Norddeutsches Apothekenrechenzentrum

NARZ: Bereit für das E-Rezept, aber skeptisch beim Zeitplan

13.09.2021, 10:45 Uhr

Dr. Jörn Graue (li.), Vorstandsvorsitzender des NARZ, erwartet noch lange eine tragende Rolle für das Papierrezept. Matthias Götzlaff wurde als Beisitzer neu in den Vorstand des NARZ gewählt. (s /Foto: tmb / DAZ)

Dr. Jörn Graue (li.), Vorstandsvorsitzender des NARZ, erwartet noch lange eine tragende Rolle für das Papierrezept. Matthias Götzlaff wurde als Beisitzer neu in den Vorstand des NARZ gewählt. (s /Foto: tmb / DAZ)


Das Norddeutsche Apothekenrechenzentrum (NARZ) arbeitet intensiv am E-Rezept. Vorstand und Geschäftsführung sind aber skeptisch, ob es Anfang 2022 flächendeckend starten wird. Zudem sieht sich das NARZ durch die AvP-Insolvenz in seiner bisherigen Geschäftspraxis mit offenen Treuhandkonten und ohne Forderungsabtretungen bestätigt. Künftig möchte es mit Kooperationen und neuen Produkten weitere Zielgruppen erschließen, beispielsweise bei Abrechnungen für die PKV und Krankenhausapotheken.

Bei der Mitgliederversammlung am 11. September in Hamburg erklärte der NARZ-Vorstandsvorsitzende Dr. Jörn Graue, mit einer neuen Bundesregierung „wird nicht nur für uns alles anders werden“. Das NARZ sei für das E-Rezept bereit, aber es sei abzusehen, „dass noch lange Zeit das Papierrezept neben dem elektronischen Rezept die tragende Rolle spielen wird“. Es gehöre nicht viel dazu, vorherzusehen, „dass selbst die partielle Einführung zu dem festgesetzten Zeitpunkt mehr als ambitioniert zu sein scheint“. Graue verglich die Veränderungen durch die Digitalisierung mit der Industrialisierung.

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In dieser Umbruchzeit habe unerwartet die Pandemie auch den härtesten Verfechtern des freien Warenverkehrs klargemacht, dass der „Ort-Apotheke“ und dem „Ort-Personal“ eine wesentlich tragendere Bedeutung einzuräumen sei als kapitalgesellschaftlich gesteuerten EU-Versendern. „Wenn man im Versandhaus sitzt, sollte man tunlichst nicht mit Steinen werfen“, erklärte Graue und verwies auf die jüngste Entscheidung des Europäischen Gerichtshof zum Heilmittelwerbegesetz. Graue sieht darin „eine beachtliche Kehrtwendung in der rechtlichen Wahrnehmung subsidiärer Gesetzgebung“.

Pandemiebekämpfung und ihre Folgen

Zur Pandemiebekämpfung erklärte Graue, die Ausgaben des Bundesgesundheitsministeriums sprengten jeden Rahmen, und warnte: „Der Kassensturz wird fürchterlich sein.“ Die Apotheken könnten daraufhin kein Entgegenkommen der Krankenkassen erwarten. Deren Funktionäre verorteten die Ursachen für ihre ausgelaugten Rücklagen inzwischen weniger bei den Kosten der Pandemie und mehr beim exorbitanten Ausgabeverhalten des Ministeriums. Die gute Sache, der der Regel-Wirrwarr dienen solle, rechtfertige nicht immer den Eifer, folgerte Graue. Das gelte auch für den Datenschutz. Bei der Drohung von Datenschützern, Bußgelder gegen Apotheken wegen der vorübergehenden Aufzeichnung persönlicher Daten zu verhängen, irritiere schon der Ansatz. Denn auch hier gelte der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Außerdem dürften gemäß Bundesdatenschutzgesetz keine Bußgelder gegen öffentliche Stellen verhängt werden und es sei hier darüber nachzudenken, ob Apotheken in diesem Fall rechtspolitisch als solche einzustufen seien.

Graue warnt vor den Folgen von Plattformen und Algorithmen

Mit Blick auf die Folgen der Digitalisierung mahnte Graue, uns blühten chaotische Zeiten, wenn die störungsfreie Umsetzung des ambitionierten Vorgangs nicht gelinge. Da würden auch die verschiedenen Plattformen nicht helfen, die „nur vermeintliches Heil suggerieren“. Die demokratischen Spielregeln würden buchstäblich außer Kraft gesetzt. „Wenn ich mit meinen Profilen selbstlernende Algorithmen füttere, darf ich mich nicht wundern, wenn Maschinen wissen, was ich will, oder mich dazu veranlassen, das zu tun, was sie wollen“, sagte Graue. Doch mit Blick auf das NARZ erklärte er, den Mitarbeitern sei der Ernst der Lage sehr bewusst und sie seien „ausnahmslos höchst motiviert und engagiert“, die Herausforderungen „bravourös zu bewältigen“.

