Kommentar

Zu viele Belastungen auf einmal

Süsel - 28.09.2020, 17:50 Uhr

Die Probleme für Apotheken häufen sich derzeit in einer noch nie dagewesenen Weise. Für viele Betroffene könnten das zu viele Belastungen auf einmal sein, meint Dr. Thomas Müller-Bohn. (s / Foto: eyewave / stock.adobe.com)

Die Probleme für Apotheken häufen sich derzeit in einer noch nie dagewesenen Weise. Für viele Betroffene könnten das zu viele Belastungen auf einmal sein, meint Dr. Thomas Müller-Bohn. (s / Foto: eyewave / stock.adobe.com)


Fehler im System

Die Probleme für die Apotheken häufen sich damit derzeit in einer wohl noch nie dagewesenen Weise. Ein einzelnes neues Thema könnte die Apotheken nun ebenso schwer treffen, wie die zahlreichen schon lange bestehenden Herausforderungen zusammen. Für viele Betroffene könnten das zu viele Belastungen auf einmal sein. Es erscheint entsetzlich, dass Apotheker wegen eines auch jetzt noch unklaren Problems in einem System, das sie selbst nicht überprüfen können, ihre wirtschaftliche Existenz verlieren könnten. Auch für diejenigen, die nicht um ihre Existenz bangen müssen, ist es unzumutbar, mit persönlichen finanziellen Reserven für einen Schaden einstehen zu müssen, den sie nicht verursacht haben. 

Es geht hierbei nicht um ein „normales“ unternehmerisches Risiko, sondern um eine Notwendigkeit, die sich aus den Abrechnungsmodalitäten ergibt, die Politik und Krankenkassen vorgeben. Allgemein gilt: Wer die Musik bestellt, der bezahlt sie. Doch daran halten sich Politik und Krankenkassen hier nicht. Sie fordern, dass die Abrechnungsdaten in Form und Inhalt so aufbereitet werden, dass dies nur mit aufwendiger Technik möglich ist. Apotheken können daher die Bezahlung, die ihnen für ihre Leistungen zusteht, faktisch nur mithilfe spezialisierter Abrechner erhalten. Sie müssen für technische Finessen zahlen, die dem staatlich geregelten System an anderer Stelle Einsparungen ermöglichen. Es erscheint schon lange ungerechtfertigt, dass die Apotheken Maßnahmen bezahlen müssen, von denen sie selbst keinen Nutzen haben. Doch nun sollen sie sogar für einen Fehler in diesem System haften – nicht etwa nur mit der Abrechnungsgebühr, sondern mit dem kompletten Gegenwert für die ordnungsgemäß gelieferten Arzneimittel und die dabei erbrachten Leistungen. Dass diese Ungerechtigkeit nicht schon längst aufgefallen ist, liegt wohl daran, dass das System so lange funktioniert hat. Dies alles sind keine rückwärts gerichteten Erklärungsversuche, sondern zentrale Argumente für die künftig nötigen Maßnahmen. Wenn die Politik den Beteiligten des streng geregelten Gesundheitssystems eine bestimmte Vorgehensweise aufzwingt, sollte sie für die Schäden bei den unverschuldet Betroffenen geradestehen, wenn dieses System versagt. Das betrifft sowohl die Apotheker als auch die Patienten, die weiterhin ein flächendeckendes Apothekennetz benötigen.

Langfristige Finanzierung und dauerhafte Entschädigung nötig

Damit zeichnet sich ab, was nun zu tun sein wird. Zunächst braucht jeder einzelne Betroffene eine solide, langfristige Finanzierung für die ausstehenden Beträge. Dies setzt eine entsprechende Bonität voraus. Zusätzlich ist politische Überzeugungsarbeit für staatliche Hilfen nötig. Dabei geht es zuerst um eine langfristige Finanzierung und anschließend wohl auch um eine dauerhafte Entschädigung zur Stabilisierung des politisch gewünschten Versorgungssystems. Die überzeugende Rechtfertigung dafür liegt in der beschriebenen Konstruktion des Systems und der daraus folgenden Verantwortung des Staates. Dazu müssen die Apotheken allerdings möglichst genau beziffern können, welche Zahlungen ausstehen. Dies gilt es nun zu ermitteln. Längerfristig sind dann wohl auch Maßnahmen erforderlich, damit sich ein solcher Fall nicht wiederholen kann. Vielleicht bietet die Einführung des E-Rezeptes einen guten Anlass für Neuregelungen.



Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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13 Kommentare

@ Dr. Th. Müller-Bohn

von Uwe Hüsgen am 29.09.2020 um 18:51 Uhr

Die Apotheken-Inhaber waren glücklich, als sie ihre Rezepte nicht mehr in Schuhkartons nach Kostenträgern (vor-)sortieren mussten, meine ich mich schwach erinnern zu können. Mit dem Markteintritt der Apothekenrechenzentren wurde die Buchhaltung in den Apotheken w e s e n t l i c h entlastet. Man denke nur an die Abrechnung von HiMi-Rezepten u.a. Die Rechenzentren waren und sind bis heute grundsätzlich eine gute Lösung für die Apotheken.
Mit meinem Beitrag „Denkmodell Kassenapothekerliche Vereinigung“ (DAZ 2016, Nr. 29) wurde ein Lösungsansatz für eine sichere Abrechnung ähnlich wie bei den Ärzten aufgezeigt (Abrechnung über die KV). Über einen (zu errichtenden) Fonds wurden sogar weitere berufspolitische Ziele angedacht. Bliebe als Problem wie bei den Ärzten die Abrechnung mit Privatpatienten – aber das ist ein anderes Thema.

