EU lässt Kesimpta zu

Ofatumumab: erster B-Zell-Antikörper zur Eigenapplikation bei Multipler Sklerose

Stuttgart - 08.04.2021, 12:15 Uhr

Die EU-Kommission hat Ofatumumab in Kesimpta (Novartis) die Zulassung erteilt. Ofatumumab ist der erste B-Zell-Antikörper, den MS-Patienten sich selbst verabreichen können. (x / Foto: ralwel / stock.adobe.com)

Die EU-Kommission hat Ofatumumab in Kesimpta (Novartis) die Zulassung erteilt. Ofatumumab ist der erste B-Zell-Antikörper, den MS-Patienten sich selbst verabreichen können. (x / Foto: ralwel / stock.adobe.com)


Ofatumumab ist der erste B-Zell-Antikörper, den sich Patienten mit schubförmiger Multipler Sklerose monatlich auch selbst subkutan verabreichen können. Die EU-Kommission hat Ofatumumab in Kesimpta Ende März nun die Zulassung erteilt. Ofatumumab konnte in Studien die jährliche Schubrate mehr als 50 Prozent stärker reduzieren als Teriflunomid (Aubagio).

Bereits am 26. März 2021 stimmte die Europäische Kommission für die Zulassung eines weiteren MS-Arzneimittels in der EU: Ofatumumab in Kesimpta®, Zulassungsinhaber ist Novartis. Die Kommission folgte damit der Empfehlung des Humanarzneimittelausschusses (CHMP) der Europäischen Arzneimittelagentur EMA vom 28. Januar dieses Jahres.

Wogegen wird Ofatumumab eingesetzt?

Ofatumumab ist indiziert zur Behandlung von erwachsenen Patienten und Patientinnen mit schubförmig verlaufender Multipler Sklerose (Relapsing Multiple Sclerosis, RMS) mit aktiver Erkrankung, was mittels klinischem Befund oder Bildgebung definiert wird. Bislang gibt es keine Daten zur Anwendung von Ofatumumab bei Kindern und Jugendlichen.

Wie wird Ofatumumab angewendet? 

Kesimpta steht in einem Fertigpen oder einer Fertigspritze mit 20 mg Ofatumumab zur Verfügung. Verabreicht wird es als subkutane Injektion, beginnend mit 20 mg Ofatumumab in den Wochen 0, 1 und 2. Es folgen monatliche Dosen ebenfalls mit 20 mg Ofatumumab, beginnend ab Woche 4. Novartis empfiehlt, bei einer ausgelassenen Dosis diese „so bald wie möglich“ nachzuholen und die nachfolgenden Dosen sodann in den empfohlenen Zeitintervallen (nach Aufdosierung: monatlich) zu verabreichen.

Selbstverabreichung durch den Patienten

Der Fachinformation von Kesimpta zufolge können MS-Patienten sich Ofatumumab monatlich selbst subkutan verabreichen. Novartis empfiehlt hier „die üblichen Bereiche für subkutane Injektionen“ – Bauch, Oberschenkel und die Außenseiten der Oberarme. Allerdings sollten Patienten ihre erste Selbstinjektion unter Anleitung von medizinischem Fachpersonal durchführen. Systemische injektionsbedingte Reaktionen treten im Allgemeinen innerhalb von 24 Stunden und meist nach der ersten Injektion auf.

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Dass die Selbstverabreichung mittels Pen funktioniert, hat Novartis in einer Bioäquivalenz-Studie an 296 MS-Patient:innen gezeigt. Sie wurde im Jahr 2020 auf dem ACTRIMS-Kongress (ACTRIMS: Americas Committee for Treatment in Multiple Sclerosis) vorgestellt. Sie stellte die Applikation von 20 mg Ofatumumab mit einem Pen einer Verabreichung per Spritze gegenüber, je in den Bauch oder Oberschenkel. „Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass subkutan verabreichtes Ofatumumab eine effektive B-Zell-Depletion mit einem praktischen Autoinjektor-Pen ermöglicht, der eine monatliche Selbstverabreichung zu Hause erlaubt“, schlussfolgern die Wissenschaftler:innen. Novartis greift beim Fertigpen auf ein bewährtes System aus der Schuppenflechte-Therapie (Cosentyx®, Sekukinumab) zurück, den Sensoready®-Pen.

