Ärzte sind offenbar das Nadelöhr

E-Rezept: Wackelt der Start am 1. Januar?

Stuttgart - 16.09.2021, 15:15 Uhr

Ab dem 1. Januar 2022 sollen E-Rezepte Standard werden. Doch ob dieser Termin zu halten ist, daran gibt es erhebliche Zweifel. (Foto: IMAGO / epd)

Ab dem 1. Januar 2022 sollen E-Rezepte Standard werden. Doch ob dieser Termin zu halten ist, daran gibt es erhebliche Zweifel. (Foto: IMAGO / epd)


Zum 1. Januar 2022 sollen E-Rezepte Pflicht werden. So ist zumindest der Plan. Welche Baustellen es auf dem Weg dahin noch gibt, darüber sprachen bei der „Expopharm impuls“ Vertreter der Gematik, der ABDA, der KBV, der Kassen sowie eine Berliner Apothekeninhaberin, die am Modellprojekt beteiligt ist. Dabei wurde klar: Außer dem Gematik-Chef glaubt niemand so richtig daran, dass das Ganze zum anvisierten Termin klappt.

Seit 1. Juli 2021 werden in der „Fokusregion“ Berlin-Brandenburg E-Rezepte getestet, am 1. Oktober soll das Projekt dann bundesweit ausgerollt werden. Das ambitionierte Ziel: Mit Beginn kommenden Jahres sollen die „normalen“ Muster-16-Rezepte durch elektronische Verordnungen abgelöst werden. Doch das könnte eng werden, denn die Ärzteschaft ist offenbar noch nicht bereit für den Umbruch. Das machte Thomas Kriedel, Mitglied des Vorstands der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), bei einer Diskussionsrunde klar, die am gestrigen Mittwoch bei der Expopharm impuls ausgestrahlt wurde.

Zum einen macht er sich Sorgen um die Technik. Von den mehr als 100 Praxissoftwareanbietern sei bislang lediglich einer in der Lage, E-Rezepte auszustellen. Außerdem äußerte Kriedel Zweifel, dass bis zum Start des E-Rezepts wirklich alle Praxen mit einem HBA ausgestattet sein werden – denn der ist für die Signatur der elektronischen Verordnung zwingend erforderlich. Die Ärztinnen und Ärzte hätten lange keine Notwendigkeit gesehen, das Dokument zu beantragen. Daher gäbe es jetzt mit dem E-Rezept vor der Tür Kapazitätsengpässe bei den herstellenden Unternehmen. Auf einen genauen Termin, auf den der Start verschoben werden sollte, wollte sich der KBV-Funktionär allerdings nicht festlegen lassen.

Der einzige in der Runde, der bezüglich des geplanten Starttermins optimistisch ist, war Gematik-Chef Markus Leyck Dieken. In seinen Augen gäbe es auch keine Engpässe der Kartenherausgeber. Die vier Anbieter hätten ausreichend Kapazitäten, so der Gematik-Chef. „Man muss sich nur auf den Weg machen und sie beantragen.“ Die Arztsoftwarehäuser machen allerdings auch Leyck Diecken Sorge. Er kritisiert vor allem, dass diese den offiziellen Starttermin am 1. Januar 2022 als ihren Starttermin betrachteten und nicht die aktuelle Testphase. Allerdings hätte die KBV als Zertifizierungsstelle hier auch einen Hebel: Sie könnte im vierten Quartal nur noch E-Rezept-fähige Systeme zulassen. Auch die Vertreterin der Apothekerschaft, die Inhaberin der Berliner Opernviertel-Apotheke Beate Garbe, die am Modellprojekt teilnimmt, ist nicht wirklich überzeugt, dass das Ganze am 1. Januar startet, auch wenn apothekenseitig die Dinge größtenteils zu funktionieren scheinen.

Was bringt das E-Rezept? 

Ein weiteres Thema der Runde war, welchen Nutzen das E-Rezept denn eigentlich bringt. Auch hier war es vor allem Leyk Dieken, der den Mehrwehrt anpries. Es sei ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Digitalisierung. Die Tatsache, dass es in vielen Ländern Europas digitale Verordnungen gibt, zeige, dass man darin einen Vorteil sehe. Konkret nannte Leyck Dieken die Möglichkeit der Wiederholungsverordnungen oder Patient:innen im Fall der Veröffentlichung eines Rote-Hand-Briefs zu informieren. Außerdem könne man grenzüberschreitend Rezepte einlösen. Die Kassenvertreterin Sabine Richard vom AOK-Bundesverband erwartet eine einfachere Abrechnung durch den Wegfall von Medienbrüchen in der Verordnungskette und somit potenziellen Fehlerquellen. ABDA-Vizepräsident Mathias Arnold sieht vor allem Vorteile für die Versorgungsforschung und ebenfalls beim Wegfall der Medienbrüche. KBV-Mann Kriedel hingegen erkennt für die Ärzte durch die Einführung des E-Rezepts erstmal überhaupt keinen Nutzen.


Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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2 Kommentare

Produktivbetrieb?

von Carsten Moser am 16.09.2021 um 17:28 Uhr

Es kann ja wohl kaum irgendjemand ernst meinen, dass wir die Versorgung der Bevölkuerung ab dem 01.01.21 im Produktivbetrieb(!) mit einem System umsetzen sollen, wo nur der Stadthalter von Herrn Spahn überhaupt glaubt (nicht weiß!), dass es zum Jahreswechsel funktionieren KÖNNTE!

Nach der Wahl - wenn es keinen Grund mehr gibt das System (und damit seinen Auftraggeber Spahn) weiter in Schutz zu nehmen - wird das ganze Thema hoffentlich in die Tonne verbannt.

Einen erneuten Anlauf können wir gerne mit der Telematik 2.0 unternehmen, wenn die 2025 umgesetzt wird. Dann können wir den ganzen sinnlose Elektroschrott endlich wieder in den Keller verbannen.

Schade ist es nur um die Steuergelder und ungezählten Mannstunden, die Herr Spahns Holland-Förderungsprogramm gekostet hat.

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Aut Idem 2.0

von Jan Kusterer am 16.09.2021 um 15:50 Uhr

Wenn Ärztinnen ihre Leistungen und einen Mehraufwand nicht ausreichend finanziell gewürdigt sehen machen sie keine Mehrleistungen. Und da haben sie völlig recht.

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