Neue Leitlinie zu Komplementärmedizin für onkologische Patienten

Profitieren Krebspatienten von Yoga und Qigong?

Stuttgart - 03.09.2021, 09:15 Uhr

Die S3-Leitlinie „Komplementärmedizin für onkologische Patientinnen und Patienten“ soll sowohl Ärzten wie auch anderen in der Versorgung von Tumorpatienten tätigem Fachpersonal und Patienten eine solide und wissenschaftlich fundierte Basis für eine Entscheidung geben. (Foto: Yakobchuk Olena / AdobeStock)

Die S3-Leitlinie „Komplementärmedizin für onkologische Patientinnen und Patienten“ soll sowohl Ärzten wie auch anderen in der Versorgung von Tumorpatienten tätigem Fachpersonal und Patienten eine solide und wissenschaftlich fundierte Basis für eine Entscheidung geben. (Foto: Yakobchuk Olena / AdobeStock)


Chemo- und/oder Strahlentherapie helfen dem Körper, den Krebs zu bekämpfen. Doch wie sieht es mit tumorassoziierten Symptomen wie Depressionen, Schlafstörungen oder Fatigue aus? Können hier vielleicht alternativmedizinischen Verfahren – beispielsweise Akupunktur, Bioresonanz oder Yoga – helfen? Eine neue Leitlinie informiert nun, welche Verfahren und Methoden Ärzte und Apotheker empfehlen können – tut also Qigong Krebspatienten gut und wenn ja, bei welchen Beschwerden?

Welche Tumorbehandlungen Krebspatient:innen erhalten sollen, welche Behandlungsmethoden die beste Chance auf Heilung oder die größte Verzögerung des Tumorwachstums bringen, klären die jeweiligen Leitlinien zu den einzelnen Krebserkrankungen wie Lungenkrebs, Brustkrebs oder Leukämie. Doch wie sieht es eigentlich mit alternativmedizinischen Behandlungen aus – Akupunktur oder Bioresonanz, Yoga oder Meditation? Das Angebot der Komplementärmedizin ist zwar riesig, nicht alles ist jedoch wissenschaftlich fundiert.

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Welche Methoden und Substanzen können onkologischen Patient:innen von Ärzten und Ärztinnen oder in der Apotheke empfohlen werden, von welchen sollte eher abgeraten werden? Tut beispielsweise Yoga Frauen mit Brustkrebs und Schlafstörungen wirklich gut oder hilft Tai Chi bei Fatigue?

Neue Leitlinie zur Komplementärmedizin für onkologische Patienten

Um auch hier evidenzbasiert, also auf Basis des aktuellen Standes der Wissenschaft, arbeiten zu können und Krebspatienten seriöse Empfehlungen aussprechen zu können – positiv wie negativ, also tun oder nicht tun –, hat eine Vielzahl von Berufsverbänden, Fachgesellschaften und Patientenorganisationen die derzeit verfügbare Wissenschaft dazu evaluiert. Herausgekommen ist die S3-Leitlinie „Komplementärmedizin für onkologische Patientinnen und Patienten“, die sowohl Ärzten und Ärztinnen wie auch anderen in der Versorgung von Tumorpatienten tätigem Fachpersonal und auch Patienten eine solide und wissenschaftlich fundierte Basis für eine Entscheidung geben. Die Leitlinie soll in erster Linie die Versorgung der Betroffenen verbessern und als „präzises Nachschlagewerk“ dienen. Nicht zuletzt soll sie auch Aus-, Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten in diesem Gebiet fördern.

Für die Leitlinie haben Autoren ausschließlich Studien mit onkologischen Patienten berücksichtigt, sodass alle Empfehlungen auch ausschließlich diese Patientengruppe adressieren. Die Leitlinie ist dabei so aufgebaut, dass sie zum einen zu Verfahren nach krebsbezogenem Symptom – zum Beispiel Appetitmangel, Fatigue, Schlafstörungen, Dermatitis, Übelkeit/Erbrechen, Schmerzen – informiert, zum anderen zu einzelnen Verfahren oder Substanzen – wie Akkupunktur, Bioresonanz, Ginseng, Ingwer, Homöopathie Meditation und – und bei welchen Beschwerden sie angewendet werden sollen, können oder eben nicht.

