Kommentar

Was ist eine Rezeptur? – Klären statt Abwarten

Süsel - 12.08.2021, 12:15 Uhr

DAZ-Redakteur Dr. Thomas Müller-Bohn fordert eine grundlegende Klarstellung, wie Rezepturen in all ihren Varianten zu definieren sind. (Foto: Victor Moussa /stock.adobe.com)

DAZ-Redakteur Dr. Thomas Müller-Bohn fordert eine grundlegende Klarstellung, wie Rezepturen in all ihren Varianten zu definieren sind. (Foto: Victor Moussa /stock.adobe.com)


Die jüngste Entwicklung um die Opiumtinktur ist aus berufspolitischer Sicht ein weiterer Aspekt der seit Jahrzehnten geführten Verfahren um das Rezepturprivileg. Den Zusammenhang des aktuellen Falls mit dieser langfristigen Entwicklung beschreibt DAZ-Redakteur Dr. Thomas Müller-Bohn in einem Kommentar.

Ein erfundenes Szenario könnte nicht stärker überzeichnet werden als die Konstellation, die sich derzeit rund um die Opiumtinktur bietet. Sie enthält genug Stoff für mehrere Dramen. Besonders beeindruckend, dass es dabei um eines der ältesten noch angewendeten Arzneimittel geht.

Kaum ein anderes Produkt könnte den Archetypus eines Arzneimittels besser verkörpern, das in der Apotheke für einen Patienten individuell abgefüllt wird, gestützt auf die Qualitätsvorgaben des amtlichen Arzneibuchs. Das ist das klassische Dispensieren, wie es seit Jahrhunderten praktiziert wird, Apothekertätigkeit in Urform. Doch einige Gerichte wollen nun erkennen, dass dies keine Rezeptur wäre. Das Produkt soll angeblich ein Fertigarzneimittel sein, obwohl es aus einer Zeit stammt, in der es so etwas noch gar nicht gab. Wie deutlich kann es noch werden, dass an diesen Auslegungen irgendetwas nicht folgerichtig sein kann?

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Es wird allerhöchste Zeit, diese Argumente zu hinterfragen und dabei auch den Versorgungszweck der Rezeptur zu bedenken. In der seit Jahrzehnten andauernden Serie von Urteilen, die das Defektur- und Rezepturprivileg einengen, ging es meist um ausgefallene Produkte, die nur in wenigen Apotheken interessierten. Darum gab es bisher keinen Aufschrei. Doch nun betrifft es ein Produkt mit mehr Versorgungsrelevanz, das in vielen Apotheken zumindest gelegentlich vorkommt.

Darum sorgen sich nun viele Apotheker. Wenn ein Produkt fällt, könnte auch das Abfüllen anderer Arzneimittel infrage gestellt werden. Die politisch aufmerksam verfolgte Versorgung mit Cannabisblüten stellt praktisch dieselbe Konstellation dar. Wenn dann noch weitere Ecken herausbrechen, bliebe bald nicht mehr genug übrig, um die Rezeptur als Institution zu erhalten.

Katastrophe für Apotheker und Patienten

Das wäre eine Katastrophe für das Selbstverständnis und die Außendarstellung der Apotheker und ein willkommenes Argument für die Versender. Denn dann entfiele ein wesentlicher Unterschied zwischen Vor-Ort-Apotheken und Versand. Doch vor allem wäre es eine Katastrophe für die Patienten. Denn ein wichtiger Teil der Versorgung stünde nicht mehr zur Verfügung und für Krisenzeiten wäre ein entscheidendes Stück Sicherheit verloren. Die Erinnerung an die Herstellung von Desinfektionsmitteln ist noch frisch. Dies alles spricht dafür, das Thema nun endlich vom Ende her zu denken.

Ein Fall, viele Dramen

Doch im Fall der Opiumtinktur sind noch mehr Geschichten zu erzählen. Geradezu klischeehaft stehen sich ein Kleinunternehmen und ein Anbieter im Besitz eines internationalen Private-Equity-Fonds gegenüber. Wenn den Apotheken das Abfüllen der Tinktur verboten würde, wäre der Hauptlieferant des Produkts in seiner Existenz bedroht. Ein weiterer Aspekt betrifft die Produkte. Es geht es um wirkstoffgleiche Arzneimittel mit einem erheblichen Preisunterschied, wobei das teurere Fertigarzneimittel letztlich von generationenlangen Erfahrungen mit dem abgefüllten Rezepturprodukt inspiriert wurde. Mit dem finanziellen Aspekt dürften auch die Krankenkassen zumindest als aufmerksame Beobachter angesprochen sein.