Keine Prämedikation vor Ofatumumab 

Bei manchen MS-Arzneimitteln erhalten Patient:innen vor deren Verabreichung eine Prämedikation – beispielsweise mit Antihistaminen und Corticoiden wie bei Ocrelizumab (Ocrevus®). Auch bei Interferon-Gabe wird vor jeder Injektion und über weitere 24 Stunden die Einnahme eines fiebersenkenden Arzneimittels empfohlen, um die mit Interferon einhergehenden grippeähnlichen Symptome abzumildern. Dies ist bei Ofatumumab nicht notwendig. So hat Novartis in klinischen Studien „nur einen begrenzten Nutzen einer Prämedikation mit Steroiden“ beobachtet. „Der Einsatz von Prämedikation ist daher nicht erforderlich“, erklärt Novartis. Injektionsbedingte Reaktionen – lokal: Erythem, Schwellung, Juckreiz und Schmerzen – sollten symptomatisch behandelt werden.

Wie wirkt Ofatumumab?

Ofatumumab ist ein vollhumaner Antikörper. Er richtet sich gegen B-Zellen, genauer gesagt: CD20+-B-Zellen, indem Ofatumumab an CD20 auf der Oberfläche dieser Immunzellen bindet und sie so neutralisiert. Nach derzeitigen Erkenntnissen spielen B-Zellen im neurodegenerativen Entzündungsgeschehen bei MS eine wichtige Rolle. Durch Blockade bestimmter B-Zellen versucht man, die zum Myelinabbau führenden Entzündungsprozesse und die damit einhergehende zunehmende Behinderung der Patienten zu verlangsamen. Verabreicht wird Ofatumumab als subkutane Injektion, die sich Patienten – nach entsprechender Schulung – auch selbst verabreichen könnten, erklärt Novartis.

Zulassungsrelevante Studien zu Ofatumumab

Die Zulassung basiert auf den Ergebnissen von zwei klinischen Phase-3-Studien – ASCLEPIOS I und ASCLEPIOS II –, in denen Ofatumumab gegen Teriflunomid (Aubagio®) untersucht wurde. Teriflunomid ist ein täglich einzunehmendes orales MS-Arzneimittel, das B- und T-Zellen des Immunsystems reduziert. Beide Studien liefen doppelblind, randomisiert, multizentrisch und double-dummy, das heißt: Die Studienteilnehmer erhalten beide Darreichungsformen, hier Tabletten und subkutane Injektion, und jeweils eine davon ist Placebo. Primärer Endpunkt der Studie war die Verringerung der jährlichen Schubrate.

Ofatumumab reduziert jährliche Schubrate stärker als Teriflunomid

Ofatumumab gelang es in beiden Studien, die jährliche Schubrate stärker zu verringern als Teriflunomid. MS-Patient:innen erfuhren jährlich 0,11 Schübe unter Ofatumumab, unter Teriflunomid waren es 0,22 (ASCLEPIOS I) beziehungsweise 0,1 Schübe (Ofatumumab) und 0,25 Schübe (Teriflunomid) pro Jahr (ASCLEPIOS II). Die jährliche Schubrate verringerte sich unter Ofatumumab damit signifikant um 51 Prozent bzw. 59 Prozent im Vergleich zu Teriflunomid. Dabei galt als bestätigter MS-Schub, wenn dieser mit einer klinisch relevanten Veränderung des EDSS (Expanded Disability Status Scale) einherging. Der neue EDSS-Wert wurde mit dem jeweils letzten EDSS-Wert verglichen. Zur Erinnerung: Der EDSS bewertet den Schweregrad der Behinderung bei Patient:innen mit Multipler Sklerose. Die Skala reicht von null bis zehn (in 0,5er-Schritten) und bewertet Störungen in unterschiedlichen funktionellen Systemen (FS) des Körpers. Die Studien wurden unter „Ofatumumab versus Teriflunomide in Multiple Sclerosis“ im Fachjournal „New England Journal of Medicine“ veröffentlicht.

Ocrelizumab richtet sich auch gegen CD20+-B-Zellen

Ofatumumab ist nicht das einzige Arzneimittel in der MS-Therapie, das sich gegen CD20 positive B-Zellen richtet. Ocrelizumab (Ocrevus®) erhielt bereits im Januar 2018 die EU-Zulassung, es ist bislang das erste und einzige MS-Präparat, das nicht nur für die schubförmige MS, sondern auch für die primär progrediente (PPMS) zugelassen ist. Anders als Ofatumumab erhalten MS-Patienten Ocrelizumab alle sechs Monate als intravenöse Infusion. Zudem ist Ocrelizumab kein vollständig humaner Antikörper, sondern ein humanisierter. Das bedeutet, dass Ofatumumab überhaupt keine Mausproteine mehr hat, Ocrelizumab noch etwa 10 Prozent (Antigenbindungsstelle).



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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