Studie der LMU München

Folgen der Pandemie auf Ernährung und Gewicht

Stuttgart - 25.02.2021, 09:15 Uhr

Vor allem Familien mit höherem Bildungsabschluss und Einkommen, die im Home-Office arbeiten, könnten mehr auf die Ernährung ihrer Kinder achten und durch vermehrtes Selbstzubereiten der Mahlzeiten Kantinenessen in der Schule oder Fertiggerichte ersetzen. Anders bei Kindern benachteiligter Familien. (s / Foto: kwanchaichaiudom / stock.adobe.com)

Vor allem Familien mit höherem Bildungsabschluss und Einkommen, die im Home-Office arbeiten, könnten mehr auf die Ernährung ihrer Kinder achten und durch vermehrtes Selbstzubereiten der Mahlzeiten Kantinenessen in der Schule oder Fertiggerichte ersetzen. Anders bei Kindern benachteiligter Familien. (s / Foto: kwanchaichaiudom / stock.adobe.com)


Wie wirkt sich COVID-19 auf unser Gewicht aus – nehmen wir eher ab, weil wir öfter selbst kochen, oder snacken wir mehr und legen ein paar Kilos zu? Wissenschaftler:innen um Professor Berthold Koletzko von der LMU München untersuchten Essgewohnheiten und Gewichtsentwicklungen von Familien während der Pandemie: Mehr als ein Viertel der Eltern hat an Gewicht zugelegt und 9 Prozent der Kinder – ein erhöhtes Risiko hatten hier insbesondere Kinder benachteiligter Familien.

Wie wirkt sich die Pandemie indirekt gesundheitlich aus – vor allem bei Kindern? Rein virologisch beeinträchtigt COVID-19 Kinder wenig: Sie erkranken verglichen mit Erwachsenen kaum und selten schwer durch SARS-CoV-2 und gelten eher als Überträger denn als Erkrankte. Das allein heißt allerdings nicht, dass die Pandemie spurlos an ihnen vorbeizieht. Für ärmere Länder (geringes und mittleres Einkommen im unteren Bereich) fürchtet man, dass Mangel- und Unterernährung sich durch COVID-19 verschlimmern. Wie sieht es in Ländern mit hohem Einkommen aus? Laut einer Online-Umfrage in Polen unter 1.097 Erwachsenen aß die Hälfte der Befragten mehr (43 Prozent) und „snackte“ häufiger (52 Prozent). Nahezu jeder Dritte (30 Prozent) nahm 3 Kilogramm zu, 18 Prozent gaben an, 3 Kilogramm abgenommen zu haben.

Wie geht es Kindern – gewichts- und ernährungsmäßig – in Deutschland? Dieser Frage ging ein Team um Professor Berthold Koletzko nach. Koletzko lehrt als Professor für Kinderheilkunde an der LMU (Ludwig-Maximilians-Universität) München und leitet die Abteilung für Stoffwechsel und Ernährung für Kinder und Jugendmedizin des Dr. von Haunersches Kinderspitals (Kinder- und Kinderpoliklinik). Die Hypothese der Wissenschaftler:innnen: Die COVID-19-Pandemie wirkt sich durch Social Distancing und Schließung von Bildungseinrichtungen auf die Essgewohnheiten von Kindern und ihren Familien aus – und sie sollten Recht behalten.

Die Online-Umfrage

Wissenschaftler:innen entwickelten eine respräsentative Online-Umfrage, die anhand von 15 Fragen Daten zum Essverhalten und zur Gesundheit in deutschen Familien während der Pandemie liefern sollte. Das Forsa-Institut war vom 11. bis 16. September 2020 mit der Umfrage betraut und fragte auch soziodemographische Merkmale, zum Beispiel Geschlecht, Alter, Einkommen, Familienstand, Schulbildung, ab, jedoch nicht den Migrationshintergrund. Es ging um die Pandemie-bedingten Änderungen während der letzten sechs Monate – Social Distancing, Kontaktbeschränkungen, Home-Office, geschlossene Schulen und Kitas und Sporteinrichtungen. Befragt wurden 1.000 Eltern im Altern zwischen 20 und 65 Jahren, bei denen mindestens ein Kind bis zum Alter von 14 Jahren im selben Haushalt lebte. Die Haushalte wurden per Zufall ausgewählt, um eine repräsentative Stichprobe der Bevölkerung zu gewähren.

Home-Office abhängig von Bildungsabschluss und Einkommen

Fast zwei Drittel der Eltern (64 Prozent) arbeiteten der Umfrage zufolge im Home-Office (entweder ein Elternteil oder beide), und zwar zu gleichen Teilen vollständig von zuhause oder zumindest teilweise. Ob Eltern Home-Office wahrnahmen, war assoziiert mit höherem Bildungsabschluss oder universitärem Studium und mit einem monatlichen Einkommen von mehr als 4.500 Euro (80 Prozent im Home-Office).

Fast ein Drittel kochte häufiger selbst

Von allen befragten Familien berichteten 14 Prozent, dass sie sich während der letzten sechs Monate gesünder ernährt und öfter selbst gekocht hatten (30 Prozent). Eltern im Home-Office nutzten diese Möglichkeit häufiger (20 Prozent ernährten sich gesünder, 43 Prozent kochten öfter selbst).

Essen liefern lassen

Kaum Unterschiede gab es bei Essenslieferungen oder dem Abholen von Mahlzeiten: Etwa jede zehnte Familie hatte diese externen Services während der Coronapandemie häufiger wahrgenommen, und etwas mehr als jede zehnte erklärte, dass sie seltener Essen bestellt hatten, also das Gegenteil.