Apotheker zwischen den Fronten

Zwischen allen diesen Fronten stehen die Apotheken. Der aktuelle Streit zwischen den Herstellern vermischt sich mit anderen Angriffen auf die Rezeptur. Wenn die Apotheker an einer Stelle zurückweichen, könnte ihre ganze Position zu diesem Themenkreis in Gefahr geraten. Das bringt die Apotheken in ein Dilemma: Wer sich in juristischer Hinsicht gerne vorsichtig verhalten möchte, kann damit seine berufspolitische Position gefährden. Die juristische Vorgehensweise ist von der politischen Position nicht mehr zu trennen. Nun rächt sich, dass das Thema so lange vernachlässigt wurde.

Es bleibt die Hoffnung auf eine schnelle Klärung. Diese ist aufgrund der Verfahrenswege weder juristisch noch politisch zu erwarten. Doch zumindest für den Fall der Opiumtinktur kann das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte als zuständige Bundesoberbehörde über die Zulassungspflicht entscheiden. Dies könnte den aktuellen Fall vermutlich beenden. Doch falls die Behörde die Zulassungspflicht negiert, sollten die Apotheker sich nicht zurücklehnen, sondern die derzeitige Entwicklung als Warnung nehmen. Das Thema lässt sich durch Abwarten nicht bewältigen. Die juristischen Grundfragen zur Definition von Rezepturen in allen ihren Varianten müssen rechtssicher beantwortet werden – im Interesse der Apotheken und vor allem der Patienten.



Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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9 Kommentare

Zulasssung ist nicht DER Problemlöser

von norbert brand am 17.08.2021 um 9:49 Uhr

Sehr geehrter Herr Mischer,

ich kenne die meisten Ihrer Argumente. Im Falle der rechtgesprochenen Apothekenherstellungen handelte es sich aber durchweg um Defekturen. Es ist einfach nicht sachgerecht, deswegen auch Einzel-Rezepturen hinsichtlich Zulassungspflicht nach § 21 AMG zu beurteilen. Weiters wurde die Bedeutung des „industriellen Verfahrens“ bei der Herstellung der Defekturkomponenten so überzeichnet, daß selbst die Fertigung von ASS-Tabletten im Rahmen der Defektur nur dann möglich wäre, wenn die Apotheke die eingesetzte ASS auch selbst synthetisiert. Wenn das Bestand haben soll, dann ist es ehrlicher, die Arzneimittelherstellung in der Apotheke ganz zu verbieten.

Glauben Sie ernsthaft, daß die Anwendungssicherheit einer Rezeptur, welche von der Expertise der beiden Heilberufler Arzt und Apotheker verantwortet wird, geringer ist, als beim behördlich auf Wirksamkeit und Unbedenklichkeit geprüften zugelassenen Fertigarzneimittel? Die Behörde kann auch nur die Daten beurteilen, die ihr vorgelegt werden, siehe Valsartan und Konsorten! Es ist eine Illusion, zu glauben, eine Zulassung würde alle Anwendungsrisiken minimieren. Weiterhin hat der verkrampfte und unverhältnismäßige Datenhunger der Zulassungsbehörden zuletzt dazu geführt, daß es – jedenfalls bei den pflanzlichen Arzneimitteln - kaum noch Neuzulassungen gibt. Statt dessen steigt die Zahl der deutlich weniger regulierten sogenannten Nahrungsergänzungsmittel ins nahezu unerträgliche.

Wenn man mit dem § 4 (1) AMG verhindern will, daß am Apothekentresen – ähnlich wie in den USA – lose Thomapyrintabletten (= industriell vorgefertigte Bulkware) aus einem Bonbonglas mit einem Schäufelchen in eine Tüte für den Kunden abgefaßt werden, dann muß man das klar regeln. Und nicht quasi als „Beifang“ alles andere, was schon immer in der Apotheke dispensiert wurde, wie z.B. industriell vorgefertigte Tinkturen, Teedrogen, Zinkleim, etc. mit abzuschießen. Deren Dispensierung wäre nach geltender Rechtsprechung im Rahmen der Defektur nur dann möglich, wenn die Apotheke die Opiumtinktur selbst herstellt, oder die Salbeiblätter selbst anbaut. Ich habe zwar Respekt vor der Herstellungskompetenz vieler Apotheken, aber hier schließen sich Rechtstreue und Qualität gegenseitig aus.

