Stiftung Warentest

Bei Depression: Johanniskrautpräparate nur aus der Apotheke

Stuttgart - 26.10.2020, 13:45 Uhr

Johanniskrautpräparate zur Behandlung einer leichten Depression sollten nur als apothekenpflichtige Arzneimittel eingesetzt werden. (Foto: Axel Bueckert / stock.adobe.com)

Johanniskrautpräparate zur Behandlung einer leichten Depression sollten nur als apothekenpflichtige Arzneimittel eingesetzt werden. (Foto: Axel Bueckert / stock.adobe.com)


Johanniskrautpräparate können bei leichten bis mittelschweren Depressionen helfen, auch die Leitlinie sieht die Möglichkeit der Phytotherapie. Wichtig ist jedoch, dass die Präparate ihre Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und Qualität nachgewiesen haben – was bei Arzneimitteln aus der Apotheke der Fall ist. Zu dieser Empfehlung kommt auch Stiftung Warentest.

Glaubt man den Zahlen der „S3-Leitlinie Unipolare Depression“, liegt das Risiko, dass wir während unseres Lebens an einer Depression erkranken, bei 16 bis 
20 Prozent (national und international) – demnach ist etwa jeder Fünfte mindestens einmal betroffen. Bei leichten depressiven Störungen greifen Ärzte, Apotheker und Patienten manchmal auch auf Johanniskraut-Präparate zurück – es gibt verschreibungspflichtige, apothekenpflichtige und auch solche, die als freiverkäufliche Mittel in Drogerien und Supermärkte sowie online erhältlich sind. Der große Unterschied: Arzneimittel müssen in Studien nachweisen, dass sie sicher, wirksam und unbedenklich sind – nicht so die freiverkäuflichen Präparate. Gibt es Unterschiede? Diese Frage trieb Stiftung Warentest an – welche Johanniskrautpräparate lindern den Leidensdruck und sind empfehlenswert? 
18 Präparate wurden gecheckt: rezeptpflichtige, apothekenpflichtige und freiverkäufliche. Das Fazit der Verbraucherorganisation ist eindeutig.

Wirksam und ohne Schadstoffe?

Bei den 18 Präparaten – drei verschreibungspflichtige, sieben apothekenpflichtige, drei Arzneitees und vier traditionelle Arzneimittel – interessierte sich Stiftung Warentest vor allem für deren Wirksamkeit und deren Belastung mit Pyrrolizidinalkaloiden (PA). Pyrrolizidinalkaloide sind eine Gruppe von sekundären Pflanzenstoffen, die viele Pflanzen zur Abwehr von Fressfeinden bilden. Diese Pflanzen können unter anderem als sogenannte Beikräuter bei der Ernte der eigentlichen Pflanze, in diesem Fall Johanniskraut, in die Präparate gelangen. Ungewünscht sind sie, da sie die Leber schädigen können und potenziell erbgutschädigend sind. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) erklärt: „Bestimmte PA können die Leber schädigen. Zudem wurde für einige Vertreter in tierexperimentellen Untersuchungen ein erbgutveränderndes (genotoxisches) und krebserzeugendes (kanzerogenes) Potenzial nachgewiesen.“

Auch wenn Stiftung Warentest Arzneimittel getestet hat und keine Lebensmittel, lohnt dennoch ein Blick in die BfR-Stellungnahme aus dem Juni 2020 zum PA-Gehalt in Lebensmitteln. Das BfR spricht sich nicht für einen Grenzwert aus, empfiehlt jedoch „die Aufnahme dieser Substanzen so weit zu minimieren, wie dies vernünftigerweise erreichbar ist (ALARA-Prinzip: as low as reasonably achievable)“. Meist nimmt man PA nämlich nicht nur über ein Präparat auf, wie beispielsweise Johanniskrauttee, sondern die Menge kumuliert durch die weitere PA-Aufnahme über Kräuter, Honig und andere Lebensmittel.

Freiverkäufliche Mittel: keine Sorge bei Pyrrolizidinalkaloiden - und dennoch nicht empfehlenswert

Bei Schadstoffen waren die Hersteller der rezept-, apothekenpflichtigen und freiverkäuflichen Johanniskrautpräparate durchaus gut: Stiftung Warentest fand keine oder sehr geringe bis geringe Mengen an Pyrrolizidinalkaloiden. Keine PA konnten in den Johanniskrauttees von Sidroga und H&S festgestellt werden, auch nicht im Schoeneberger Heilpflanzensaft mit Johanniskraut. Dennoch sind diese Johanniskrautpräparate nach Einschätzung von Stiftung Warentest nicht empfehlenswert – ebenso wenig alle übrigen freiverkäuflichen Johanniskrautpräparate. Der Grund: „Sie sollen bei geistiger Erschöpfung, nervöser Unruhe und Schlafstörungen helfen, ihre Wirksamkeit ist dafür aber nicht ausreichend belegt“, erklärt Warentest. Sie seien anders zusammengesetzt (Presssaft, getrocknete Pflanzenteile) als Arzneimittel (Trockenextrakt) und niedriger dosiert. Mit dabei sind, neben den oben genannten Tees und dem Heilpflanzensaft, Produkte von Bombastus, Kneipp, dm oder Tetesept.

