AstraZeneca- und Janssen-Impfung

Sind Alter und Geschlecht Risikofaktoren für Thrombosen nach Vektorimpfstoffen?

Stuttgart - 12.05.2021, 17:50 Uhr

„Wir können im Moment nur sagen: Eine gut überstandene erste Impfung schließt die Komplikation bei der zweiten Impfung nicht aus“, sagt Professor Andreas Greinacher. (x / Foto: IMAGO / Sven Simon)

„Wir können im Moment nur sagen: Eine gut überstandene erste Impfung schließt die Komplikation bei der zweiten Impfung nicht aus“, sagt Professor Andreas Greinacher. (x / Foto: IMAGO / Sven Simon)


Tritt ein Thrombose-Thrombozytopenie-Syndrom nur nach der ersten AstraZeneca-Impfung auf? Sind Alter und Geschlecht tatsächlich Risikofaktoren, schwere Thrombosen nach einer vektorbasierten COVID-19-Impfung zu entwickeln? Und wenn es doch am Adenovirusvektor liegt: Bergen eigentlich auch natürliche Erkältungsinfektionen mit Adenoviren die Gefahr von Sinusvenenthrombosen? Antworten auf diese Fragen hatte Professor Andreas Greinacher, Universität Greifswald, bei einer Veranstaltung des Science Media Centers.

Jeder, der möchte, kann sich mit einem Vektorimpfstoff gegen COVID-19 impfen lassen – die Politik hat die Priorisierung für die Corona-Impfstoffe von AstraZeneca und Johnson & Johnson aufgehoben. Die STIKO rät indes, dass die beiden Vektorimpfstoffe in der Regel älteren Menschen ab 60 Jahren geimpft werden sollen. Grund sind sehr seltene Fälle schwerer Thrombosen in Verbindung mit niedrigen Blutplättchenzahlen – Thrombose-Thrombozytopenie-Syndrom (TTS). Welche neuen Erkenntnisse gibt es mittlerweile dazu? Treten die Komplikationen nur nach der ersten Impfung auf, kann man sich also getrost die zweite Dosis AstraZeneca impfen lassen, so man die erste Dosis gut vertragen hat?

Thrombosen auch nach der zweiten Dosis möglich

So einfach ist es nicht. Das machte Professor Andreas Greinacher,
Leiter der Abteilung Transfusionsmedizin am Institut für Immunologie und Transfusionsmedizin der Universitätsmedizin Greifswald, am gestrigen Dienstag bei einer Veranstaltung des Science Media Centers deutlich. Solch eine pauschale Aussage ist nach Einschätzung von Greinacher nicht möglich. Allerdings gebe es auch nur wenige Daten aus Deutschland dazu – ihm sei hierzulande nur ein Fall bekannt, bei dem „wahrscheinlich“ nach der zweiten AstraZeneca-Dosis diese Nebenwirkung aufgetreten sei. Beweisen könne er es derzeit jedoch nicht, da die Blutprobe noch nicht analysiert sei. Allerdings: „Wir wissen sicher aus Großbritannien, wo schon früher mit AstraZeneca geimpft wurde, dass dort Menschen auch nach der zweiten Impfung dieses Problem entwickelt haben“, sagte Greinacher. Ob aber diese Komplikation nun häufiger oder seltener auftrete, dazu seien die Daten nicht valide genug. Und weiter: „Wir können im Moment nur sagen: Eine gut überstandene erste Impfung schließt die Komplikation bei der zweiten Impfung nicht aus.“

Doch gab Greinacher einen Punkt zu bedenken: Eine klinische Beobachtung sei, dass nach der zweiten AstraZeneca-Dosis die starken Immunreaktionen meist abgeschwächt sind. „Man vermutet, dass es daran liegt, dass Bestandteile des Virus durch bereits nach der ersten Impfung gebildete Antikörper schneller aus dem Körper entfernt werden können“, erklärte er. Das schließt allerdings nicht aus, dass im einzelnen Menschen eine Konstellation vorliegen kann, die die Immunantwort in die falsche Richtung steuere.

Und wie sieht es mit Alters- und Geschlechtereffekten aus? Die meisten Fälle von Sinusvenenthrombosen und Thrombosen des Abdomens sind bei jüngeren Frauen nach Impfung aufgetreten. Das Paul-Ehrlich-Institut berichtet mittlerweile, dass bei unter 60-jährigen Frauen 2,2 nach 100.000 Impfungen ein TTS entwickeln, bei älteren Frauen sind es 1,6 Fälle pro 100.000 Impfungen. Bei Männern unter 60 Jahren sind 2,0 pro 100.000 Geimpften von Thrombosen in Verbindung mit Thrombozytopenie betroffen. Wie schätzt Greinacher diese „Risikofaktoren“ Alter und Geschlecht ein – sind es tatsächlich welche?

Frauen: generell erhöhtes Risiko für Autoimmunreaktionen

Der deutliche Unterschied beim Auftreten eines TTS zwischen den Geschlechtern ist nach Ansicht Greinachers „nur der Spiegel gewesen, dass in unserem Gesundheitssystem vor allen Dingen Frauen arbeiten“. Und diese wurden sodann auch häufiger geimpft. Weiter führte er aus: „Wir wissen von nahezu allen Immun- und Autoimmunreaktionen, dass Frauen eine leicht höhere Inzidenz für solche Antikörper haben.“ Das habe überhaupt nichts mit der Impfreaktion an sich zu tun, das sei reines Lehrbuchwissen. „Frauen sind von Autoimmunerkrankungen meistens stärker betroffen.“ Auch bei der, der Impfreaktion am nächsten kommenden Erkrankung – der HIT –, hätten Frauen ein leicht erhöhtes Risiko. „Wenn man nun beide Faktoren zusammennimmt – eine sehr starke Überzahl von Frauen in der geimpften Kohorte plus ein klein bisschen erhöhtes Risiko –, dann kommt man schnell zu dem Eindruck, dass es vor allem Frauen betrifft“, sagte Greinacher.