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Ist es so eindeutig?

von Michael Mischer am 16.08.2021 um 9:46 Uhr

Lieber Herr Schenkel,

Sie hatten das Urteil schon an anderer Stelle als Außenseiterurteil bezeichnet - die Gründe dafür kann ich durchaus verstehen. Dennoch bin ich mir unsicher, ob sich die von Ihnen dargestellte Linie letztlich durchsetzt oder ob wir eine gerichtliche Angleichung des rechtlichen Rahmens der Rezeptur an die sonstigen Regelungen zum Inverkehrbringen von Arzneimitteln erleben.

Ich sehe das Urteil in einer gewissen Nähe zu früheren Entscheidungen, bspw. zu Idebenon-Kapseln oder des BVerwG zu 13C Harnstoff. Schon darin fanden sich meines Erachtens problematische Programmsätze dazu, was die Richter als relevante Herstellungsschritte ansahen. Ich kann nur hoffen, dass die Fa. Maros eine Rechtsvertretung hat, die in dieser Gemengelage eine stringente Argumentation aufbauen kann. Meiner Meinung nach ist es notwendig und sinnvoll, die Frage, wo die Grenzen der Rezeptur sind, in den folgenden Instanzen zu klären. Ich habe aber das Gefühl, dass das besser an einem Beispiel erfolgt wäre, bei dem ein höheres Maß an pharmazeutischer Expertise erforderlich ist, bspw. um eine Gleichförmigkeit des Gehalts sicherzustellen.

In diesem Zusammenhang bitte ich auch meine Anmerkung zur Möglichkeit der Umgehung der Zulassung zu verstehen. Die Rezeptur stellt einen der wenigen Wege dar, Arzneimittel gesetzlich legitimiert ohne Zulassung in Verkehr zu bringen. Auf der anderen Seite wurden die Regularien zur Zulassungspflicht und zu den erforderlichen Unterlagen für eine Zulassung wiederholt verschärft – auch für Altarzneimittel. Wenn man so will, ist das Rezepturprivileg ein Bruch des Systems, der allein deshalb unter Beobachtung steht. So wurde in der Vergangenheit oft ein Vorrang des Fertigarzneimittels vor dem Rezepturarzneimittel gefordert. Dieser wurde aber nie Gesetz und würde auch nicht das Grundproblem lösen, das ich sehe: Wer hindert ein Unternehmen, das ge-mischte Signale über eine Zulassung seines Arzneimittels erhalten hat, dieses als gerade noch nicht abgabefähiges Produkt herzustellen und als Rezepturarzneimittel zu vertreiben? Wohlgemerkt, ich spreche NICHT von der Opiumtinktur, die nun schon seit langem in genau dieser Form vertrieben wird – sondern davon, ob man am Beispiel der Opiumtinktur eine Abgrenzung vornehmen kann, die denkbare Auswüchse verhindert.

Beste Grüße

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AW: Zwar im Gesetz versteckt, aber dennoch eindeutig!

von Andreas P. Schenkel am 22.08.2021 um 20:16 Uhr

Sehr geehrter Herr Mischer,

der zentrale Satz Ihrer Argumentation hier lautet wohl "Wer hindert ein Unternehmen, das ge-mischte Signale über eine Zulassung seines Arzneimittels erhalten hat, dieses als gerade noch nicht abgabefähiges Produkt herzustellen und als Rezepturarzneimittel zu vertreiben?"

Nun, es ist der § 13 AMG, der das verhindert. Der Gesetzgeber hat sich schon vorab alle Mühe gegeben, "denkbare Auswüchse" von vornherein zu verhindern:

1) Zunächst definiert der § 13 Abs. 1 AMG (ganz grob dargestellt), dass überhaupt nur mit einer Herstellungserlaubnis ein Arzneimittel hergestellt werden darf. Durch die Verwendung des allgemeinen Rechtsbegriffs "Arzneimittel" (und nicht etwa "Fertigarzneimittel") deht der Gesetzgeber dies auch auf API und arzneiliche Tinkturen aus.

2) Dann aber gibt es einige Ausnahmen im § 13 Abs. 2 AMG, von denen uns hier die Ziffer 1 besonders interessiert, da unter bestimmten Umständen die Apotheken von der Zulassungspflicht ausgenommen sind.

3) Wäre der Paragraph hier zu Ende, wäre es tatsächlich kein Problem, dass ein neuer Wirkstoff (oder ein anderer Stoff ohne Zulassungsverfahren) von Apotheken in ein erlaubnisfreies Arzneimittel, ggf. auch Rezeptur-Arzneimittel, eingearbeitet würde.

