Hygiene-Forscher zu Oberflächendesinfektion

SARS-CoV-2: mehr reinigen, weniger desinfizieren

Düsseldorf - 07.12.2020, 16:45 Uhr

Wenn Gastronomien geöffnet haben dürfen, sprühen sie häufig nach jedem Besucher die Tische mit Desinfektionsmitteln ein, statt diese zu reinigen. Forscher warnen nun vor der möglichen Gefahr eines Zuviels an Hygiene. (Foto: bignai / stock.adobe.com)

Wenn Gastronomien geöffnet haben dürfen, sprühen sie häufig nach jedem Besucher die Tische mit Desinfektionsmitteln ein, statt diese zu reinigen. Forscher warnen nun vor der möglichen Gefahr eines Zuviels an Hygiene. (Foto: bignai / stock.adobe.com)


Während als Maßnahme gegen die Corona-Pandemie allerorten Oberflächen im öffentlichen Raum wiederholt mit Desinfektionsmitteln behandelt werden, warnen deutsche und österreichische Hygieneforscher vor den Folgen– unter anderem im Fachmagazin Lancet. Sie bezweifeln die Notwendigkeit, regelmäßige Reinigung sei sinnvoller.

AHA + L – also Abstand, Hygiene, Alltagsmaske und Lüften – das ist die Formel, mit der man in Deutschland durch die Corona-Pandemie zu kommen sucht und die helfen soll, die Zahl der Neuinfektionen zu senken. Während auf der einen Seite faktenresistente Skeptiker von allem zu wenig nutzen und so zu Hotspots und Superspreader-Events einen großen Beitrag leisten, könnte es nach Meinung einiger Forscher sein, dass gerade im Bereich Hygiene von anderen auch zu viel des Guten getan wird.

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Verbrauch an Desinfektionsmitteln ist erheblich gestiegen

Ist das noch gesund?

Das Phänomen an sich ist nicht neu. In Vor-Corona-Zeiten stand die übermäßige und oft unnötige Anwendung von Flächendesinfektionsmitteln, antibakteriellen Nanopartikeln und Wäschedesinfektionsmitteln oft in der Kritik. Zu viel Hygiene schadet dem natürlichen Mikrobiom, etwa der Haut aber auch der Umwelt – also auch allen „nützlichen Bakterien“ beziehungsweise denen, die den Platz besetzen, den sonst potenziell krankmachende Bakterien einnehmen. 

Etwa aus Kostengründen stark verdünntes Desinfektionsmittel auf Flächen ausgebracht birgt dagegen die Gefahr, Resistenzen bei den Mikroorganismen zu etablieren, so dass auch Pathogene dann etwa in Krankenhäusern nicht mehr wirksam mit Desinfektionsmitteln aus den Sterilbereichen herauszuhalten sind.

Selbst Bürgersteige werden desinfiziert

Um das SARS-CoV-2-Virus zu bekämpfen, greift man in einigen Ländern sogar dazu, nicht nur die oft angefassten Flächen wie Türgriffe oder Tische regelmäßig zu desinfizieren – selbst Straßen und Bürgersteige wurden und werden in manchen Gegenden großflächig mit Desinfektionsmitteln beregnet oder begast. Und auch in Deutschland werden, wenn die Gastronomien nicht gerade im Teil-Lockdown sind, Tische nach jedem Besucher mit Desinfektionsmitteln eingesprüht, und überhaupt wird in allen öffentlichen Bereichen viel an Flächendesinfektionsmitteln eingesetzt. 

Drei Hygiene-Forscher aus Deutschland und Österreich machen bereits seit Beginn der Pandemie mit zahlreichen Veröffentlichungen, Interviews und Gastbeiträgen (unter anderem in den Zeitungen „NZZ“ und „Welt“, in der „Wiener Zeitung“ sowie mit Büchern) auf die mögliche Gefahr dieses Zuviels an Hygiene aufmerksam. Nun haben der außerplanmäßige Professor an der Uni Greifswald und Facharzt für Hygiene und Umweltmedizin Günter Kampf, Professor Sebastian Lemmen, Leiter des Zentralbereichs für Krankenhaushygiene und Infektiologie der Uniklinik RWTH Aachen, sowie die Professorin Miranda Suchomel, Leiterin des Instituts für Hygiene und Angewandte Immunologie der Medizinischen Universität Wien, in einer Veröffentlichung im Fachmagazin „The Lancet – Infectious Deseases“ mit einer Meta-Studie über sechs andere Studien erhoben, wie sinnvoll Flächendesinfektion gegen SARS-CoV-2 überhaupt ist.

Die Wissenschaftler analysierten dazu insgesamt sechs bis Oktober 2020 veröffentlichte Studien, die Original-Daten zur Oberflächenkontamination mit SARS-CoV-2 in der Umgebung bestätigter COVID-19-Patienten enthielten. Dabei differenzierten die Forscher zwischen gefundenen Virusspuren in Form von RNA auf den Oberflächen, die sich mittels RT-PCR nachweisen lassen, und identifizierten infektiösen Viruspartikeln. Die Infektiosität wurde in den Studien dabei per Zellkultur-Assay ermittelt.

Virus-RNA bis zu 28 Tage auf Oberflächen nachweisbar

Während sich Virus-RNA bis zu 28 Tage lang nach dem letzten Kontakt mit einem Infizierten in einem Raum per RT-PCR nachweisen ließ, fanden sich infektiöse Partikel nur bei einer der sechs Studien – und auch dort nur in 9,2 Prozent der genommenen Proben. Diese sind laut jener Studie auf einen einzigen Patienten mit permanentem Husten und Auswurf zurückzuführen gewesen. 

