Peptid aus Seescheide hochwirksam gegen Corona?

Schnelle Senkung hoher Viruslasten bei COVID-19-Patienten

Remagen - 27.10.2020, 12:00 Uhr

In einer ersten klinischen Studie mit COVID-19-Patienten beobachteten spanische Wissenschaftler nach der Behandlung mit Aplidin® eine erhebliche Verringerung der viralen Last. (p / Foto: peterschreiber.media / stock.adobe.com)

In einer ersten klinischen Studie mit COVID-19-Patienten beobachteten spanische Wissenschaftler nach der Behandlung mit Aplidin® eine erhebliche Verringerung der viralen Last. (p / Foto: peterschreiber.media / stock.adobe.com)


Ein weiterer umgewidmeter Wirkstoff könnte für die Behandlung von COVID-19-Patienten etwas bringen. Es handelt sich den Naturstoff Plitidepsin aus dem Meeresbewohner Aplidium albicans, einer Seescheidenart. Sowohl die präklinischen als auch erste klinische Ergebnisse lassen hoffen.

Das biopharmazeutische Unternehmen PharmaMar mit Hauptsitz in Madrid lässt sich bei seiner Forschung und Entwicklung vom Meer inspirieren. Gerade hat es über ermutigende Ergebnisse mit dem Naturstoff Plitidepsin berichtet. In der klinischen Studie APLICOV-PC hat das Präparat Aplidin® bei der Behandlung von erwachsenen Patienten mit COVID-19 sowohl die primären Sicherheits- als auch die sekundären Wirksamkeitsendpunkte erreicht.

Blockade von eEF1A2 als Angriffspunkt

Plitidepsin (Dehydrodidemnin B) ist ein zyklisches Depsipeptid, das aus der Seescheide Aplidium albicans extrahiert wird. Es gehört zur Klasse der Didemnine, die antivirale und immunsuppressive sowie antitumorale Wirkungen besitzen. Plitidepsin blockiert ein Protein namens eEF1A2 (eukaryotischer Elongationsfaktor 1-alpha 2), ein Onkogen. Laut PharmaMar spielt das Target auch eine Schlüsselrolle bei der Multiplikation und Verbreitung von Coronaviren. Demnach braucht das Virus den Elongationsfaktor in seiner menschlichen Wirtszelle, um sein Nucleoprotein N für die Reproduktion zu translatieren.  

Deutliche Verringerung der Viruslast

Die multizentrische, randomisierte, nicht verblindete Phase-I-Proof-of-Concept-Studie (NCT04382066) war Ende April gestartet worden. Eingeschlossen waren drei Kohorten von COVID-19-Patienten, die wegen der Schwere des Verlaufs hospitalisiert waren. Sie erhielten jeweils an drei aufeinanderfolgenden Tagen unterschiedliche Dosierungen von Plitidepsin (1,5 mg, 2,0 mg oder 2,5 mg). Die Viruslast der Patienten wurde zu Beginn der Behandlung und an den Tagen 4, 7, 15 und 30 bewertet. Mehr als 90 Prozent der Teilnehmer hatten eingangs mittlere oder hohe Virustiter. Zwischen den Tagen vier und sieben ab Beginn der Behandlung zeigte sich eine erhebliche Verringerung der viralen Last. Die durchschnittliche Reduktion an Tag sieben betrug 50 Prozent und an Tag 15 rund 70 Prozent.

Klinische Verbesserung und Rückgang der Entzündungsparameter

Gemäß Protokoll sollten die Patienten mindestens sieben Tage im Krankenhaus bleiben. 38 Prozent konnten danach sofort entlassen werden und 81 Prozent bis zum Tag 15. Darüber hinaus wurde eine bemerkenswerte Korrelation zwischen der Abnahme der Viruslast, der klinischen Verbesserung, der Abheilung von Lungenentzündungen und dem Rückgang der Entzündungsparameter, wie dem C-reaktiven Protein (CRP), beobachtet. Die vollständigen Studiendaten sollen demnächst in wissenschaftlichen Konferenzen und/oder in einem Artikel in einer renommierten medizinischen Fachzeitschrift vorgelegt werden. 

Erweiterung der Studie genehmigt

PharmaMar hat von der spanischen Agentur für Arzneimittel und Gesundheitsprodukte (AEMPS) bereits die Genehmigung für eine Erweiterung der Patientenkohorte erhalten, damit noch mehr hospitalisierte COVID-19-Patienten Zugang zu Plitidepsin erhalten. Weiterhin will das Unternehmen mit den Regulierungsbehörden Gespräche aufnehmen, um eine entsprechende Phase-III-Studie zu konzipieren. 

Weitaus wirksamer als Remdesivir?

Die Ergebnisse der Phase-1-Studie untermauern laut PharmaMar nicht nur die Sicherheit von Plitidepsin. Sie bestätigen auch die präklinischen Befunde. Mitte März hatte das Unternehmen über die positiven Ergebnisse von In-vitro-Studien mit dem humanen HCoV-229E-Coronavirus informiert, die am Nationalen Biotechnologiezentrum des Nationalen Spanischen Forschungsrats (CSIC) durchgeführt worden waren. Das HCoV-229E-Coronavirus besitzt ähnliche Vermehrungs- und Ausbreitungsmechanismen wie SARS-CoV-2, da beide Viren zur Reproduktion das Protein eEF1A verwenden.

Boryung Pharmaceutical, PharmaMars Lizenzpartner für den Vertrieb von Aplidin® in Südkorea, konnte Anfang Juli ebenfalls ermutigende Labordaten beisteuern. Nach In-vitro-Studien soll Plitidepsin in Vero-Zellen eine 2.400- bis 2.800- Mal höhere antivirale Aktivität gegen SARS-CoV-2 gezeigt haben als Remdesivir und in Calu-3-Zellen eine 80-mal höhere Aktivität.

Keine EU-Zulassung für Krebsindikation

Ursprünglich wollte PharmMar das Peptid in der EU in Kombination mit Dexamethason für die Behandlung von Patienten mit multiplem Myelom auf den Markt bringen, scheiterte aber im Genehmigungsverfahren. Am 22. März 2018 empfahl der Ausschuss für Humanarzneimittel der EMA nach zweimaliger Prüfung des Antrags, die Zulassung zu verweigern. Der CHMP war der Ansicht, dass der Nutzen von Aplidin seine Risiken nicht überwiegt. Zum einen werde das progressionsfreie Überleben der Myelom-Patienten durch Plitidepsin nur um rund einen Monat gesteigert und zum anderen sei die Verbesserung des Gesamtüberlebens nicht ausreichend nachgewiesen worden, so die Kritik. Außerdem seien schwere Nebenwirkungen häufiger mit der Kombination von Aplidin® und Dexamethason berichtet worden als mit Dexamethason allein.  
In Australien wurde Plitidepsin im Dezember 2018 in Kombination mit Dexamethason zur Behandlung von Patienten mit rezidivierendem und refraktärem multiplem Myelom zugelassen. Es kann nach zwei vorherigen Therapielinien verwendet werden, wenn das Myelom sowohl gegen einen Proteasom-Hemmer als auch gegen einen Immunmodulator refraktär ist.  



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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