4) Doch durch § 13 Abs. 2a Satz 1 AMG wird die Ausnahme von der Ausnahme definiert: Die Ausnahme, die der Apotheke eine Herstellung erlauben würde, wird u.a. bei "[..] Arzneimitteln für neuartige Therapien [..]" wieder untersagt.

5) Die im darauffolgenden Satz 2 (§ 13 Abs 2a Satz 2 AMG) definierten Ausnahmen von den Ausnahmen der Ausnahmen treffen auf den Apothekenbetrieb nicht zu.

6) Somit ist es für Hersteller nicht möglich, neuartige Arzneimittel über diesen Umweg in den Gesundheitsmarkt zu drücken, ohne dafür eine Zulassung zu haben. Dies deshalb, weil Hersteller schon in der ersten Ausnahmestufe der Herstellerlaubnis nicht erwähnt sind und Apotheken keine Arzneimittel für neuartige Therapien herstellerlaubnisfrei in Rezepturen (oder gar Defekturen) einarbeiten können, ohne gegen § 13 AMG zu verstoßen.

Etwas verschachtelt im Gesetz versteckt, aber nach dieser Aufdröselung, ja, es ist so eindeutig.

AW: Ist es so eindeutig

von Michael Mischer am 22.08.2021 um 21:46 Uhr

Ich schätze diese Art des geistigen PingPongs sehr. Danke.

Hier muss ich aber widersprechen.

Zum einen bewegen wir uns in § 13 nicht in der Zulassungspflicht und ihren Ausnahmen, sondern in der Herstellungserlaubnisverpflichtung.

Zum anderen betrifft § 13 III AMG in der Einschränkung der Ausnahme Arzneimittel für neuartige Therapien nach § 4 IX, neudeutsch die ATMP. Die meinte ich nicht, ich dachte an "normale" neue Arzneimittel.

Zudem ist die Herstellungserlaubnis gerade keine Prüfung von Wirksamkeit und Sicherheit, sondern nur der Qualität der Herstellung und damit ist sie in meiner Gedankenkette leider kein ausreichender Schutz.

AW: Normal-neue Arzneimittel

von Andreas P. Schenkel am 23.08.2021 um 0:05 Uhr

Auch die schnöden "normalen neuen Arzneimittel" können nicht einfach mal nach Gutdünken des Herstellers ohne Zulassung hergestellt und in Verkehr gebracht werden. Hier müssen wir tief im EU-Recht wühlen:

A) Art. 1 Nr. 2 Richtlinie 2001/83/EG (Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel) definiert einen sehr weitreichenden Arzneimittel-Rechtsbegriff, sodass ein neu-kreierter, noch nicht zugelassener, "normaler" Wirkstoff hiervon wohl mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erfasst werden wird.

B) Art.6 Abs. 1 Richtlinie 2001/83/EG bestimmt: "Ein Arzneimittel darf in einem Mitgliedstaat erst dann in den Verkehr gebracht werden, wenn die zuständige Behörde dieses Mitgliedstaats nach dieser Richtlinie eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt hat oder [..]" sinngemäß die EMA nach einem EU-Verfahren dieses Arzneimittel zugelassen hat.

C) Gemäß § 16 AMG wird die Herstellungserlaubnis nach § 13 AMG wie folgt beschränkt: "Die Erlaubnis wird dem Antragsteller für eine bestimmte Betriebsstätte und für bestimmte Arzneimittel und Darreichungsformen erteilt [..]"

D) Ein Hersteller wird für ein neu synthetisiertes Molekül von der zuständigen Behörde keine Herstellungserlaubnis erhalten, wenn keine Zulassung dafür existiert.

E) Tinctura opii dagegen ist arzneibuchmonographiert, weshalb die zuständige Behörde wohl im Regelfall keine Herstellungserlaubnis versagen wird (, wenn alle weiteren Voraussetzungen für eine Herstellungserlaubnis vorliegen). Es ist anzunehmen, dass es wohl für alle althergebrachten Wirkstoffe zutrifft: Wenn sie in offiziellen Pharmakopöen monographisiert sind, dann müssen weder BfArM oder EMA eine Zulassung erteilt haben. Durch die gesetzesgleiche Geltung der offiziellen Arzneibücher sind sowohl der Ausgangsstoff sowie daraus gefertigte Rezeptur-Arzneimittel legal in Verkehr.