Sollte, soll, kann – was bedeutet die Empfehlungsstärke?

In Leitlinien finden sich häufig Ausdrucksweisen wie „Empfehlungsgrad A“ oder „B“ oder „0“ oder „starker Konsens“ beziehungsweise „Konsens“ – doch was bedeutet das eigentlich?

Empfehlen die Studienautoren ein Verfahren oder eine Substanz mit dem Empfehlungsgrad A, empfehlen sie dieses Verfahren oder diese Substanz „stark“ – das bedeutet: Der Patient „sollte“ es anwenden. Empfehlungsgrad B ist etwas schwächer, die Leitlinienautoren empfehlen das Verfahren aber durchaus, und der Patient „soll“ es anwenden. Steht beim Empfehlungsgrad hingegen eine „0“, „kann“ der Patient das Verfahren anwenden, aber die Leitlinienautoren lassen den Grad ihrer Empfehlung offen.

Und was steckt hinter der Konsensstärke? Liegt ein „starker Konsens“ vor, waren mehr als 95 Prozent der Stimmberechtigten bei Erstellung dieser Leitlinie dieser Meinung. Bei einem „Konsens“ waren sich mehr als 75 bis 95 Prozent der Leitlinienautoren einig. Für eine „mehrheitliche Zustimmung“ müssen mehr als die Hälfte (50 Prozent) bis maximal drei Viertel (75 Prozent) aller Stimmberechtigten die gleiche Auffassung in diesem Punkt vertreten, und ein Dissens liegt vor, wenn nur weniger als die Hälfte (50 Prozent) der Leitlinienautoren nicht der gleichen Meinung war.

Yoga bei Krebs?

Wie sieht es nun mit Yoga aus? Bei welchen krebsbedingten Symptomen können die aus Indien stammenden geistigen und körperlichen Übungen helfen? Die Leitlinie nennt einige Symptome, bei denen Yoga Studien zufolge positive Effekte gezeigt hat, zum Beispiel Fatigue. So „sollten“ Krebspatienten – und zwar unabhängig vom Tumor – mit Fatigue während und nach Chemo- beziehungsweise Strahlentherapie Yoga praktizieren. Bei Fatigue erhält Yoga damit die stärkste Empfehlung, bei anderen krebsbedingten Beschwerden – wie Schlafstörungen, kognitive Beeinträchtigung, menopausale Symptome oder der krebsspezifischen Lebensqualität – nach Beendigung einer Chemo- oder Strahlentherapie bei Brustkrebspatienten, lassen die Studienautoren den Empfehlungsgrad offen. Das heißt: Die Patientin „kann“ Yoga praktizieren – sie raten weder zu, aber auch nicht ab. Gleich sieht die Datenlage wohl für Patienten und Patientinnen mit Darmkrebs (Kolorektalkarzinom) aus, wenn sie nach Abschluss ihrer Chemo- oder Strahlentherapie an Angststörungen leiden oder depressiv sind – die Leitlinienautoren sprechen eine „Kann“-Empfehlung aus.

Tai Chi und Qigong bei Ein- und Durchschlafstörungen

Tai Chi, oft auch als Schattenboxen bezeichnet, ist eine meditative Bewegungsübung mit langsamen und fließenden Bewegungen, die Kraft, Beweglichkeit, Atemtechniken und Koordination vereinen. Qigong ist meist durch vereinfachte Bewegungsabläufe und Wiederholungen der Bewegungsroutinen charakterisiert. Können Krebspatienten von diesen aus der traditionellen chinesischen Medizin stammenden Übungen profitieren? Wie auch Yoga haben Tai Chi und Qigong den Recherchen der Studienautoren zufolge einen positiven Effekt bei onkologischen Patienten mit Fatigue – sie sprechen eine „Sollte“-Empfehlung aus. Genauso bei Ein- und Durchschlafstörungen, auch hier „sollten“ Patienten mit Tumorerkrankungen Tai Chi oder Qigong praktizieren. Weniger gut scheint die Datenlage bei Depressivität und der Lebensqualität: So „können“ Patienten bei Depressionen oder eingeschränkter Lebensqualität aufgrund einer Krebserkrankung Tai Chi oder Qigong üben, die Leitlinienautoren raten weder explizit zu, noch ab.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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