Daumen hoch für Arzneimittel

Zu einer positiven Bewertung kommt Stiftung Warentest bei apotheken- und rezeptpflichtigen Arzneimitteln: Diese Präparate sind demnach geeignet bei depressiven Episoden. Nachgewiesen wurden ihre Wirkungen in Studien, die den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisgrad wiedergeben. Apothekenpflichtige Arzneimittel, wie Felis®, Hyperforat®, Jarsin® (300 mg und 450 mg), Neuroplant® aktiv, Laif® 900 Balance und Neuroplant® Novo, werden bei leichten vorübergehenden depressiven Störungen eingesetzt. Verschreibungspflichtige Arzneimittel – Jarsin® Rx, Neuroplant®, Laif® 900 – kann der Arzt bei leichten bis mittelschweren depressiven Phasen verordnen. Auch hier prüfte Stiftung Warentest den Pyrrolizidinalkaloidgehalt: Bei den Rx-Arzneimitteln enthielten Jarsin® und Neuroplant® die geringsten Mengen, bei den apothekenpflichtigen Felis®, Hyperforat®, Jarsin® (300 mg und 450 mg) und Neuroplant® aktiv.

Wechselwirkungen beachten

Für alle Johanniskrautpräparate ist eine sorgfältige Beratung in der Apotheke erforderlich. Johanniskraut kann als Induktor von CYP-450-Enzymen die Verstoffwechselung anderer Arzneimittel beschleunigen und deren Wirksamkeit verringern. Dies kann bei oralen Kontrazeptiva der Fall sein und auch bei manchen Antidepressiva. Manchmal möchten Patienten die Wirkung ihrer verordneten Antidepressiva unterstützen, indem sie Johanniskraut einnehmen. Unter Umständen erreichen sie damit jedoch nur, dass beispielsweise das verordnete Amitriptylin schneller abgebaut wird und weniger wirkt.

Johanniskraut bei Depressionen – was sagt die Leitlinie?

Die aktuell gültige S3-Leitlinie „Unipolare Depression – Nationale Versorgungsleitlinie“ erkennt, dass Phytotherapeutika mit Johanniskraut aufgrund ihrer häufigen Verordnung in Deutschland eine Rolle spielen. Sie würden oft aufgrund ihrer „vermeintlich geringeren Nebenwirkungen“ für die Behandlung leichter bis mittelschwerer Depressionen eingesetzt. Allerdings: Die Wirksamkeit von Johanniskraut in der Behandlung von Depressionen sei umstritten. Es liegen den Leitlinien-Autoren zufolge verschiedene Daten vor – manche Studien belegten die Wirksamkeit, andere zeigten keine Überlegenheit gegenüber Placebo. Eine Metaanalyse (Cochrane Review: „St. John`s Wort for treating depression“) aus dem Jahre 2008 fand, dass Johanniskrautextrakte bei leichter bis mittelgrader depressiver Symptomatik wirksam sind, bei schweren und chronisch verlaufenden Depressionen wurden keine Effekte belegt.

Johanniskraut wird den chemischen Antidepressiva nicht als überlegen angesehen. Allerdings seien manche Patienten einem „natürlichen Produkt“ aufgeschlossener. Bei einer solchen Patientenpräferenz könnte folglich bei leichter bis mittelschwerer Depression Johanniskraut als erster Behandlungsversuch eingesetzt werden, lautet die Einschätzung der Leitlinien-Autoren. Sie betonen vor allem die schweren Wechselwirkungen, die bei einer Johanniskrauttherapie zu beachten sind. Johanniskraut wirkt als CYP-Induktor und kann dadurch den Abbau und die Ausscheidung anderer Arzneimittel beschleunigen, wie bei Immunsuppressiva (Ciclosporin, Tacrolimus), oralen Kontrazeptiva, Antikoagulanzien, HIV-Arzneimitteln und anderen Antidepressiva (Amitriptylin, Nortriptylin).

Hauptproblem bei den Phytotherapeutika ist die Standardisierung und schwankende Dosen der möglicherweise aktiven Substanzen, wie Hypericin und Hyperforin. Da nicht bekannt sei, welche Stoffe im Johanniskraut in welcher Menge und auf welchem Weg für die antidepressive Wirkung verantwortlich sind, sollten nur Präparate eingesetzt werden, deren klinische Wirksamkeit durch eigene Studien belegt ist, rät die Leitlinie.

Welche Rolle spielen Johanniskrautpräparate bei Depressionen?

Laut Arzneiverordnungsreport 2019, der das Verordnungsverhalten von 2018 widergibt, wurden damals 28,8 Millionen DDD (Defined Daily Dose) an Johanniskrautpräparaten (Laif®, Neuroplant®, Jarsin®) verordnet. Apothekenpflichtige Arzneimittel sind hierbei nicht berücksichtigt, genauso wenig freiverkäufliche Mittel. Zum Vergleich: Allein Citalopram kam 2018 auf 266 Millionen DDD.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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