Eine für alles

Polypille reduziert Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse

25.03.2021, 09:15 Uhr

Die in der Studie getestete Polypille setzte sich aus 40 mg Simvastatin, 100 mg Atenolol, 25 g Hydrochlorothiazid und 10 mg Ramipril zusammen. (Foto: Prostock-studio / stock.adobe.com)

Die in der Studie getestete Polypille setzte sich aus 40 mg Simvastatin, 100 mg Atenolol, 25 g Hydrochlorothiazid und 10 mg Ramipril zusammen. (Foto: Prostock-studio / stock.adobe.com)


Wer unter erhöhten Blutdruck- und Cholesterol-Werten leidet, nimmt nicht selten mehr als vier Tabletten pro Tag ein. Die Einnahme von lediglich einer Polypille, die mehrere Wirkstoffe in einer Tablette enthält, gestaltet sich für die Betroffenen nicht nur als angenehmer, sondern fördert auch die Adhärenz. Kanadische Wissenschaftler wollten nun dem Potenzial von Polypillen bei Personen mit erhöhtem Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse auf die Spur kommen.1,2

Jährlich sterben etwa 18 Millionen Menschen an den Folgen kardiovaskulärer Erkrankungen, ein Großteil (80 %) davon in Ländern mit geringen oder mittleren Einkommen.3 Bluthochdruck und erhöhte LDL(Low-­Density-Lipoprotein)-Cholesterol-Blutspiegel sind wichtige beeinflussbare Risikofaktoren.4-7 Folglich sollten durch ein zeitgleiches Senken beider Parameter mittels einer Polypille, die Blutdruck- und Lipid-senkende Sub­stanzen enthält, weniger kardiovaskuläre Ereignisse bei Risikopatienten auftreten. Diese Hypothese wurde bisher aber nur selten in großen Studien geprüft.8 Ebenso ist der Nutzen von niedrigdosierter Acetylsalicylsäure (ASS) in der Primärprävention von kardiovaskulären Erkrankungen bisher unklar, während der Einsatz in der Sekundärprävention bereits etabliert ist.9,10

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Diese Lücke sollte die doppelblinde, randomisierte TIPS-3-Studie schließen. Insgesamt wurden 5.713 Personen (Männer ab 50 Jahren, Frauen ab 55 Jahren) in die Analyse eingeschlossen. Bei keinem der Proband:innen war in der Vorgeschichte eine Herzerkrankung festgestellt worden, jedoch hatten alle Teilnehmer, gemessen am INTERHEART-Risk-Score, ein moderates bis hohes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse. In drei Studienarmen erhielten die Teilnehmer:innen randomisiert täglich entweder eine Polypille (40 mg Simvastatin, 100 mg Atenolol, 25 g Hydrochlorothiazid und 10 mg Ramipril), eine magensaftresistent überzogene Tablette mit 75 mg ASS oder eine Polypille plus ASS. Jede Therapie wurde gegen Placebo getestet.

Am besten wirksam in Kombination mit ASS

Über den Beobachtungszeitraum von 4,6 Jahren senkte die Polypille im Vergleich zu Placebo den systolischen Blutdruck um durchschnittlich 5,8 mmHg sowie den LDL-Cholesterol-Spiegel um 19 mg/dl. Die Behandlung mit Polypille plus ASS konnte am meisten kardiovaskuläre Ereignisse verhindern. Hier trat mit 4,1 % der primäre Endpunkt (Tod durch kardiovaskuläre Ursachen, Myokardinfarkt, Schlaganfall, Herzversagen, wiederbelebter Herzstillstand, arterielle Revaskularisation) deutlich seltener ein als unter Doppel-Placebo (5,8 %; Hazard Ratio: 0,69; 95 %-Konfidenzintervall: 0,50 bis 0,97). Die Autoren vermuten, dass der Benefit der Kombinations­behandlung noch größer sein könnte. Als Begründung schreiben sie, dass viele Studienteilnehmer:innen aufgrund von Lieferengpässen und Einschränkungen während der Corona-Pandemie nur verzögert ihre Arzneimittel erhalten haben und daher oft vom Einnahmeregime abgewichen sind.

Kaum Nebenwirkungen?

Insgesamt war die Polypille gut verträglich. Es traten vorwiegend Hypotonie und Schwindel auf. Ein erhöhtes Blutungsrisiko durch ASS, aufgrund dessen der Einsatz des Thrombozytenaggregationshemmers in der Primärprävention zusätzlich umstritten ist, wurde in dieser Studie nicht beobachtet. Diesbezüglich muss jedoch beachtet werden, dass vor Studienbeginn eine Einschleichphase stattgefunden hat, in der die Teilnehmer:innen eine niedrigdosierte Polypille plus ASS erhalten hatten und an deren Ende 9,5 % der Teilnehmenden aufgrund von unerwünschten Ereignissen oder mangelnder Adhärenz (7,4 %) aus der Studie ausgeschieden waren. Ob sich das positive Nebenwirkungsprofil tatsächlich auf den klinischen Alltag übertragen lässt, ist daher ungewiss. 

Dieser Artikel erschien in der DAZ
Ausgabe 11 / 2021, Seite 41

Die Wissenschaftler sehen jedoch in der Polypille kombiniert mit einer Beratung zur Lebensstiländerung ein großes Potenzial. Als preiswerte Medikation mit hoher Adhärenz könnte sie Teil einer umfassenden Präventionsstrategie gegen kardiovaskuläre Erkrankungen in ärmeren Regionen der Welt werden. Eine ähnliche Formulierung der Firma Cadila Pharmaceuticals in Indien, welche die Polypille für die Studie zur Verfügung stellte, kostet 15 US-Dollar pro Monat. Wirtschaftliche Analysen sowie groß angelegte Studien zum Beleg einer verbesserten Adhärenz durch den Einsatz von Polypillen fehlen derzeit noch.

 

Literatur

1 Joseph P et al. The International Polycap Study-3 (TIPS-3): design, baseline characteristics and challenges in conduct. Am Heart J 2018;206:72-9

2 Yusuf S et al. Polypill with or without Aspirin in Persons without Cardiovascular Disease. N Engl J Med 2021; 384:216-228

3 GBD 2017 Causes of Death Collaborators. Global, regional, and national age-sex-specific mortality for 282 causes of death in 195 countries and territories, 1980-2017: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2017. Lancet 2018;392:1736-88

4 GBD 2017 Risk Factor Collaborators. Global, regional, and national comparative risk assessment of 84 behavioural, environmental and occupational, and metabolic risks or clusters of risks for 195 countries and territories, 1990-2017: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2017. Lancet 2018;392:1923-94

5 Yusuf S et al. Modifiable risk factors, cardiovascular disease, and mortality in 155 722 individuals from 21 high-income, middleincome, and low-income countries (PURE): a prospective cohort study. Lancet 2020;395:795-808

6 Lewington S et al. Age-specific relevance of usual blood pressure to vascular mortality: a metaanalysis of individual data for one million adults in 61 prospective studies. Lancet 2002;360:1903-13

7 Yusuf S et al. Effect of potentially modifiable risk factors associated with myocardial infarction in 52 countries (the INTERHEART study): case-control study. Lancet 2004;364:937-52

8 Wald NJ, Law MR. A strategy to reduce cardiovascular disease by more than 80%. BMJ 2003;326:1419



Dorit Schüler, Apothekerin
redaktion@daz.online


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