Wachstum und neue Geschäftsfelder für das NARZ

Mark Beushausen und Apotheker Dr. Jan Schneider stellten sich als neue Mitglieder der Geschäftsführung des NARZ vor. Beushausen präsentierte stellvertretend für Hanno Helmker den Bericht der Geschäftsführung. Demnach hat das NARZ nach der Insolvenz des Rechenzentrums AvP mehreren hundert Apotheken in kürzester Zeit Hilfe bei der Aufrechterhaltung ihrer Liquidität geboten und viele Neukunden gewonnen. In der Reaktion auf die AvP-Insolvenz zeige sich, dass das NARZ schon immer vorbildlich gearbeitet habe, etwa mit den künftig vorgeschriebenen offenen Treuhandkonten und seit jeher ohne Abtretung von Forderungen der Apotheker.

Weiter berichtete Beushausen, das NARZ habe im Hamburger Apothekerhaus ein Innovationszentrum geschaffen, in dem neue Produkte, insbesondere zur Verzahnung mit Warenwirtschaftssystemen, entwickelt werden sollen. Gemeinsam mit Partnern habe das NARZ die Hansa Business Solutions (HBS) für neue Abrechnungsaufgaben, beispielsweise mit der PKV, gegründet. Außerdem sei Software zur Abrechnung für Krankenhausapotheken entwickelt worden, um die in diesem Bereich durch die AvP-Insolvenz entstandene Lücke zu schließen. Die NARZ-Gruppe wolle ihre Marktstellung ausbauen. Sie wolle Marktanteile in anderen Bundesländern gewinnen und mit neuen Dienstleistungen und Produkten neue Zielgruppen erschließen.

Erfolgreiches Geschäftsjahr 2020

Das Geschäft sei im Berichtsjahr 2020 planmäßig verlaufen. Der Umsatzanstieg habe die gestiegenen Kosten aufgefangen. Die Eigenkapitalquote betrage 91 Prozent beim NARZ, 95 Prozent bei der GfI und 82 Prozent bei der AVN und liege damit „auf gewohnt exzellentem Niveau“.

Noch viel Arbeit für das E-Rezept

In der weiteren Digitalisierung sieht die Geschäftsführung Chancen und Risiken. Probleme entstünden durch nicht abgestimmte Konzepte und Insellösungen. Das NARZ habe alle Modellprojekte für das E-Rezept begleitet, aber die Geschäftsführung sieht einige mögliche Gründe, die die zum 1. Januar 2022 geplante flächendeckende Einführung verzögern könnten. Beispielsweise zum Datenschutz, den Versicherungsmöglichkeiten und den Folgen bei Verlust seien noch viele Fragen offen. Geschäftsführer Ommo Meiners ergänzte, aus der Pilotregion Berlin/Brandenburg seien einige Rezepte beim NARZ angekommen. Doch es gebe noch viele technische Aufgaben zu Detailfragen.

Vorstandwahl: Matthias Götzlaff folgt auf Berend Groeneveld

Der stellvertretende Vorstandsvorsitzende Dr. Peter Froese und die Beisitzerin Christiane Lutter wurden turnusgemäß für eine neue Amtszeit einstimmig wiedergewählt. Auch die Amtszeit von Berend Groeneveld als Beisitzer im Vorstand endete turnusgemäß, er stellte sich jedoch nicht zur Wiederwahl. Groeneveld, der auch Vorsitzender des Landesapothekerverbands Niedersachsen ist, erklärte, er wolle aus gesundheitlichen Gründen die Zahl seiner Ämter reduzieren. Er war seit 2006 im Verwaltungsrat oder im Vorstand des NARZ, dankte für die vertrauensvolle Zusammenarbeit und beschrieb das NARZ auf norddeutsche Weise als „Buhne in der anflutenden Brandung des Wandels“ (zur Erklärung: Buhnen sind Bauwerke zur Landgewinnung und Stabilisierung der Küstenlinie). Groeneveld schlug Matthias Götzlaff, Haste, als seinen Nachfolger und weiteren Vertreter Niedersachsens im NARZ-Vorstand vor, der daraufhin einstimmig gewählt wurde.

Große Mühe für Apotheken bei Selbstabrechnung

Zur Frage nach Selbstabrechnungen von Apotheken verwiesen die Geschäftsführer Schneider und Meiners auf die große Komplexität der Abläufe, Buchungen und Datenlieferungen. Es müsste dann eine enorme Anzahl von Papierrechnungen an Kostenträger, Ämter und Hersteller erstellt und verarbeitet werden. Hinzu kämen Datenlieferungen auf CD. Graue erklärte, dass bei den Krankenkassen offensichtlich niemand an Direktabrechnungen interessiert sei. Froese ergänzte, die Rechtsstellung der Rechenzentren sei gesetzlich klar geregelt, aber es sei sehr schwierig einzuordnen, wo ein Dienstleister stünde, der Apotheken bei der Selbstabrechnung unterstützen würde. Es könne nicht sein, dass jemand, der möglicherweise mit den Krankenkassen in Verbindung steht, die Rechnungen an diese stelle. Dazu habe der Apothekerverband Schleswig-Holstein gemeinsam mit der Apothekerkammer einen Antrag zum Deutschen Apothekertag gestellt.



Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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