relativ bald sorgte Spahn im März 2020 mit der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite unter anderem dafür, dass das BMG Corona-Maßnahmen schnell per Verordnung regeln konnte und nicht den üblichen Weg der Gesetzgebung über das Parlament gehen musste. Ein Schritt, der viel kritisiert wurde und der auch immer wieder für Widerstand gegen die „am Bundestag vorbei“ beschlossenen Maßnahmen sorgte.

Zwar war Deutschland glimpflich durch die erste Welle gekommen. Spahn katapultierte das in den Beliebtheitsrankings der Politiker weit nach oben. Gar eine Kanzlerkandidatur und der Parteivorsitz schienen möglich. Doch dann schlitterte das Land offensichtlich unvorbereitet in die nächsten Wellen. Schnell hatte man das Gefühl, die Regierung (allen voran das BMG) hinkt mit ihren Entscheidungen immer hinterher – trotz eindringlicher Mahnungen und Warnungen der Wissenschaft. Und dann musste es immer ganz schnell gehen.

Die Apothekerschaft bekam das direkt zu spüren. So galt es innerhalb von kürzester Zeit die Maskenverteilung zu organisieren und Testzentren aufzubauen. Die nächste Hauruck-Aktion war die Digitalisierung der Impfzertifikate. Die Apotheker:innen meisterten das mit Bravour – und wurden, zumindest in ihrer Wahrnehmung, mehrfach um den versprochenen Lohn geprellt. Denn die Honorare wurden jeweils nachträglich empfindlich gekürzt, nachdem es Kritik an deren Höhe gegeben hatte.

Die Süddeutsche Zeitung schreibt unter Berufung auf Personen, die viel mit Spahn verhandeln, „Spahn denke immer in Schlagzeilen. Der Minister zeigt Härte, der Minister beendet die Pandemie, der Minister setzt sich durch. Spahn habe aber keine intrinsische Überzeugung, was richtig ist oder falsch. Auch deshalb sei die deutsche Corona-Politik immer so chaotisch: weil der Bundesgesundheitsminister nicht weiter vorausdenke als bis zum nächsten Zeitungsaufmacher.“ Eine Einschätzung, die er mit dem Hin und Her um die kostenlosen Bürgertests oder zuletzt auch dem Auslaufenlassen der epidemischen Lage unterstrich: Nach bald zwei Jahren Pandemie ist Jens Spahns Beliebtheit auf dem Tiefpunkt. Laut ARD-Deutschlandtrend sind 70 Prozent der Befragten mit seiner Arbeit unzufrieden.

Unterm Strich

Was bleibt über die Amtszeit von Jens Spahn hinaus? Die Apotheker nehmen weder ein Rx-Versandverbot noch die seit Jahren immer wieder geforderte Anpassung des Fixhonorars mit. Immerhin gab es kein die Apotheken betreffendes neues Spargesetz, es wurden sogar Anpassungen bei Notdienstpauschale und der BtM-Vergütung vorgenommen. Außerdem kann ein Honorar für den Botendienst abgerechnet werden. Als größten Posten auf der Habenseite kann die Apothekerschaft aber ganz klar die gesetzliche Grundlage für honorierte pharmazeutische Dienstleistungen für sich verbuchen.

Während der Pandemie hat Spahn den Apotheken viel zugemutet oder, wenn man es positiv ausdrücken will, viel zugetraut. Die Apotheke haben dies gestemmt und die Wichtigkeit einer flächendeckenden Versorgung unter Beweis gestellt. Inwiefern das in Erinnerung bleibt, wenn die neue Regierung „Effizienzgewinne innerhalb des Finanzierungssystems“ nutzen möchte, bleibt abzuwarten.

Jens Spahn wird aller Voraussicht nach die kommenden vier Jahre in der Opposition verbringen, er hat nach wie vor ein Bundestagsmandat. Dass die Karriere des 41-Jährigen noch nicht zu Ende ist, davon ist auszugehen. Die Frage ist nur, wann und welcher Funktion es ein Wiedersehen gibt.



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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