Auch ältere Menschen entwickeln ein TTS

Auch den Punkt eines möglicherweise erhöhten TTS-Risikos jüngerer Menschen im Vergleich zu älteren Geimpften ordnete Greinacher ein: In Großbritannien und Kanada, wo auch ältere Menschen geimpft wurden, tritt laut Greinacher das Problem auch bei älteren Menschen auf. „Wir wissen aber grundsätzlich, dass das körpereigene Abwehrsystem bei älteren Menschen etwas träger und weniger funktionsfähig ist als bei jungen Menschen.“ Er könne sich somit sehr gut vorstellen, dass das Zusatzsignal für die Fehlleitung des Immunsystems „etwas moderater“ ausfalle, das erscheine plausibel und passe auch mit den epidemiologischen Daten zusammen, auch wenn er es derzeit nicht beweisen könne. Greinacher betonte jedoch, dass ein Risiko nicht „dramatisch steigt oder fällt“, ob man nun 59 oder 61 Jahre alt sei, der Übergang sei gleitend. Was seiner Ansicht nach viel wichtiger ist: „Wir wissen, dass bei Menschen über 60 Jahren das Risiko, schwere Komplikationen bei einer COVID-19-Erkrankung zu entwickeln, um Größenordnungen größer ist, als bei jungen Menschen. Deswegen sind Nutzen-Risiko-Abwägungen einfach anders zu treffen und ergeben eine andere Aussage, ob man nun eine alte oder junge Population betrachtet“, erklärte er.

Kann eine natürliche Infektion mit Adenoviren ein TTS auslösen?

Was genau im Vektor ist eigentlich das Problem? Wir haben in Deutschland zwei andenovirale Vektorimpfstoffe, und beide können offenbar ein TTS auslösen – was ist das Gemeinsame, das die Komplikation auslöst? „Das nennt sich Adenovirus“, antwortete Greinachers ganz klar. Professor Christian Bogdan, Direktor des Mikrobiologischen Instituts – Klinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene –, vom Universitätsklinikum Erlangen und Mitglied der STIKO, pflichtete ihm bei: Während man bei mRNA-Impfstoffen eine in Lipidnanopartikel verpackte mRNA, also ein kleines Molekül, appliziere, habe man bei Vektorimpfstoffen ein zwar nicht replikationsfähiges, aber intaktes und infektiöses Virus. Das bringe automatisch eine stärkere Stimulation der Immunantwort mit sich. mRNA-Impfstoffe aktivieren Bogdan zufolge nur einen konkreten Mustererkennungsrezeptor. Im Fall des Vektors würden hingegen verschiedene Mustererkennungsrezeptoren, die unser angeborenes Abwehrsystem stimulierten, adressiert: „Und das ist eine plausible Erklärung warum man bei einem Vektorimpfstoff diesbezüglich eine solche Immunantwort leichter induzieren kann“, erklärte Bogdan.

Aber lösen denn Adenoviren dann selbst kein TTS aus – wenn man sich auf natürlichem Wege mit den Erkältungsviren infiziert? Ganz ausgeschlossen ist dieser Fall wohl nicht. Greinacher erinnerte sich an eine Patientin vor fünf Jahren mit einer Infektion des oberen Respirationstraktes, die zehn Tage später eine Sinusvenenthrombose entwickelte mit Plättchenfaktor-4-Antikörpern, die die Thrombozyten aktivierten. „Das muss ziemlich genau das Gleiche gewesen sein – durch eine ganz normale, erworbene Adenovirusinfektion“, erklärte Greinacher. Nur wusste man das damals nicht – und man wäre auch jetzt nie darauf gekommen, wenn nicht so viele Menschen gleichzeitig geimpft worden wären und man plötzlich gemerkt hätte, dass bei 40.000 Geimpften ein Fall auftaucht. Bei jeder normalen Impfung wären diese 40.000 Menschen vielleicht in zwei Jahren geimpft worden. „Niemand hätte das Signal erkannt.“



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


Das könnte Sie auch interessieren

Vektorimpfstoffe von AstraZeneca und Johnson & Johnson

Hilft ASS zur Vorbeugung von Thrombosen nach COVID-19-Impfung?

Ursachenforschung zu Sinus-/Venenthrombosen nach Impfungen mit AstraZeneca-Vakzine

HIT mimicry durch AZD1222

Ein Jahr Corona-Impfungen

Schwere Nebenwirkungen sind sehr selten

Empfehlung der STIKO vs. Beschluss der GMK

Johnson & Johnson nur für Ältere – Priorisierung aufgehoben

1 Kommentar

Kombination verschiedener Vektorimpfstoffe

von U. F. am 13.05.2021 um 13:33 Uhr

Gibt es Erfahrungen mit folgendem Impfschema:
1. Impfung AstraZeneca
2. Impfung Johnson & Johnson nach ca. 10 Tagen
Ist das überhaupt möglich, bzw. sinnvoll?

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.