Kommentar zur neuen Leitlinie der European Society of Cardiology

Ein Quartett ist der neue Standard – kein Deprescribing bei Herzinsuffizienz

24.09.2021, 07:00 Uhr

Der Aufbau von Versorgungsnetzwerken ist in der Behandlung der Herzinsuffizienz ein weiterer Erfolgsfaktor, der bei den ganzen Neuerungen fast untergeht. (c / Foto: contrastwerkstatt / AdobeStock)

Der Aufbau von Versorgungsnetzwerken ist in der Behandlung der Herzinsuffizienz ein weiterer Erfolgsfaktor, der bei den ganzen Neuerungen fast untergeht. (c / Foto: contrastwerkstatt / AdobeStock)


Vor Kurzem hat die „European Society of Cardiology“ ihre neue Leitlinie zur Therapie der Herzinsuffizienz veröffentlicht. Welche Wirkstoffe dort zu finden sind, erklärt Dr. Olaf Rose in diesem Kommentar. Er forscht neben dem Medikationsmanagement auch an pharmazeutischen Interventionen in kardiologischen und neurologischen Indikationen. 

Herzinsuffizienz ist eine Krankheit mit starker Auswirkung auf die Lebensqualität. Geringe Belastbarkeit, Dyspnoe und die erforderliche Diurese schränken den Bewegungsradius im Krankheitsverlauf zunehmend ein. In die Therapie ist in den letzten Jahren aber mächtig Bewegung gekommen. Zwar fehlt weiterhin der große Gamechanger, viele kleine Studien, Entwicklungen und klinische Erkennt­nisse haben die Behandlungsmöglichkeiten aber deutlich verbessert. Vor diesem Hintergrund wurde die Bewertung der Studienlage durch die neue Herzinsuffizienz-Leitlinie der „European Society of Cardiology“ (ESC) mit Spannung erwartet. Besonderes Augenmerk liegt auf der Herzinsuffizienz mit reduzierter linksventrikulärer Auswurffraktion (HFrEF), die einer Therapie besonders gut zugänglich ist.

Vier im Bunde: SGLT-Hemmer, ACE-Hemmer, Betablocker und Aldosteron-Antagonisten

In der Pharmakotherapie wurden nun die SGLT(Sodium dependent glucose co-transporter)-2-Hemmer in die Erstlinientherapie zur Verringerung von Morbidität und Mortalität gleichwertig zu ACE-Hemmern, geeigneten Betablockern und Aldosteron-Antagonisten aufgenommen. Diese Erkenntnis ist dem glücklichen Umstand zu verdanken, dass die U.S. Food and Drug Administration (FDA) kardiovaskuläre Sicherheitsstudien zu allen neuen Antidiabetika verlangt. 

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In den Studien EMPA-REG (Empagliflozin), CANVAS und CREDENCE (Canagliflozin), DAPA-HF & DECLARE TIMI-58 (Dapagliflozin) und VERTIS-CV (Ertugliflozin) fielen die SGLT-2-Hemmer nicht nur als sicher, sondern sogar als stark wirksam in der Behandlung der Herzinsuffizienz auf. Dies spiegelt sich nun in der aufgewerteten Erstlinienempfehlung wider. Ab sofort wird nun also ein Quartett neuer Standard in der Pharmakotherapie.

Sacubitril/Valsartan, Vericiguat und Schleifendiu­retika

Ebenfalls in die Erstlinientherapie aufgestiegen ist alternativ zu einem ACE-Hemmer die Molekülverbindung Sacubitril/Valsartan. Dieser einzige Vertreter der Angiotensinrezeptor-Neprilysin-Inhibitoren (ARNI) kam bislang hauptsächlich bei Patienten zum Einsatz, die unter Therapie mit ACE-Hemmer, Betablocker, Aldosteron-Antagonist und Schleifendiuretikum noch symptomatisch waren. In der Leitlinie soll Sacubitril/Valsartan zwar weiterhin erst im Therapieverlauf den ACE-Hemmer ersetzen, kann jetzt aber optional auch initial eingesetzt werden. Dessen Position als Add-on nimmt nun Vericiguat (s. Abb.; Zulassung am 16. Juli 2021) als Stimulator der löslichen Guanylatcyclase (sGC) ein, das neu in die Leitlinie aufgenommen wurde. Der Einsatz von einem Angiotensinrezeptor-Neprilysin-Inhibitor oder Guanylatcyclase-Stimulator wird in der Praxis vermutlich weiterhin durch die höheren Therapiekosten nur halbherzig umgesetzt werden. 

Schleifendiu­retika werden weiterhin von den die Mortalität senkenden Wirkstoffen getrennt angeführt, wenngleich sie durch die Volumenüberladung bei fast allen Patienten ein wesentlicher Pfeiler der Behandlung sind. Die Unterscheidung zwischen „Basistherapie“ und „symptomatischer Therapie“ bleibt damit formal erhalten, obwohl alle „Basistherapeutika“ natürlich auch die Symptome verbessern.

Quartett plus Schleifendiuretikum senkt langfristig die Mortalität 

Die Verbesserungen werden bei Herzinsuffizienz also durch die Kombination der unterschiedlichen Wirkansätze erzielt. Ein unbegründetes Deprescribing nach Neueinstellung wird schon jetzt häufig beobachtet, scheint zunächst auch folgenlos zu sein, ist für den Therapieverlauf aber kontraproduktiv. Die Polymedikation mit Quartett plus Schleifendiuretikum senkt langfristig die Mortalität und verbessert die Lebensqualität, dies ist die klare Botschaft der Leitlinie. Sämtliche Wirkstoffe können entsprechend nun auch beim neu benannten Schweregrad ‚mild reduzierte Auswurffraktion‘ (HFmrEF) zum Einsatz kommen.



Dr. Olaf Rose, PharmD, Autor, DAZ.online
redaktion@daz.online


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