Mythos Apotheke (Teil 4)

Erst das Patientenwohl, dann die Bürokratie?

Berlin - 14.12.2020, 09:15 Uhr

Bevor ein Rezept beliefert werden kann, muss in der Apotheke viel geprüft werden. Bürokratie gehört zum Alltag dazu. (Foto: Schelbert)

Bevor ein Rezept beliefert werden kann, muss in der Apotheke viel geprüft werden. Bürokratie gehört zum Alltag dazu. (Foto: Schelbert)


Was die Apotheke alles prüfen muss

Die Autor:innen beziehen sich auf eine bereits vor Jahren veröffentlichte Liste der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg, die titelte: „Traurig aber wahr, Bürokratie schlägt Beratung“. Darin nennt die Kammer alle Schritte, die bei der Belieferung eines Rezepts nötig sind. Sie lautet wie folgt:

  • Rezept vom Patienten entgegennehmen
  • Formelle Prüfung des Rezepts: Gültigkeitsdauer, Name des Versicherten, Krankenkassen-Nr., Versicherten-Nr., Betriebsstätten-Nr. der Arztpraxis, Arztnummer, Arztstempel und Unterschrift des Arztes
  • Krankenkasse des Patienten ermitteln und ggf. einen entsprechenden Hausarztvertrag berücksichtigen
  • Prüfen, ob statt des verordneten Arzneimittels ein rabattbegünstigtes Arzneimittel abgegeben werden muss
  • Prüfen, ob das rabattbegünstigte Arzneimittel auf Lager oder zumindest lieferfähig ist
  • Verunsichertem Patienten erläutern, warum er (wegen der Rabattverträge) ein anderes Arzneimittel bekommt als bisher
  • Hat der Apotheker Bedenken, dass der Präparatewechsel beim Patienten zu größeren Problemen führen wird, muss er dies in der Apotheke auf dem Rezept vermerken, schriftlich begründen und mit seinem Namen abzeichnen
  • Importquote beachten: Wenn ein Importarzneimittel einen gewissen Preisabstand zum „Bezugsarzneimittel“ aufweist, ist das billigere Importarzneimittel abzugeben
  • Ist die Belieferung eines rabattbegünstigten bzw. eines Importarzneimittels nicht möglich, ist dies auf dem Rezept zu vermerken und mit einer Nichtlieferfähigkeitsbescheinigung (zum Beispiel des Großhandels) zu dokumentieren
  • Echtheitsprüfung anhand des Sicherheitsmerkmals auf der abzugebenden Arzneimittelpackung (Stichwort: Securpharm)
  • Prüfen, ob das Arzneimittel zuzahlungspflichtig ist
  • Prüfen, ob der Patient eine Bescheinigung seiner Krankenkasse besitzt, die ihn von der Zuzahlung befreit
  • Prüfen, ob eine Aufzahlung (Übernahme von Mehrkosten) zu leisten ist

Das ist eine lange Liste und sie ist bei Weitem nicht vollständig, unterstreichen Kaapke/Kleber-Herbel/Hüsgen. So müssen demnach zum Beispiel Betäubungsmittel- und T-Rezepte gesondert und akribisch bearbeitet, geprüft und in der Apotheke aufwändig dokumentiert werden – von Hilfsmittelrezepten, Rezeptprüfung und möglicherweise nötigen Telefonaten mit Praxen ganz zu schweigen.

Und bereits bei geringen Formfehlern, führen Kaapke/Kleber-Herbel/Hüsgen weiter aus, droht der Apotheke eine Retaxierung. Das bedeutet, die Krankenkasse bezahlt nicht oder nicht vollständig für das abgegebene, manchmal sehr teure Präparat. „In diesem Zusammenhang völlig unverständlich: Bei Ärzten verfahren die Krankenkassen grundsätzlich nach der Maxime ‚Beratung vor Regress‘, bei den Apotheken dagegen schlagen die Krankenkassen mit der Retaxationskeule drauf.“

Es geht auch anderes

In der gegenwärtigen Pandemie haben die Apotheken mehr Beinfreiheit und müssen nicht fürchten, von der Kasse belangt zu werden, wenn sie einmal kein Rabattarzneimittel abgeben. Kein Wunder, dass sie sich sehnlich wünschen, dass einige der Regelungen der SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung über die Pandemie hinaus erhalten bleiben. Während die Botendienstvergütung, wenn auch halbiert, diese Hürde bereits genommen hat, gibt es mit Blick auf die vereinfachten Abgaberegeln allerdings noch keine zukunftsfroh stimmenden Signale.

 

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Von Andreas Kaapke / Nina Kleber-Herbel / Uwe Hüsgen

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Christina Müller, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (cm)
redaktion@daz.online


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