Weiterhin gut versorgt

Hämophilie in der öffentlichen Apotheke

Berlin - 29.12.2020, 07:00 Uhr

Nicht jede Apotheke kann Hämophilie-Therapeutika liefern. Der IGH führt auf seiner Homepage eine Liste mit versorgenden Apotheken. (Foto: pixelfokus / stock.adobe.com)

Nicht jede Apotheke kann Hämophilie-Therapeutika liefern. Der IGH führt auf seiner Homepage eine Liste mit versorgenden Apotheken. (Foto: pixelfokus / stock.adobe.com)


Mit dem Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) wurde der Vertrieb von Hämophilie-Arzneimitteln vom fachärztlichen Personal auf die Apotheken übertragen. Nach einem unauffälligen Auftakt ergaben sich bislang keine größeren Probleme durch die geänderte Versorgungsstruktur. Der Übergang scheint somit geglückt, wenngleich aktuell erst ein Teil der Betroffenen den neuen Vertriebsweg überhaupt in Anspruch nehmen musste. 

Durch Inkrafttreten des GSAV ergaben sich im September dieses Jahres auch Änderungen in § 47 Arzneimittelgesetz (AMG). Die bis dato für Hämophilie-Arzneimittel geltende Ausnahme vom Apotheken-Vertriebsweg wurde ersatzlos gestrichen. Patient:innen erhalten nun ihre Gerinnungsfaktor-Präparate nicht mehr direkt vom behandelnden fachärztlichen Personal, sondern auf dem für verschreibungspflichtige Arzneimittel üblichen Wege - in der Apotheke.

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Von dieser Gesetzesänderung sind allerdings nicht alle der knapp 19.000 öffentlichen Apotheken unmittelbar betroffen. Die Prävalenz der verschiedenen Hämophilien ist in Deutschland relativ gering. Aktuelle Schätzungen gehen von einer Gesamtzahl von etwa 10.000 Betroffenen aus.

Besonderheiten der Hämophilie-Präparate

Auch wenn es sich bei den Therapeutika grundsätzlich um gewöhnliche Fertigarzneimittel handelt, sind einige Besonderheiten bei dieser Warengruppe zu beachten. Es handelt sich bei den Faktorpräparaten zumeist um kühlpflichtige oder sogar kühlkettenpflichtige Arzneimittel, welche außerdem sehr hochpreisig sind. Hier könnten Fehler im Umgang mit der Ware also zu erheblichen wirtschaftlichen Folgen sowie Einbußen bei der pharmazeutischen Qualität der Arzneimittel führen.

Um die beteiligten Apotheken auf diese Aufgabe vorzubereiten, wurde der Verband der Hämophilie-Apotheken (VHA) gegründet. Dieser Verband hat es sich zum Ziel gemacht, die Versorgung mit Hämophilie-Präparaten durch die öffentlichen Apotheken bestmöglich sicherzustellen. Hierzu wurden bereits in der Übergangsphase bis zur Rechtskräftigkeit der Gesetzesänderung diverse Informationsveranstaltungen für Apotheken angeboten. Mehr als 70 Apotheken haben sich dem Berliner Verband seit seiner Gründung im Mai bereits angeschlossen. Laut VHA seien die Vorbereitungen sowie der Start des neuen Vertriebswegs sehr erfolgreich verlaufen. Auch Apotheken, die dem Verband nicht angehören, seien rechtzeitig mit allen notwendigen Informationen versorgt worden.

Retaxationen vermeiden

Der Verband betreibt eine eigene Notfallzentrale für Hämophile und kooperiert seit November außerdem mit der Medios AG. Diese Firma hat sich auf komplexe Therapien spezialisiert und bietet den Verbandsmitgliedern künftig eine Softwarelösung an, die bei der Prüfung der Rezepte unterstützen soll. Ziel der Kooperation ist die Vermeidung kostspieliger Retaxationen. Dies dürfte insbesondere in Anbetracht des jüngsten Insolvenzverfahrens eines großen Abrechnungszentrums eine willkommene zusätzliche Absicherung für die versorgenden Apotheken darstellen.

