Migräne-Antikörper nicht nur zur Prophylaxe

Hilft Eptinezumab auch bei akuter Migräne?

Stuttgart - 05.08.2021, 07:00 Uhr

Der ursprünglich zur Migräneprophylaxe entwickelte CGRP-Antikörper Eptinezumab zeigt auch bei akuten Migräneattacken eine gute Wirksamkeit. Gegen den breiten Einsatz dürfte, sollte in dieser Indikation einmal eine Zulassung erfolgen, die intravenöse Gabe sprechen. (Foto: primipil / AdobeStock)

Der ursprünglich zur Migräneprophylaxe entwickelte CGRP-Antikörper Eptinezumab zeigt auch bei akuten Migräneattacken eine gute Wirksamkeit. Gegen den breiten Einsatz dürfte, sollte in dieser Indikation einmal eine Zulassung erfolgen, die intravenöse Gabe sprechen. (Foto: primipil / AdobeStock)


Eigentlich wurden die Migräne-Antikörper zur Migräneprophylaxe entwickelt. Nun zeigt Eptinezumab auch Wirksamkeit bei akuten Migräneattacken: Die Kopfschmerzen verschwinden schneller, bleiben länger weg, und die Patient:innen benötigen seltener ihre sonstige Akutmedikation. Noch ist Eptinezumab in der EU jedoch nicht zugelassen.

Drei Migräne-Antikörper sind in der EU bereits zugelassen – Erenumab in Aimovig®, Fremanezumab in Ajovy® und Galcanezumab in Emgality® –, einen vierten prüft die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) derzeit: Eptinezumab (VyeptyiTM). Indiziert sind die CGRP- und CGRP-Rezeptor-Antikörper (Erenumab) zur Prophylaxe von Migräne-Attacken. Nun entpuppt sich allerdings der Nachzügler Eptinemzumab, der als einziger intravenös appliziert werden muss, als Schatzkästchen auch für die Akuttherapie. 

Das Amerikanischer Ärzteblatt „JAMA“ berichtet in „Effects of Intravenous Eptinezumab vs Placebo on Headache Pain and Most Bothersome Symptom When Initiated During a Migraine Attack” über eine positive Wirksamkeit, wenn Eptinezumab während einer Attacke gegeben wurde.

Die RELIEF-Studie

Die Phase-3-Studie RELIEF erfolgte vom 4. November 2019 bis 8. Juli 2020 multizentrisch an 47 Standorten in den Vereinigten Staaten und Georgien. Sie war doppelblind und randomisiert ausgelegt. Alle 480 Teilnehmer (84 Prozent weiblich) waren durchweg erwachsen (18 bis 75 Jahre, Durschnittsalter: 44 Jahre) und litten an vier bis 15 Tagen pro Monat an Migräne (drei Monate vor dem Screening). Die Diagnose Migräne musste vor mindestens einem Jahr gestellt worden sein. Die Proband:innen erhielten im Rahmen der Studie nun bei einer mittelschweren bis schweren Migräneattacke entweder 100 mg Eptinezumab (n = 238) oder Placebo (n = 242) intravenös, und zwar innerhalb von einer bis sechs Stunden nach Attackenbeginn. Die Proband:innen durften 24 Stunden vor Therapie und innerhalb von zwei Stunden nach Eptinezumab- oder Placeboinfusionsbeginn Akutmedikation zur Behandlung von Migräneattacken oder ihren Begleiterscheinungen anwenden. Patient:innen, die nicht ausreichend auf die Intervention ansprachen, durften jedoch zwei Stunden nach Beginn der Infusion ihre eigenen Notfallmedikamente einnehmen oder wurden vom Studienzentrum mit Migränetherapeutika versorgt. Dabei galt als unzureichendes Ansprechen, wenn mäßige oder starke Kopfschmerzen oder migräneassoziierte Symptome fortbestanden oder diese, nach anfänglicher Linderung, innerhalb von 2 bis 48 Stunden nach der Verabreichung wieder auftraten.

Schneller kopfschmerzfrei unter Eptinezumab

Patient:innen, die Eptinezumab während einer akuten Migräneattacke erhalten hatten, waren statistisch signifikant schneller frei von Kopfschmerzen als Patient:innen mit Placebo-Infusion, und zwar im Median waren Eptinezumab-Patient:innen nach 4 Stunden vs. 9 Stunden kopfschmerzfrei. Bereits 2 Stunden nach der Infusion berichteten 23,5 Prozent der Eptinezumab-Patient:innen über Kopfschmerzfreiheit, unter Placebo waren es knapp halb so viele: 12,0 Prozent. Zudem waren die Migräniker:innen im Median nach zwei (Eptinezumab) beziehungsweise drei (Placebo) Stunden frei vom störendsten Migränesymptom (Übelkeit, Phonophobie, Photophobie), zwei Stunden nach Infusion waren es in der Eptinezumabgruppe 55,5 Prozent, in der Placebogruppe 35,8 Prozent.

