Positionspapier aus der Wissenschaft

Hochrisikopatienten und wichtiges Personal sollen zuerst gegen COVID-19 geimpft werden

Berlin - 09.11.2020, 16:45 Uhr

Leopoldina-Präsident Professor Dr. Gerald Haug (l.), Ethikrat-Vorsitzende Professor Dr. Alena Buyx und STIKO-Chef Professor Dr. Thomas Mertens stellten ihr gemeinsames Positionspapier zur Corona-Impfung vor. (c / imago images / photothek)

Leopoldina-Präsident Professor Dr. Gerald Haug (l.), Ethikrat-Vorsitzende Professor Dr. Alena Buyx und STIKO-Chef Professor Dr. Thomas Mertens stellten ihr gemeinsames Positionspapier zur Corona-Impfung vor. (c / imago images / photothek)


Die Hoffnung auf wirksame Impfstoffe gegen COVID-19 ist groß. In der Wissenschaft ist man optimistisch, dass mit ihnen die Corona-Pandemie 2021 in den Griff zu bekommen ist. Allerdings: Es wird nicht sofort für jeden Impfstoff bereitstehen. Daher ist es wichtig zu regeln, wer prioritär geimpft werden sollte – und auf welchem Wege dies geschehen soll. Experten der STIKO, des Deutschen Ethikrats und der Nationalen Wissenschaftsakademie Leopoldina haben zu diesen Fragen ein Positionspapier vorgelegt. Für Bundesgesundheitsminister Jens Spahn ist es eine „gute Grundlage“ für die nun erforderlichen politischen Schritte.  

Anfang nächsten Jahres könnte der erste Impfstoff zum Schutz vor COVID-19 verfügbar sein. Erst am heutigen Montag gaben Biontech und Pfizer erste Zwischenergebnisse aus der Phase-3-Studie bekannt, wonach ihr RNA-Impfstoff einen mehr als 90-prozentigen Schutz biete – und das ohne schwerwiegende Nebenwirkungen. Weitere Hersteller werden nachziehen. 

Doch reichen wird der ersehnte Impfstoff zunächst nur für wenige Menschen. Wie soll also der Zugang zu dem Impfstoff gerecht und solidarisch geregelt werden, wer soll zuerst geimpft werden? Mit diesen Fragen hat sich auf Bitten des Bundesgesundheitsministers eine Arbeitsgruppe aus Mitgliedern des Deutschen Ethikrats, der Nationalen Wissenschaftsakademie Leopoldina und der am Robert Koch-Institut (RKI) angesiedelten Ständigen Impfkommission (STIKO) befasst. Am heutigen Montag stellten Ethikrat-Vorsitzende Professor Dr. Alena Buyx, STIKO-Chef Professor Dr. Thomas Mertens und Leopoldina-Präsident Professor Dr. Gerald Haug ihr gemeinsames Positionspapier vor. 

Die Zuversicht und der Optimismus, dass die erwarteten Impfstoffe die Pandemie werden in Schach halten können, waren bei der Pressekonferenz spürbar. Mertens betonte, dass es für die STIKO um Vakzine der besonderen Art geht: Erstmals muss sie sich mit Impfstoffen auseinandersetzen, auf deren Daten aus Phase-3-Studien sie noch warten muss, die also noch gar nicht zugelassen sind. Besonders sei die Situation aber auch deshalb, weil eine Priorisierung nötig sei.

Die Frage, wer zuerst geimpft werden darf, ist nicht nur eine medizinisch-empirische, sondern auch eine, die ethisch, rechtlich und praktisch durchdacht sein muss. Genau diese Überlegungen haben die Autoren aus den drei Institutionen in ihrem Positionspapier zusammengeführt.

Angesichts noch ausstehender Studiendaten kann es noch keine detaillierte Impfempfehlung der STIKO geben. Die ethischen und rechtlichen Prinzipien, nach denen eine Priorisierung zu erfolgen hat stehen für die Arbeitsgruppe aber schon fest: Neben der Selbstbestimmung – die eine allgemeine Impfpflicht ganz klar ausschließt – sind dies die Nichtschädigung beziehungsweise der Integritätsschutz, die Gerechtigkeit, die grundsätzliche Rechtsgleichheit, die Solidarität sowie die Dringlichkeit.