Mehr als ein Viertel der Eltern nahm zu

Die Wissenschaftler:innen interessierte auch, wie sich das geänderte Ess- und Sozialverhalten auf das Körpergewicht der einzelnen Familienmitglieder ausgewirkt hat. Über ein Viertel (27 Prozent) der Eltern hatte zugenommen, und zwar Väter und Mütter zu gleichen Teilen. Die Wissenschaftler:innen fanden bei der Gewichtszunahme keinen Zusammenhang mit dem Einkommen der Familien oder dem Alter der Kinder oder der Größe der Gemeinde/Stadt, in der sie lebten.

Fast jedes zehnte Kind hat an Gewicht zugelegt

Anders bei Kindern: Fast jedes Zehnte (9 Prozent) nahm an Gewicht zu, und hier gab es Unterschiede hinsichtlich des Schulabschlusses der Eltern. Bei Kindern, deren Eltern weniger als zehn Jahre eine Schule besucht hatten (keine Mittlere Reife, kein Abitur), lag der Anteil der Kinder mit Gewichtszunahme mit 23 Prozent deutlich höher. Hier ist die Gewichtszunahme allerdings nicht so einfach einzuordnen, da Kinder wachstumsbedingt ja natürlicherweise an Gewicht zunehmen. Gefragt wurde nach einer Corona-bedingten übermäßigen Gewichtszunahme, die über die normale Gewichtsentwicklung hinausgeht, erfuhr DAZ.online im Gespräch mit Professor Koletzko.

Vor allem ältere Kinder

Auffallend ist auch, dass sich die Coronapandemie bei kleinen Kindern (vor Einschulung) kaum auf das Körpergewicht ausgewirkt hat. Bei Schulkindern, vor allem im Alter von zehn bis zwölf Jahren, nahm jedoch nahezu jedes Fünfte an Gewicht zu (19 Prozent), hier war der Anteil der Jungen mit 24 Prozent höher als bei Mädchen (13 Prozent). 38 Prozent der Eltern berichteten zudem, dass sich ihre Kinder körperlich weniger bewegten, mit höherem Anteil bei älteren Kindern ab zehn Jahren.

Wie viel mehr Gewicht?

Doch wie viele Kilos haben die Kinder zugenommen, und gab es vielleicht auch Kinder, die abgenommen haben? DAZ.online hat bei Professor Koletzko nachgefragt. „In der Gesamtgruppe wurde für 1 Prozent der Kinder eine Corona-bedingte Gewichtsabnahme angegeben, ohne erkennbaren Einfluss von Haushaltseinkommen, Größe der Wohngemeinde oder elterlichem Alter“. Allerdings habe man das Ausmaß der Gewichtsveränderung nicht erfragt, weil dies für eine belastbare Interpretation einen Bezug auf SDS oder Perzentilen brauche, was die Möglichkeiten der gewählten Methode an die Grenze bringe, erklärt Koletzko. Zur Erklärung: Für Kinder ordnet man das Gewicht zur Abschätzung des Körperfettanteils mit BMI-Perzentilen ein. Bei Perzentilen unter 10 liegt Untergewicht vor, bei Perzentilen über 90 Übergewicht, dazwischen Normalgewicht. SDS steht für Standard Deviation Score und verdeutlicht, wie stark der Perzentilenwert über oder unter dem BMI-Medianwert liegt (alters- und geschlechtsspezifisch).

Mehr Gemüse oder mehr Süßigkeiten?

Erfreulicherweise förderte die Pandemie bei manchen Familien den Konsum von Obst und Gemüse: 14 Prozent der befragten Familien gab an, mehr Gemüse zu essen, bei Obst waren es 20 Prozent. Gleichzeitig aßen 13 Prozent der Familien weniger Fleisch und verarbeitete Fleischprodukte – diese drei Beobachtungen konnten die Wissenschaftler:innen mit Eltern im Home-Office in Verbindung bringen. Jede fünfte befragte Familie bestätigte jedoch auch, dass mehr „gesnackt“ wurde, sowohl gesalzene Snacks wie auch Süßigkeiten, und dass mehr Softdrinks konsumiert wurden.

Vor allem Kinder aus benachteiligten Familien nehmen zu und ernähren sich schlechter

Was schlussfolgern die Wissenschaftler:innen aus diesen Beobachtungen? Vor allem Familien mit höherem Bildungsabschluss und höherem Einkommen, die im Home-Office arbeiten, könnten mehr auf die Ernährung ihrer Kinder achten und durch vermehrtes Selbstzubereiten der Mahlzeiten zu Hause Kantinenessen in der Schule oder Fertiggerichte ersetzen. Da die Angaben zur Gewichtszunahme Selbstauskünfte der Familien seien und entsprechend wie alle anderen Anamnese- oder Fragebogenerhebungen auch mit möglichen Unsicherheiten behaftet. Trotz aller Unschärfen bleibe der Befund der zunehmenden sozioökonomischen Ungleichheit der Gesundheit von Kindern unter Corona-Bedingungen überdeutlich – ähnlich der zunehmenden sozioökonomischen Ungleichheit der Bildung von Kindern unter Corona-Bedingungen. „Kinder aus benachteiligten Familien haben ein 2,5-fach höheres Risiko der Gewichtszunahme, mit einem ebenfalls höheren Risiko für schlechtere Ernährung und weniger Bewegung“, so Koletzko.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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