Leichtes bis mittelschweres COVID-19

Molnupiravir – vielversprechend, aber kein „Gamechanger“?

Stuttgart - 05.10.2021, 13:45 Uhr

Laut MSD senkte Molnupiravir das Risiko für Krankenhauseinweisung oder Tod im Vergleich zu Placebo um 50 Prozent. (x / Foto: Milos / AdobeStock)

Laut MSD senkte Molnupiravir das Risiko für Krankenhauseinweisung oder Tod im Vergleich zu Placebo um 50 Prozent. (x / Foto: Milos / AdobeStock)


Potenzial auch bei anderen Coronaviren?

Da die positiven Ergebnisse die Erwartungen übertroffen hatten, empfahl das unabhängige Aufsichtsgremium der Studie (Data Safety Monitoring Board) laut MSD den frühzeitigen Abbruch der Rekrutierung von neuen Versuchspersonen. Dies sei in Absprache mit der FDA geschehen, erklärt MSD. Zu diesem Zeitpunkt war die Rekrutierung dem „Science Media Center“ (SCM) zufolge zu 90 Prozent abgeschlossen. Eigenen Angaben zufolge plant MSD, diese Ergebnisse als Grundlage für einen alsbaldigen Antrag auf Notfallzulassung bei der US-amerikanischen FDA zu stellen, sowie weitere Zulassungsanträge bei anderen Aufsichtsbehörden weltweit einzureichen.

Wie wirkt Molnupiravir?

Molnupiravir ist ein Prodrug von N4-Hydroxycytidin, einem Ribonukleosid-Analogon, das statt Cytidin als falscher Baustein in die RNA von RNA-Viren eingebaut wird. Der auch als EIDD-2801 bekannte Wirkstoff wurde bereits für verschiedene Viruserkrankungen erforscht, laut „Ärzteblatt“ gegen Pocken und gegen Pferdeenzephalitis. Zudem veröffentlichten Wissenschaftler erst im Oktober 2019 eine Arbeit in „Science Translational Medicine“, in der sie EIDD-2801 als hochpotenten klinischen Kandidaten zur Behandlung von saisonaler und pandemischer Influenza empfahlen. Molnupiravir hemmt die Replikation mehrerer RNA-Viren, unter anderem SARS-CoV-2.

Die Ergebnisse klingen in der Tat hoffnungsvoll, allerdings ist es für grenzenlose Euphorie derzeit noch etwas früh. Professor Stefan Kluge, Direktor der Klinik für Intensivmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), erklärt gegenüber dem „Science Media Center“: „Die Daten sind vielversprechend, aber momentan handelt es sich nur um eine Zwischenauswertung einer Studie. Die Ergebnisse liegen auch noch nicht als Publikation vor, insofern muss man die endgültigen Ergebnisse abwarten. Wenn sich bestätigt, dass 50 Prozent weniger Krankenhauseinweisungen und Todesfälle bei COVID-19-Patienten durch diese Therapie erfolgen, dann wäre das ein sehr gutes, vielversprechendes Ergebnis.“ 

Vorteil orale Therapie

Er sieht einen Therapieplatz für Molnupiravir für Patienten mit Risikofaktoren im ambulanten Bereich und in der Frühphase der Erkrankung. Von einem „Gamechanger“ will er jedoch nicht sprechen. Und: „Der Wirkstoff wird die Impfungen selbstverständlich auch nicht überflüssig machen“, erklärt Kluge gegenüber dem SMC. Ein großer Vorteil sei die orale Verabreichungsform als Tablette. Hingegen müssten andere derzeit zur Behandlung von COVID-19 infrage kommende Arzneimittel – Tocilizumab, die Antikörper Casivirimab/Imdevimab und Remdesivir – intravenös appliziert werden. Dies erschwere die Behandlung im ambulanten Bereich massiv.

Auch Professor Ralf Bartenschlager, Leiter der molekularen Virologie am Universitätsklinikum Heidelberg und Präsident der deutschen Gesellschaft für Virologie, gibt sich zurückhaltend hoffnungsvoll. Er betont zusätzlich, dass Molnupiravir überwiegend bei Patienten zum Einsatz kam, die mit den neuen besorgniserregenden Virusvarianten (VOCs, Variants of Concern) vom Gamma- und insbesondere Delta-Subtyp infiziert waren. Dies mache die Ergebnisse umso mehr für die Praxis relevant. Bislang fehlten jedoch genaue Daten, auch zu den aufgetretenen unerwünschten Ereignissen. Zudem gibt Bartenschlager zu bedenken, dass bei breitem Einsatz des Virostatikums nach Zulassung dies auch den Druck zur Entstehung von Escape-Mutationen ermöglichen könne.

Potenzial auch bei anderen Coronaviren?

Dennoch sieht er Potenzial bei Molnupiravir, da das Wirkprinzip der Ribonukleosid-Analoga bereits bei anderen Viruserkrankungen funktioniere: „Es wird daher von großem wissenschaftlichem Interesse sein, die Substanz Molnupiravir auch bei anderen Viruserkrankungen einzusetzen – angefangen bei klassischen Coronaviren, die für den banalen Schnupfen verantwortlich sind, bis zu hochpathogenen Keimen wie MERS-Coronaviren, die vor wenigen Jahren insbesondere auf der arabischen Halbinsel gewütet haben. Dies bleibt jedoch spekulativ, bis weitere große randomisierte klinische Studien einen wirklichen Mehrwert belegen können.“



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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