Cannabinoide

Schmerzmediziner wollen Verordnung erleichtern

Dresden - 22.01.2021, 16:45 Uhr

Medizinisches Cannabis: Die meisten Verordner sind Hausärzte, Schmerzmediziner und Neurologen. (Foto: MKS / stock.adobe.com)

Medizinisches Cannabis: Die meisten Verordner sind Hausärzte, Schmerzmediziner und Neurologen. (Foto: MKS / stock.adobe.com)


In der Versorgung von Schmerzpatienten mit Cannabinoiden gibt es bisher viele Hemmnisse. Die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin will das ändern und verhandelt mit den Krankenkassen. Deren Genehmigungsvorbehalt könnte fallen.

In Deutschland gibt es 15 Millionen Schmerzpatienten, inzwischen sind chronische Schmerzen als Krankheit anerkannt. Wenn in der Behandlung alle Medikamente und Therapien ausgeschöpft sind, können Cannabinoide ein Ausweg sein. Diese dürfen verordnet werden, wenn es nach begründeter Einschätzung des Arztes keine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlungsoption mehr gibt. Patienten stellen dann einen Antrag bei ihrer Krankenkasse. 30 Prozent dieser Anträge werden jedoch abgelehnt, beklagte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS), Johannes Horlemann, am vergangenen Mittwoch in einer Online-Pressekonferenz.

Warum ist das so? Die bürokratischen Hürden seien hoch und regional verschieden, erklärt die DGS. Die Darstellung der Verordnungsvoraussetzungen entsprechend dem Gesetz sei mit hohem Aufwand für Verordner und Patienten verbunden, erst recht, wenn es um ein Widerspruchsverfahren gehe. Auch die Definition, wie schwer eine Erkrankung ist, und was Cannabinoide gegebenenfalls positiv ausrichten können, fällt unterschiedlich aus. Medizinischer Dienst, verordnender Arzt und betroffener Patient haben mitunter verschiedene Auffassungen. Für die Patienten bedeutet all das eine Vielzahl an Problemen und lange Wartezeiten auf eine angemessene Versorgung, für die Ärzte Entmutigung. Die meisten Verordner sind Hausärzte, Schmerzmediziner und Neurologen.

Um die Situation für Ärzte und Schmerzpatienten zu verbessern, hat die DGS eigenen Angaben zufolge Verhandlungen mit den Krankenkassen aufgenommen. Ziel ist, deren Genehmigungsvorbehalt einer Erstverordnung aufzuheben. „Das bedeutet, dass die Therapieentscheidung ausschließlich beim Arzt in Absprache mit seinem Patienten liegen soll. Gleichzeitig soll ein nachvollziehbarer Qualitätsanspruch gewährleistet bleiben.“ Einstellungen auf Cannabinoide, die in Kliniken vorgenommen werden, sollen demnach ohne erneute Antragsstellung von ambulant tätigen Ärzten übernommen werden können, heißt es in einem Eckpunktepapier.

Hauptindikation chronische Schmerzen

Über einen Selektivvertrag zunächst zwischen der AOK Rheinland/Hamburg und der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) soll das neue Verfahren getestet werden. „Die Qualifizierung der Verordner soll im stationären und ambulanten Bereich durch eine curriculare Fortbildung der DGS sichergestellt werden“ – auch um das Vertrauen der Krankenkassen zu rechtfertigen. Zudem soll die Praxisleitlinie „Cannabis in der Schmerzmedizin“ der DGS weiterentwickelt werden. Geplant ist, die Entwicklungen wissenschaftlich zu evaluieren. Langfristig soll ein entsprechendes Vertragswerk allen Krankenkassen zur Verfügung gestellt werden. Unterstützung für den Vorstoß erfährt die DGS auch aus der Politik. Alexander Krauß (CDU) und Martina Stamm-Fibich (SPD), beide Mitglieder im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages, haben das Eckpunktepapier bereits unterzeichnet.

Laut DGS sind die Möglichkeiten, schwerkranken Patienten Cannabinoide zu verordnen, mit der Einführung des sogenannten Cannabisgesetzes im März 2017 deutlich verbessert worden. Die Hälfte aller Patienten, bei denen eine Cannabinoid-Behandlung medizinisch Sinn ergibt und eine entsprechende Indikation besteht, sei durch das Gesetz erreicht worden. Das bedeute umgekehrt aber auch, dass weiterhin eine Versorgungslücke für die übrigen 50 Prozent der Betroffenen klafft. Inzwischen habe sich herausgestellt, dass die Hauptindikation bei chronischen Schmerzen, insbesondere neuropathischen Schmerzen, liegt, besonders im Bereich von Rückenschmerz, Tumorschmerz und anderen Schmerzformen. „Hinweise auf eine missbräuchliche Auslegung oder Anwendung des Gesetzes sind bisher nicht bekannt geworden.“

Fortschritte verzeichnet die DGS zudem in Sachen weltgrößtes Schmerzregister. Bundesweit beteiligen sich aktuell 213 Einrichtungen mit 769 Schmerzmedizinern, 795 Ärzten anderer Fachrichtungen und 2.551 nichtärztlichen Schmerzspezialisten am PraxisRegister Schmerz. Neben der Dokumentation von inzwischen 302.617 Behandlungsfällen wurde Ende 2020 ein Evaluations-Algorithmus integriert. Der Algorithmus bewertet auf Grundlage der Patientenangaben das Risiko für die seltene Stoffwechselkrankheit Morbus Fabry und meldet dies dem behandelnden Arzt. „Die Krankheit kann so möglicherweise frühzeitig diagnostiziert werden“, sagte DGS-Vizepräsident Dr. Michael A. Überall am Mittwoch online vor Journalisten.



Anja Köhler, Freie Journalistin
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


Das könnte Sie auch interessieren

Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin

Projekt zur Versorgungsforschung in den Startlöchern

Handlungsempfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin bieten Orientierung

Cannabis im Therapiealltag

Grundlegende Fragen zu Cannabis bleiben auch Ende 2019 noch offen

Wer, wie, was – wieso, weshalb, warum?

Diagnosestellung soll erleichtert werden

Fibromyalgie-Praxisleitfaden hilft Ärzten und Patienten

Schmerzmediziner beziehen klare Stellung zu Cannabis

Blüten als letzte Wahl

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.