Wenn es ein Hersteller darauf ankommen ließe, einen neuen Stoff (im Sinne eines Moleküls, eines API) zu kreieren und den Apothekern und Ärzten als Rezeptur-Ausgangsstoff anzudienen, hätte die zuständige Behörde am Sitz des Herstellers wohl über § 16 AMG in Verbindung mit dem sekundären EU-Recht die legale Möglichkeit, dem Treiben Einhalt zu gebieten.

AW: Ist es so eindeutig

von Michael Mischer am 23.08.2021 um 10:24 Uhr

Wir werden in der ersten Reihe sitzen und die weitere Entwicklung beobachten - daher müssen wir uns nicht verhaken.

Allerdings bleiben mir Zweifel, dass die Erteilung einer Herstellungserlaubnis so eng mit einer Zulassung verküpft wäre, wie Sie das schlussfolgern. Eine Herstellungserlaubnis ist bereits vor Zulassung erforderlich.

Die Gründe für das Versagen einer Herstellungserlaubnis wiederum ergeben sich aus § 14 AMG.

Davon getrennt zu betrachten ist, ob das gesetzeskonform hergestellte Arzneimittel dann in Verkehr gebracht werden darf. Womit wir bei der Ausgangfrage landen, wann ein Arzneimittel als Fertigarzneimittel zu werten ist.

"Umgehung" der Zulassung?

von norbert brand am 13.08.2021 um 9:31 Uhr

Tinctura Opii wird nach meiner Kenntnis seit der GERMANICA ALTERA, der 1882 erschienen 2.Ausgabe des Deutschen Arzneibuches, in bis heute identischer Qualität hergestellt. Ebenfalls wird sie zumindest seit den 1950ern bis heute überwiegend ohne weitere Bearbeitung auf ärztliche Verschreibung für Einzelfälle dispensiert. Die heutige Form der Definition für Fertigarzneimittel und die verbindliche Zulassung gibt es erst seit dem AMG 1976. Von einem bewußten Umgehen einer Zulassungspflicht kann daher keine Rede sein.

Vor der Verordnung der Tinctura Opii hat der Arzt für jeden einzelnen Patienten sorgfältig abzuwägen, ob er dieses second-line (!) Therapeutikum seinem Patienten, oft gegen dessen spontane Bedenken (Opiate!!), verordnen kann. Die Apotheke sichert die Qualität der Verordnung mit dem sattsam bekannten Instrumentarium der ApoBetrO ab. Bei bestimmungsgemäßem Gebrauch wird die Tinctura Opii bestens vertragen. Hier wird also weder ein Arzneimittel ungeprüft ins Blaue ausprobiert oder in den Markt gedrückt, noch würde eine "Prüfung auf Wirksamkeit und Sicherheit durch die Zulassungsbehörden" in diesem Fall zu anderen Ergebnissen kommen, als daß die Tinctura Opii wirksam und bei bestimmungsgemäßem Gebrauch sicher ist.

Zu guter Letzt: würde Maros jetzt eine Zulassung beantragen, bedeutete dies, man habe vor dem eigentlichen Problem kapituliert und gibt die Rezeptur auf. Ein Fehler, den Apotheker in anderen Fällen schon viel zu oft gemacht haben. Im übrigen wollte Maros 2006 eine nationale bibliographische Zulassung beantragen, hat aber vom BfArM eindeutig signalisiert bekommen, daß hierfür aktuelle klinische Daten, also Studien, unabdingbar seien. Warum es nun für Dropizol bei gleicher Datenlage eine deutsche Zulassung gibt, ist für mich das viel größere Problem.

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Weitere Aspekte des Dillemmas

von Michael Mischer am 13.08.2021 um 8:14 Uhr

Man sollte aber auch den Gegenstandpunkt einmal beleuchten: Den letzten Schritt, in gewisser Weise die Konfektionierung der sonst gebrauchsfertigen Lösung, als Rezeptur in die Apotheke zu verlagern, erlaubt es, im industriellen Maßstab ein Arzneimittel herzustellen und es ohne Prüfung von Wirksamkeit und Sicherheit durch die Zulassungsbehörden in die Versorgung zu bringen. Die These, dass hier nur die Zulassung umgangen wird, ist meines Erachtens nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen. Das mag bei Opiumtinktur, die seit Ewigkeiten verwendet wird, nicht auf Bedenken stoßen, aber wer zieht wo die Grenze?