Weniger Akutmedikation, länger kopfschmerzfrei und spätere erneute Attacke

Die Wahrscheinlichkeit, dass die Kopfschmerzen wegblieben, lag unter Eptinezumab ebenfalls höher: 17,2 Prozent der Patient:innen bestätigten eine Schmerzfreiheit im Zeitraum von 2 bis 24 Stunden nach Eptinezumab-Infusion, nach Placebo-Gabe waren es 5,8 Prozent der Patient:innen. Die mediane Zeit bis zur nächsten Migräneattacke lag nach Eptinezumab bei 10 Tagen, nach Placebo hatten die Teilnehmer bereits nach 5 Tagen einen erneuten Migräneanfall. Auch mussten statistisch signifikant weniger Patient:innen innerhalb eines Tages ihre Akutmedikation anwenden, wenn sie zu Beginn ihrer Migräneattacke Eptinezumab erhalten hatten: 31,5 (Eptinezumab) vs. 59,9 Prozent (Placebo).

Überempfindlichkeitsreaktionen in der Eptinezumab-Gruppe

Zu den häufigsten unerwünschten Ereignissen in der Eptinezumab-Gruppe zählte eine Überempfindlichkeit (2,1 Prozent, keine allergische Reaktion unter Placebo), wobei zwei Patient:innen nur über leichte, zwei über mittelschwere Reaktionen berichteten. In einem Fall lag eine schwerwiegende Reaktion vor. Alle Reaktionen traten bis spätestens 40 Minuten nach Infusionsende auf. Alle allergischen Ereignisse konnten mit der Studienmedikation in Verbindung gebracht werden. Insgesamt traten Nebenwirkungen bei 10,9 Prozent der Proband:innen in der Eptinezumab-Gruppe und bei 10,3 Prozent in der Placebo-Gruppe auf.

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Die Wissenschaftler:innen fassen die Studienergebnisse wie folgt zusammen: „Unter der Behandlung mit Eptinezumab verschwanden der Kopfschmerz und das lästigste migräneassoziierte Symptom zwei und vier Stunden nach Beginn der 30-minütigen Infusion häufiger, und es wurden seltener Notfallmedikamente eingesetzt. Darüber hinaus führte Eptinezumab zu einer schnelleren Linderung der Kopfschmerzen, zu einer anhaltenden Befreiung von Kopfschmerzen und zu einer Verzögerung bis zur nächsten Migräneattacke“, und zwar bei Patient:innen, die für eine präventive Migränetherapie infrage kamen und eine mittelschwere bis schwere Migräneattacke erlitten. Und weiter: Insgesamt deuteten frühere präventive Studien zu Eptinezumab zusammen mit den aktuellen Studiendaten darauf hin, dass intravenös verabreichtes Eptinezumab das Potenzial hat, eine therapeutische Brücke zwischen dem akuten und dem präventiven Behandlungsbedarf von Migränepatient:innen zu schlagen.

Eptinezumab

Eptinezumab ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper, der selektiv an das Calcitonin Gene-related Peptide (CGRP) bindet und dieses hemmt. Aktuellen Erkenntnissen zufolge spielt CGRP eine wesentliche Rolle in der Pathogenese von Migräne. Antagonisten gegen CGRP direkt oder gegen den CGRP-Rezeptor stehen somit im Zentrum der derzeitigen Forschung zu Migräne. 

Zugelassen ist Eptinezumab bislang in den Vereinigten Staaten zur Prävention von Migräne bei Erwachsenen, die EMA hingegen prüft Eptinezumab noch. Als einziger der CGRP- und CGRP-Rezeptor-Antikörper muss Eptinezumab intravenös appliziert werden. Erenumab, Fremanezumab und Galcanezumab stehen als subkutane Injektion zur Verfügung, was auch die Selbstapplikation durch den Patienten ermöglicht. Eptinezumab erreicht durch die intravenöse Applikation eine Bioverfügbarkeit von 100 Prozent und maximale Plasmaspiegel nach 30 Minuten. Von allen Migräne-Antikörpern wirkt Eptinezumab in der Prävention am schnellsten, und zwar bereits am Tag 1 nach der ersten Infusion. Die an diesem Tag beobachtete Wirksamkeit blieb in Studien auch über zwölf Wochen bestehen oder sie verbesserte sich sogar noch.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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