Superfoods-Beratungswissen – Teil 20

Algenöl – das „vegane Fischöl“

11.08.2021, 17:50 Uhr

Algenöl wird als vegane Alternative zu Fischöl beworben, da es reich an Omega-3-Fettsäuren ist. Unbedingt auf die Zusammensetzung achten, da Algenöl häufig mit anderen Ölen gemischt angeboten wird. (Foto: EcoPim-studio / stock.adobe.com)

Algenöl wird als vegane Alternative zu Fischöl beworben, da es reich an Omega-3-Fettsäuren ist. Unbedingt auf die Zusammensetzung achten, da Algenöl häufig mit anderen Ölen gemischt angeboten wird. (Foto: EcoPim-studio / stock.adobe.com)


Veganer gelten als gesundheitsbewusste und einkommensstarke Verbraucher. Kein Wunder also, dass sie zur beliebten Zielgruppe vieler Hersteller neuartiger Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel geworden sind. Seit einigen Jahren befinden sich als „Novel Food“ zugelassene Öle aus Mikroalgen auf dem europäischen Markt. Beworben werden die Produkte als „vegane Alternative zum Fischöl“ und als „Allroundtalent für die Gesundheit“. Was ist dran?

Fetter Seefisch gilt als wertvoller Lieferant für Omega-3-Fettsäuren, die für den menschlichen Organismus essenziell sind. Vor allem Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA) sind reichlich in Sardine, Makrele, Hering & Co. enthalten. Der Grund dafür: Die Fische nehmen EPA und DHA mit ihrer Nahrung auf – und zwar durch den Verzehr bestimmter Algen. Es liegt nahe, daraus zu schlussfolgern, dass der Mensch den „Umweg“ über den Fisch nicht braucht. Stattdessen kann er sich die wichtigen ungesättigten Fettsäuren auch direkt durch Algenkonsum zuführen. Zumal die Meere überfischt sind und viele Fischarten mit Umweltgiften belastet sind. 

Ölquelle Mikroalgen

Als besonders gute Quelle für Omega-3-Fettsäuren gelten die Mikroalgen Schizochytrium und Ulkenia. Es handelt sich um Einzeller, die jedoch nicht die für Algen typische Photosynthese betreiben, sondern Kohlenhydrate als Nahrung brauchen. Normalerweise leben sie in marinen Küstengewässern und ernähren sich von einfachen, organischen Substanzen, zum Beispiel abgestorbenen Blättern. Für die Herstellung von Algenöl werden Schizochytrium-Arten und Ulkenia jedoch in Aquakulturen bzw. Bioreaktoren gezüchtet und vermehrt. Auf diese Weise bleiben sie frei von Schadstoffen und Umweltbelastungen. Durch enzymatische Prozesse entstehen während Zucht und Wachstum die begehrten, ungesättigten Fettsäuren. Diese werden aus der entwässerten Biomasse extrahiert, aufgereinigt und als Mikroalgenöl in den Handel gebracht bzw. weiter verarbeitet. 

Als „Novel Food“ zugelassen

Novel Food – auf Deutsch: neuartige Lebensmittel – sind nach gesetzlicher Definition Lebensmittel, die vor dem Inkrafttreten der Novel-Food-Verordnung von 1997 innerhalb der EU nicht in nennenswertem Umfang zum Verzehr in den Handel gebracht wurden. Nach wissenschaftlicher Prüfung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) können Produkte von der EU-Kommission den Status „Novel Food“ zugesprochen bekommen, womit ihrem Vertrieb nichts mehr im Wege steht. Das Mikroalgenöl aus Schizochytrium wurde im Jahr 2003 als Novel Food zugelassen, die Zulassung für das Öl aus Ulkenia folgte im Jahr 2009. Wichtig: Algenöl fällt damit in die Kategorie Lebensmittel bzw. Lebensmittelzutat. 

Gemischt und angereichert

Ulkenia-Algenöl darf in der Europäischen Union in Backwaren, Müsliriegeln und nichtalkoholischen Getränken als Lebensmittelzutat enthalten sein. Das Öl aus Schizochytrium ist außerdem erlaubt als Zutat in Milch- und Milchersatzerzeugnissen, Streich- und Speisefetten, in Salatsoßen, Frühstückscerealien, Nahrungsergänzungsmitteln und Lebensmitteln für besondere medizinische Zwecke sowie in Tagesrationen für eine gewichtskontrollierende Ernährung. Sucht man „reines“ Mikroalgenöl, so findet man es oft vermischt mit Rapsöl, Leinöl, Hanföl oder Walnussöl. Weil Mikroalgenöl leicht oxidiert und ranzig wird, fügen die Hersteller außerdem Antioxidanzien wie Tocopherole und Ascorbinsäure oder Zitrus- und Rosmarinextrakte hinzu, teilweise auch, um den Algengeschmack zu kaschieren. Man sollte die Zutatenliste genau studieren, um sich ein Bild über die Zusammensetzung und Mengenverhältnisse in dem Produkt zu machen. Zu beachten ist darüber hinaus, dass der Gehalt an DHA und EPA schon in den Ausgangsprodukten, erst recht aber in der verarbeiteten Version, außerordentlich stark schwanken kann. Das betrifft auch die Preise: Diese bewegen sich zwischen 5 und 30 Euro pro 100 ml. 

Höchstmengen beachten!