Impfziele – und was sie konkret bedeuten

Diese Prinzipien  schlagen sich in vier konkreten Impfzielen nieder, wie Buyx erläuterte:

  • Verhinderung  schwerer COVID-19-Verläufe (Hospitalisation)  und  Todesfälle
  • Schutz von Personen mit besonders hohem arbeitsbedingten SARS-CoV-2-Expositionsrisiko (berufliche Indikation)
  • Verhinderung von Transmission sowie Schutz in Umgebungen mit hohem Anteil vulnerabler Personen und in solchen mit hohem Ausbruchspotenzial
  • Aufrechterhaltung staatlicher Funktionen und des öffentlichen Lebens

Was heißt das konkret? Zunächst sollen Menschen geimpft werden, die wegen ihres Alters oder vorbelasteten Gesundheitszustands ein signifikant höheres Risiko für einen schweren oder gar tödlichen Krankheitsverlauf haben. Zudem Mitarbeiter in Kliniken und Pflegeheimen, die sich um diese Hochrisikopatienten kümmern. Die dritte Gruppe bilden Personen, die in wichtigen Bereichen der Daseinsvorsorge arbeiten beziehungsweise das öffentliche Leben aufrechterhalten, etwa Mitarbeiter der Gesundheitsbehörden und der Polizei, Erzieher und Lehrer.

Auf die Akzeptanz kommt es an

Professor Haug von der Leopoldina betonte, dass die Akzeptanz einer solchen Priorisierung entscheidend davon abhänge, dass diese einsichtig kommuniziert wird und transparent ist. Schließlich müssten sich 70 Prozent der Menschen in Deutschland impfen lassen, damit wirkliche Effekte erreicht werden – tatsächlich impfbereit sind einer aktuellen Umfrage zufolge allerdings weniger als 60 Prozent der Bevölkerung. Es gelte also maßgeschneidert zu informieren und dabei auch auf Bedenken und Fragen der Menschen einzugehen. Wichtig sei bei allem Optimismus angesichts des kommenden Impfstoffs auch, dass weiterhin die bisherigen AHA-Regeln plus Corona-App und Lüften befolgt werden und Kontakte reduziert bleiben – denn die Impfungen können nun einmal nur nach und nach durchgeführt werden.

Bund und Länder mit gemeinsamem Beschluss

Nun ist die Politik an der Reihe: Da es hier um grundrechtlich relevante Werte geht, bedürfe es einer klaren gesetzlichen Regelung, so die Arbeitsgruppe. Für die Verteilung der Impfstoffe seien zudem geeignete neue Strukturen zu schaffen. Bereits am vergangenen Freitag haben sich die Gesundheitsminister der Länder und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf ein einheitliches und abgestimmtes Vorgehen geeinigt. Der Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz sieht etwa vor, dass der Bund die Impfstoffe beschafft und finanziert und die Länder Impfzentren einrichten – 60 solcher Zentren sind derzeit vorgesehen. Die Impfstoffe sollen den Angaben zufolge durch die Bundeswehr oder durch die Hersteller angeliefert werden. Die Impfdosen sollen dem Bevölkerungsanteil entsprechend an die Länder verteilt werden.

Aus Sicht der Autoren des Positionspapiers ist eine einheitliche, transparente und damit vertrauenerweckende Verteilung geboten. Das spreche für eine Impfstrategie, die nicht auf einzelnen Hausärztinnen und Hausärzten beruht, sondern auf staatlich mandatierten Impfzentren. Hausärzten soll gerade nicht die Last der Priorisierung aufgebürdet werden.

Nicht zuletzt fordern die Experten eine Dokumentation der Impfungen: Sie sollen produktspezifisch in einer zentralen Datenbank erfasst werden. Wie Mertens erläuterte, diene dies zum einen der Pharmakovigilanz – man will etwa Nebenwirkungen frühzeitig erkennen, was nur mit einer einheitlichen und lückenlosen Dokumentation funktioniere – selbstverständlich unter Beachtung der datenschutzrechtlichen Regelungen. Zudem soll die Datenbank bei der genauen Ermittlung der Impfquoten helfen.



Kirsten Sucker-Sket / dpa
redaktion@daz.online


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