Zweites Schweizer Paket

Enttäuschung bei pharmaSuisse wegen Missachtung der Apotheken

Remagen - 25.11.2020, 13:15 Uhr

Der Apothekerverband pharmaSuisse begrüßt die Initiative zum zweiten Kostendämpfungspaket, ist aber enttäuscht, weil die Apotheker nicht zu den Erstberatungsstellen für Patienten gehören sollen. (Foto: Kavalenkava / adobe.stock.com)

Der Apothekerverband pharmaSuisse begrüßt die Initiative zum zweiten Kostendämpfungspaket, ist aber enttäuscht, weil die Apotheker nicht zu den Erstberatungsstellen für Patienten gehören sollen. (Foto: Kavalenkava / adobe.stock.com)


In der Schweiz ist gerade die Anhörung zum zweiten Kostendämpfungspaket ausgelaufen. Damit soll für Patienten unter anderem eine verpflichtende Erstberatungsstelle geschaffen werden. Der Apothekerverband pharmaSuisse begrüßt diese Initiative zwar, ist aber enttäuscht, weil die Apotheker nicht zu den ersten Anlaufstellen gehören sollen. Dabei waren sie in der Grundversorgung schon seit Jahren auf einem guten Weg und konnten ihre Kompetenzen immer weiter ausbauen.

Im Frühjahr 2018 hatte der Schweizer Bundesrat ein Kostendämpfungsprogramm zur Entlastung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) verabschiedet. Die neuen Maßnahmen sollten über zwei Pakete umgesetzt werden. Am 21. August 2019 war die erste Teilrevision (Paket 1) beschlossen worden. Sie beinhaltete unter anderem die Einführung eines Experimentierartikels, die Schaffung einer nationalen Tariforganisation und ein Referenzpreissystem für patentabgelaufene Arzneimittel. Das zweite Paket war am 19. August 2020 in das Anhörungsverfahren (Vernehmlassung) gegangen. Die Frist lief am 19. November aus. 

Was ist mit dem zweiten Kostendämpfungspaket geplant?

Als zentrales Instrument will der Bundesrat für die obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP, Grundversicherung) eine Zielvorgabe einführen. Dabei legen Bund und Kantone jährlich fest, wie stark die Kosten wachsen dürfen, zum Beispiel bei den ambulanten Arztbehandlungen oder den Arzneimitteln.  
Außerdem soll die Koordination gestärkt werden, um unnötige Behandlungen zu vermeiden und damit die Qualität der Versorgung zu erhöhen. Hierzu sind drei Maßnahmen geplant: 

  • Alle Menschen in der Schweiz sollen eine Erstberatungsstelle wählen, an die sie sich bei gesundheitlichen Problemen zuerst wenden müssen, zum Beispiel einen Hausarzt, eine HMO-Praxis oder ein telemedizinisches Zentrum. Diese beraten die Patienten, behandeln sie selber oder weisen sie an spezialisierte Ärzte weiter.
  • Eine zweite Maßnahme zur Stärkung der Versorgungsqualität sind Netzwerke zur koordinierten Versorgung für Fachleute aus unterschiedlichen Gesundheitsberufen. Davon sollen besonders Patienten mit mehreren chronischen Krankheiten wie Diabetes, Herzleiden und Arthrose profitieren. Weiterhin werden koordinierte Programme für einzelne chronische Krankheiten wie Diabetes oder als Präventionsprogramme angedacht. 
  • Um den raschen und möglichst kostengünstigen Zugang zu innovativen, teuren Arzneimitteln zu sichern, soll die bereits bestehende Praxis von Vereinbarungen mit Pharmaunternehmen, sogenannte Preismodelle, auf Gesetzesstufe gefestigt werden. Dabei müssen Pharmaunternehmen einen Teil der Kosten an die Versicherer zurückerstatten.  

Das Sparpotenzial des Pakets wird mit rund einer Milliarde Franken beziffert. Den größten Beitrag dazu sollen die Zielvorgabe und die Einführung einer Erstberatungsstelle leisten. 