Mikroalgenöle dürfen nur bis zu bestimmten Höchstmengen in den verschiedenen Lebensmitteln eingesetzt werden. Als Zutat müssen sie wie folgt deklariert werden: „Enthält DHA-reiches Öl aus der Mikroalge ...“ Ein Warnhinweis, dass die Menge von 5 g EPA und DHA zusammen täglich nicht überschritten werden soll, ist bei Dosierungen ab 2 g täglich für Nahrungsergänzungsmittel sowie angereicherte Lebensmittel vorgeschrieben.

Gesundheitliche Vorteile?

Omega-3-Fettsäuren sind in kleinen Mengen ohne Zweifel lebensnotwendig und gesund. Laut der europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit sind eine Reihe von dosisabhängigen, gesundheitsbezogenen Aussagen zu Omega-3-Fettsäuren, unabhängig von ihrer Quelle, ausdrücklich erlaubt. So dürfen die Hersteller darauf hinweisen, dass Omega-3-Fettsäuren die Fließeigenschaften des Blutes verbessern, die Blutgerinnung hemmen, Blutdruck senkend und entzündungshemmend wirken sowie den Fettstoffwechsel positiv beeinflussen. Schwangere und Stillende können durch Einnahme von DHA zur normalen Entwicklung des Gehirns ihres Fötus bzw. Säuglings beitragen.

Marketing-Lyrik

Im Internet findet man immer wieder Gesundheitsversprechen zu Lebensmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln, die weit über die vom Gesetzgeber erlaubten Aussagen hinausgehen und ausschließlich der Werbung und Vermarktung dienen. So erfährt man, dass Algenöl Fettleibigkeit bekämpft sowie als Allround-Heilmittel bei Diabetes und Grippe eingesetzt werden kann oder gegen „Strahlenvergiftungen“ oder allgemeine „Vergiftungen im Körper“ hilft. Außerdem wird Algenöl als „reich an Ballaststoffen“ angepriesen. Großes Fragezeichen: ein Öl mit Ballaststoffen? Natürlich soll es auch bei allen Arten von Verdauungsproblemen wirken. Selbstverständlich fehlen für alle diese Aussagen ernst zunehmende Belege. 

Viel hilft nicht viel

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt für Schwangere und Stillende die Aufnahme von durchschnittlich mindestens 200 mg DHA pro Tag. Für andere Bevölkerungsgruppen gibt es nur die Empfehlung, 0,5 Prozent der Energie-(Kalorien-)zufuhr pro Tag bzw. 1,5 g an Alpha-Linolensäure aufzunehmen. Diese Menge entspricht einem Esslöffel Rapsöl oder einem Teelöffel Leinöl. Was Nahrungsergänzungsmittel betrifft, so sind laut der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) Produkte mit einer vom Hersteller empfohlenen Aufnahmemenge von bis zu 5 g EPA und DHA (in Kombination) oder 1,8 g EPA (einzeln) pro Tag für Erwachsene gesundheitlich unbedenklich.

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Wichtig für die Beratung in der Apotheke: Bei höheren Dosierungen kann es zu Wechselwirkungen mit gerinnungshemmenden Arzneimitteln kommen. In verschiedenen Studien wurde bei älteren Menschen eine erhöhte Blutungsneigung beobachtet. Auch kann sich der LDL-Cholesterinspiegel erhöhen sowie die Immunabwehr beeinträchtigt werden. 

Algenöl in Küche und Alltag

Wer Algenöl in der Küche verwenden will, sollte beachten: Das Öl keinesfalls erhitzen, nur für kalte Speisen verwenden, immer lichtgeschützt und kühl lagern, am besten im Kühlschrank. Unbedingt die Dosierungsempfehlung des Herstellers beachten. 

Ist Algenöl wirklich notwendig?

Unstrittig ist, dass Omega-3-Fettsäuren für den menschlichen Körper essenzielle Bedeutung haben. Sie sind Bestandteile von Zellmembranen und Ausgangssubstanzen für Hormone bzw. Stoffwechselprodukte, die Entzündungsreaktionen beeinflussen. Pflanzliche Öle wie Raps-, Walnuss- oder Leinöl sind gute Quellen für die Omega-3-Fettsäure Alpha-Linolensäure (ALA). Der menschliche Organismus wandelt ALA allerdings nur in kleiner Menge in EPA und DHA um. Deshalb empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) den Verzehr von ein bis zwei Portionen fettem Seefisch pro Woche mit anerkannt nachhaltiger Herkunft. Folgerichtig betrachtet die DGE bei Personen, die keinen Fisch essen, Mikroalgenöle bzw. Lebensmittel, die damit angereichert sind, als mögliche Quelle für EPA und DHA.  

Ob die Einnahme von Omega-3-Fettsäuren als Nahrungsergänzung präventiv und therapeutisch wirksam ist, wird jedoch nach Auswertung der inzwischen zahlreich vorliegenden Studien zunehmend bezweifelt. Zum Schutz vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen wird die vorbeugende Einnahme von Omega-3-Fettsäuren aufgrund der aktuellen wissenschaftlichen Datenlage nicht mehr empfohlen. Als wissenschaftlich gesichert gilt allerdings, dass Schwangere von einer Omega-3-Fettsäuren-Supplementierung profitieren, wobei die Frage nach der optimalen Dosierung noch offen bleibt.



Reinhild Berger, Apothekerin
redaktion@daz.online


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