Gleichzeitig muss man meiner Meinung nach auch anerkennen, dass es nicht mehrerer Semester Arzneiformenlehre inklusive Praktika bedarf, um bereits verwendungsfähige Lösungen oder Arzneidrogen in vorgegebener Menge in ein Gefäß zu überführen. Auch die Frage, ob das wirklich eine Rezeptur ist, kann man daher stellen. (Das unterscheidet in meinen Augen diesen Fall von der in anderen Fällen gerichtlich beurteilten Kapselherstellung, kommentiert an anderer Stelle....)

Dass ein Unternehmen basierend auf dem Wissen, das durch jahrelange Anwendung gewonnen wurde eine Zulassung beantragt und dann einen deutlich höheren Preis erzielen will, ist nicht neu, aber wieder einmal unverschämt. Vom Ende her gedacht: Würde man hier eine wirksame Preisregulierung für Arzneimittel etablieren, die nur bereits etablierte Rezepturen o.ä. ersetzen wollen, wäre der Anreiz so vorzugehen nicht mehr gegeben.

Und zuletzt eine Frage: Warum geht nicht der bisherige Hersteller denselben Weg und beantragt für seine Opiumtinktur eine Zulassung? Das würde für uns Apotheken nichts ändern, ihm aber sein Geschäft retten.

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AW: Da purzelt aber einiges durcheinander!

von Andreas P. Schenkel am 14.08.2021 um 18:17 Uhr

1.
>>..die Konfektionierung der sonst gebrauchsfertigen Lösung, als Rezeptur in die Apotheke zu verlagern..<<
Gebrauchsfertig ist die Lösung erst, wenn sie in eine Primärverpackung überführt wurde, die es dem Patienten ermöglicht, sie wie vom Verordner vorgesehen zu benutzen. Die Tinctura Opii (T.I.) von Maros ist alleine schon deshalb nicht "gebrauchsfertig", weil der Inhalt des Bulkgefäßes (die Flüssigkeit also) als auch das Bulkgefäß selbst keine Gebrauchsanweisung für den Patienten aufweist.

2.
§ 4 Abs. 1 AMG definiert: "Fertigarzneimittel sind Arzneimittel, die im Voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht werden[..]"
Die T.I. von Maros ist ausdrücklich eine Packung, die nicht zur Abgabe an den Verbraucher bestimmt ist, das steht sogar so drauf. Soweit ich weiß, enthält die Primärpackung auch keinen Tropfer, keine Dosierpipette oder sonstiges Dosierhilfsmittel. Und keinen Beipackzettel. Somit ist die T.I. von Maros kein Fertigarzneimittel.

3.
>>.. dass hier nur die Zulassung umgangen wird.. <<
Nach § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG bedarf es keiner Zulassung, wenn "[..]in den wesentlichen Herstellungsschritten in einer Apotheke[..] und "[..]im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs hergestellt werden und zur Abgabe im Rahmen der bestehenden Apothekenbetriebserlaubnis bestimmt sind,[..]". Wesentliche Herstellungsschritte bei der Herstellung des patientenindividuellen Rezepturarzneimittels sind unter anderem (vorgelagert sind zudem die pharmazeutischen Tätigkeiten der Ausgangsstoffprüfung und -Freigabe) Abfüllen bzw. Umfüllen, Ausrüsten zu einer gebrauchsfertigen Primärverpackung (Dosierhilfsmittel), ggf. Ermittlung der Tropfenanzahl durch Tropfenwägung und Berechnung, Kennzeichnen, Freigeben. Hierbei handelt es sich um wesentliche Herstellungsschritte, da ohne diese eine korrekte und vor allem sichere Anwendung des Rezepturarzneimittels duch den Patienten nicht möglich wäre. Da für dieses Rezepturarzneimittel, folgend aus § 21 Abs. 2 AMG, keine Zulassung erforderlich ist, kann von einer "Umgehung der Zulassung" keine Rede sein.

4.
>>..ob das wirklich eine Rezeptur ist..<<
Keine Frage, es ist eine Rezeptur. Alleine die apothekerliche Freigabe schon macht es zu einer, vgl. u.a. Kommentar Rehmann, Arzneimittelgesetz (AMG)
5. Auflage 2020 Rn. 13: "Allein die Beschriftung eines Arzneimittels nur mit dem Namen des pharmazeutischen Unternehmers nach § 9 ist kein Herstellungsvorgang (Kloesel/Cyran § 4 Anm. 49), wohl aber die erforderliche nachfolgende Freigabe zum Inverkehrbringen."

Beste Grüße

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