Warum Apotheken nicht als Erstberatungsstellen?

Gerade in der Erstberatung könnten die Schweizer Apotheker eine wichtige Rolle spielen, weshalb sie das Vorhaben grundsätzlich unterstützen. Allerdings kommen sie selbst an der Stelle in der Gesetzesvorlage nicht vor. Das hat pharmaSuisse in seiner Stellungnahme zu dem Paket heftig kritisiert.

Mit den Revisionen des Heilmittelgesetzes (HMG) und des Medizinalberufegesetz (MedBG) seien die Kompetenzen der Apotheken deutlich ausgebaut worden, macht der Verband geltend. Apotheker könnten hiernach unter klar definierten Bedingungen leichte Erkrankungen behandeln. Außerdem gebe es schon jetzt Versicherungsmodelle, die die Apotheke als erste Anlaufstelle in der medizinischen Grundversorgung festlegen und damit die Hausarzt- und Telemedizin-Modelle ergänzen. Daneben spricht sich pharmaSuisse dezidiert gegen den verpflichtenden Ansatz aus. Die Versicherten sollten selbst darüber entscheiden und ihre 
Erstberatungsstelle innerhalb von einer Liste der dafür qualifizierten Leistungserbringer frei wählen und jederzeit wechseln dürfen, so die Forderung.

Netzwerke zur koordinierten Versorgung

Modelle interprofessioneller Netzwerke für die koordinierte Versorgung passen pharmaSuisse gut ins Konzept. Im Idealfall sollten die Versicherten jedoch nach Meinung des Verbandes die Möglichkeit haben, ihr eigenes Netzwerk durch Wahl eines Apothekers, einer Hausärztin, einer Advanced Practice Nurse (APN), eines Spitex-Teams usw. zusammenzustellen. Zur Auswahl sollten nur Dienstleister stehen, die für die interprofessionelle Arbeit ausgebildet sind und die eine Qualitätscharta unterzeichnet haben. Es gebe bereits jetzt zahlreiche Versicherungsmodelle, bei denen sich die Versicherten freiwillig für eine eingeschränkte Auswahl entscheiden. 

Prävention und Patientenversorgung 

Auch die mögliche Beteiligung von Apothekern an Präventions- und Patientenversorgungsprogrammen zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung wird begrüßt. pharmaSuisse hält die vorgeschlagene Öffnung jedoch für zu zögerlich. Apotheker könnten aufgrund ihrer gestärkten Rolle eine breite Palette an Leistungen mit kostendämpfender Wirkung anbieten, meint der Verband geltend. Nach derzeitigem Recht dürften jedoch nur Apothekerleistungen tarifiert und von der Krankenkasse abgegolten werden, die bei der Abgabe eines Medikaments erbracht werden. Der Vorlage-Entwurf sehe keine Korrektur dieses Grundsatzproblems vor, so die Kritik. Dabei könnten Apotheker besonders aufgrund ihrer Kompetenz in klinischer Pharmazie Einsparungen erwirken, zum Beispiel im Rahmen der Qualitätszirkel Ärzte-Apotheker oder der pharmazeutischen Betreuung in Alters- und Pflegeheimen.

Gelegenheit verpasst

Abschließend nehme pharmaSuisse „mit Unverständnis zur Kenntnis, dass der Bundesrat dieses zweite Maßnahmenpaket nicht genutzt hat, um die Position der Apotheken als einfach zugängliche Anlaufstelle in der medizinischen Grundversorgung wirklich zu stärken und sie besser in die Prävention, Beratung und Koordination einzubinden“, heißt es in einer Medienmitteilung. Er habe die Gelegenheit verpasst, auf die Motionen* Humbel und Ettlin zu reagieren. Beide hatten sich ganz klar in dieser Richtung positioniert. 

*Anmerkung der Redaktion: Motion ist ein schweizerischer Begriff für einen parlamentarischen Vorstoß auf eidgenössischer, kantonaler oder kommunaler Ebene, der die Regierung beauftragt, tätig zu werden. 



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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