Virus-RNA sei in allen Studien mit einer Bandbreite von 1 bis zu 52,7 Prozent aller Proben gefunden worden. Jedoch sei auf Oberflächen wie auch bei Personen die einfache Unterscheidung nach positivem oder negativem RNA-Nachweis kein ausreichendes Kriterium, schließen die Hygiene-Forscher. Unter Bezug auf eine Arbeit der Immunologin Akiko Iwasaki, Professorin an der Yale Universität, fordern sie, den sogenannten Ct-Wert, den Cycle Trashhold, einen quantitativen Schwellenwert bei der RealTime-PCR mit einzubeziehen. Zwar ist dieser Wert nicht ausschließlich von der ursprünglichen Menge an RNA in den Proben abhängig – ein Ct-Wert über 33 sei aber „ohne epidemiologische Relevanz“, sagen die Forscher. In diesen Fällen gebe es zwar RNA, aber keine infektiösen Partikel.

Die Polymerasekettenreaktion PCR vermag theoretisch aus nur einer vorhandenen spezifischen Nukleinsäure ein positives Ergebnis zu produzieren – das Prinzip der Reaktion ist die Amplifikation. Mittels der quantitativ in „Echtzeit“ verfolgbaren Real Time qPCR lässt sich dagegen relativ auf die ursprüngliche Menge in der Probe enthaltener Nukleinsäure – in diesem Fall SARS-CoV-2-RNA – schließen. Der Ct-Wert besagt, ab welchem Zyklus der Kettenreaktion ein deutlich detektierbares Signal der Reaktion zu finden war.

Ct-Wert bei qPCR laut RKI nicht unmittelbar vergleichbar

Laut den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts (RKI) lässt sich so eine allgemeine Empfehlung nach einer bestimmten Größe des Ct-Wertes wie ihn die Forscher vorschlagen aber nicht treffen. „Der aus der Real-Time PCR bekannte Ct-Wert stellt nur einen semi-quantitativen und von Labor zu Labor nicht unmittelbar vergleichbaren Messwert dar, solange es keinen Bezug auf eine Referenz gibt. Ein exakt quantifizierter Standard kann dazu verwendet werden, die erhaltenen Ct-Werte in eine RNA-Kopienzahl pro Reaktion und ggf. pro Probenvolumen umzurechnen“, heißt es auf der Seite des RKI. 

Eine Kontamination an öffentlichen Plätzen mit infektiösen Viren sei aber so unwahrscheinlich wie in Kliniken. Das könne nur passieren, wenn der Viren-Träger nahe an eine Oberfläche komme. Die „potenziellen Virus-Quellen” seien aber (in der Öffentlichkeit) nicht permanent nahe der Oberflächen, zeigten keine Symptome und trügen Masken, was in einer sehr geringen Wahrscheinlichkeit der Kontamination von Oberflächen resultiere, schreiben die Forscher.

Nur in besonderen Fällen Oberflächen desinfizieren

Unter Hinweis auf die Auswirkungen auf das Mikrobiom und die mögliche Verbreitung von Resistenzgenen unter Bakterien bei dauerhafter Oberflächen-Desinfektion empfehlen Kampf, Lemmen und Suchomel daher, öffentlich zugängliche Flächen wie in der Apotheke (nur) regelmäßig zu reinigen und nur dann zu desinfizieren, wenn es konkrete Hinweise auf eine mögliche Kontamination mit einer ausreichenden Menge infektiösen Materials gebe – und wenn sich dies nicht durch Reinigung oder Händewaschen kontrollieren ließe.

Damit stimmen die Forscher allerdings auch überein mit den Empfehlungen des RKI in den „Hinweisen zu Reinigung und Desinfektion von Ober­flächen außerhalb von Gesundheits­einrichtungen im Zusammen­hang mit der COVID-19-Pandemie“. Dort heißt es: „In Außenbereichen bzw. in öffentlichen Bereichen steht die Reinigung von Oberflächen im Vordergrund“. Nachweise über eine Übertragung durch Oberflächen im öffentlichen Bereich lägen bislang nicht vor, heißt es dort ferner.

„Handhygiene ist die wirksamste Maßnahme“

Und weiter: „Ob eine Desinfektion von bestimmten Flächen außerhalb von Gesundheitseinrichtungen überhaupt notwendig ist, sollte im Einzelfall anhand der tatsächlichen Kontamination der Fläche entschieden werden. Im Fokus stehen sollten in diesem Falle die Kontamination durch respiratorische Sekrete sowie gegebenenfalls Oberflächen, die häufigen Kontakt mit den Händen einer erkrankten Person hatten.

Eine routinemäßige Flächendesinfektion in häuslichen und öffentlichen Bereichen, auch der häufigen Kontaktflächen, wird auch in der jetzigen COVID-Pandemie nicht empfohlen. Hier ist die angemessene Reinigung das Verfahren der Wahl.“

Dagegen weist das RKI darauf hin, „dass die konsequente Umsetzung der Händehygiene die wirksamste Maßnahme gegen die Übertragung von Krankheitserregern auf oder durch Oberflächen darstellt“. Eine Position, die auch Professor Kampf vertritt als Herausgeber etwa des Buches „Hände-Hygiene im Gesundheitswesen“. 



Volker Budinger, Diplom-Biologe, freier Journalist
redaktion@daz.online


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