Interessengemeinschaft Hämophiler: gelungene Zusammenarbeit mit VHA

Auch Christian Schepperle, Geschäftsführer des Interessengemeinschaft Hämophiler (IGH), berichtet von einer sehr frühen und gelungenen Zusammenarbeit mit dem VHA. Neben ihm war auch eine Vielzahl von verunsicherten Patient:innen vor dem ersten September äußerst skeptisch, ob die Versorgung in der gewohnten Qualität weiter aufrechterhalten bleiben kann. Er selbst sah sich bei Beschluss des GSAV als Gegner der Neuregelung. Nun zieht er allerdings ein überaus positives Resümee.

Botendienst verbessert Versorgung

Es gebe durchweg sehr gute Erfahrungen mit den versorgenden Apotheken und gerade die Belieferung über den Apothekenbotendienst stelle eine Verbesserung im Vergleich zum vorherigen Vertriebsweg dar. Viele Betroffene erhalten ihre Medikation nun sogar schneller und unkomplizierter als zuvor. Besonders die ausreichende Kühlung während des Heimtransports der Medikation sei in der Vergangenheit ein Problem gewesen. Zusätzlich begrüßt Schepperle in diesem Kontext auch die anstehende Einführung des elektronischen Rezepts. In Notfallsituationen oder auf Reisen gestalte sich die Beschaffung der lebenswichtigen Therapeutika häufig schwierig. Durch die künftige Möglichkeit, dass nun benötigte Rezept elektronisch zugesandt bekommen, sieht er Potenzial für deutlich mehr Flexibilität und damit auch eine Vereinfachung der Versorgung.

Konkrete Probleme bestehen laut IGH aktuell vor allem noch für Privatversicherte. Diese müssen regelmäßig wochenlang für ihre Arzneimittel in Vorkasse gehen, was bei Preisen im fünfstelligen Bereich nicht jedem einfach möglich sei. Schepperle erhofft sich hier im weiteren Verlauf ein vermehrtes Entgegenkommen der Apotheken, zum Beispiel über das Angebot von Abtretungserklärungen oder durch die direkte Abrechnung mit den privaten Krankenversicherern.

Kaufmännisches Risiko könnte zu verstärkter Spezialisierung führen

Einige Betroffene schilderten weiterhin, dass sie zunächst mehrfach mit ihren ärztlichen Verordnungen in Apotheken abgewiesen worden seien. Schepperle sieht als Grund hierfür insbesondere die hohen Verkaufspreise der Therapeutika, welche gerade für kleinere Apotheken ein kaufmännisches Risiko darstellen. Er geht davon aus, dass sich auf lange Sicht eine noch deutlichere Spezialisierung größerer Apotheken auf die Hämophilie-Versorgung entwickeln wird. Der IGH führt auf seiner Homepage eine Apothekenliste, die neben den Apotheken des VHA auch weitere Apotheken aufführt, welche sich an der Versorgung mit Hämophilie-Präparaten beteiligen. Durch diese Liste war es bereits vielen Hämophilen möglich, eine geeignete Apotheke in ihrer Nähe zu finden.

Aus seinen persönlichen Erfahrungen berichtet Schepperle zudem, dass bisher wahrscheinlich erst ein Teil der Betroffenen den neuen Vertriebsweg überhaupt in Anspruch nehmen musste. Vorwiegend seien Personen mit Hämophilie A versorgt worden, da hier eine deutlich häufigere Arzneimittelapplikation erfolge als bei einer Hämophilie B. Menschen mit Hämophilie B kommen mit ihren Arzneimitteln über viele Monate aus und verfügten daher bislang oft noch über Vorräte. Demnach werden wohl noch einige neue Patient:innen auf die Apotheken zukommen.

Die Apothekenliste des IGH e.V. ist unter www.igh.info/apotheken zu erreichen. Interessierte Apotheken können sich auch weiterhin zwecks ihrer Aufnahme in die Liste bei dem Verein melden. Die Notfallzentrale des VHA ist für Patient:innen durchgehend unter der 0800 – 410 7100 zu erreichen. Medizinisches oder pharmazeutisches Fachpersonal kann unter der 0800 – 337 22 55 Hilfe bei Hämophilie-Notfällen anfordern.



Jessica Geller, Autorin, DAZ.online
redaktion@daz.online


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