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@ Uwe Hüsgen

von Dr. Thomas Müller-Bohn am 29.09.2020 um 15:49 Uhr

Die Grundidee meines Kommentars war, dass der Auslöser für die Gründung von Rechenzentren nicht in den Apotheken liegt. Vor Jahrzehnten war die Abrechnung sicher einfacher, aber auch damals wollten die meisten Apotheker lieber pharmazeutisch arbeiten und haben die Formalitäten soweit wie möglich abgegeben. Als die Rechenzentren erstmal existierten, haben diese sich vielleicht weitere Aufgaben gesucht. Das gibt es bei sehr vielen Organisationen. Doch das ändert nichts am Grundproblem: Warum können Apotheken die Rezepte nach der pharmazeutischen Dokumentation der Abgabe nicht einfach an die Krankenkasse schicken, die sie dann so bearbeitet, wie sie es mag?

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Durchgeblickt oder wie wir Baden geschickt wurden und merkten dass da kein Champagner drin war

von Bernd Jas am 29.09.2020 um 11:59 Uhr

Seeehr, seehr gut Herr Müller Bohn,

eine Systemanalyse in Kurzfassung, aber vom feinsten!
Das ist ja auch das was Herr Herzog immer vertritt.
In diesem Stil kann und darf es nicht weitergehen.
Ob der Wechsel in die Digitale Welt der Abrechnung eine Chance bietet, muss sich erst mal unter Beweis stellen, da die KK ja nur zu gerne die Zeche prellen und sich schon alleine das Instrument der Retaxation nicht so schnell aus der Hand nehmen lassen werden.

Auf jeden Fall tun diese Worte der Seele gut und wir können mit frischer Energie wieder Gas geben im Hamsterrad …. , ähhh …. ich meine …. mit frischer Energie die Chancen aufgreifen, die sich da bieten und (wie sagte Trullalala damals) "alte Zöpfe abschneiden", wie z.B. den KK-Rabatt .

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An sich eine gute Idee, aber ...

von Uwe Hüsgen am 29.09.2020 um 11:11 Uhr

Der Beitrag beleuchtet messerscharf genau eine Seite der Medaille.
Die andere Seite der Medaille: Es waren Vertreter der Apothekerschaft, die die Abrechnung über Verträge mit den Krankenkassen immer mehr „optimierten“ (und damit zwangsläufig auch verteuerten), damit sich möglichst alle Apotheken an ein Apothekenrechenzentrum anschließen mussten. (Nach meiner Erinnerung kam die letzte Apotheke, die ihre Abrechnung „eigenständig strickte“, aus dem nordrheinischen Selfkant. Mit der Übergabe dieser Apotheke in neue Hände vor weit mehr als 10 Jahren war damit der letzte „Selbststricker“ vom Abrechnungsmarkt verschwunden.)
Und nach meinem Kenntnisstand war es sogar ein sehr bekannter Apotheker aus dem grauen Norden, der sich – erfolgreich – besonders stark dafür gemacht hat, dass jetzt auch noch die (risikoreiche) Abrechnung der Herstellerrabatte mit den Krankenkassen über die Rechenzentren läuft.
An sich eine brillante Idee, die Datenhoheit in den eigenen Reihen zu halten. Im Laufe der Zeit wurde wohl aber immer mehr versäumt, die Verträge den wirtschaftlichen Gegebenheiten und Risiken (!) anzupassen.

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AW: An sich eine gute Idee, aber

von Werner Heuking am 29.09.2020 um 11:34 Uhr

Der schwindeige Vorfall könnte dazu führen, daß die Stellung der Apotheken im Gesundheitswesen auf andere solide
Fundamente gestellt werden müßte. Da hilft der graue Norden gar ncht. was haben Ärzte mit ihrer KV gemach ?. Wo gibt es zukunftssichere Fundamente ? Die Standesführung muss jetzt handeln.

Wer die Musik bestellt...

von Thomas Eper am 29.09.2020 um 9:14 Uhr

-Wieviel Mrd. € sparen die Apotheken für die Krankenkassen durch die Umsetzung der Rabattverträge?
-Wieviel Mio. € wir jährlich retaxiert? Wieviel Mio. € davon unrechtmäßig?
- Wieviel Mrd. € Kassenrabatt zahlen die Apotheken den Krankenkassen jährlich?

Und jetzt sind nicht mal paar Mio. zu Rettung der betroffenen Apotheken da!

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Wenn das Licht ausgeht ... und aus bleibt.

von Christian Timme am 28.09.2020 um 22:11 Uhr

Da fallen mir nur noch die Worte eines langjährigen Mitarbeiters ein: "Wenig Ahnung, davon aber viel". Nur damals bezog es sich noch auf eine überschaubare Zahl von Personen ...

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Guter Kommentar, leider nur in der Fachpresse

von I.Greif am 28.09.2020 um 22:04 Uhr

Leider findet man gute sachliche Informationen zu diesem Skandal hauptsächlich in den Fachmedien.
In der Süddeutschen Zeitung konnte beim Lesen des großen Artikels zum Thema am 22.Sept der Eindruck entstehen, dass die Apitheker monatlich große Summen einnehmen (verdienen?) und den Ausfall (locker?) aus ihren privaten Ersparnissen ausgleichen könnten. Da frage ich mich, ob hier bewusst in dieser Weise berichtet wird oder ob seitens der Standesvertretungen nicht umfänglich informiert wird.
Die Causa wurde z.B. in der Stuttgarter Zeitung oder in Lokalmedien sachlicher dargestellt.
Es gibt viel zu tun!



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AW: Nur ein Monatsgewinn...

von Thomas Eper am 29.09.2020 um 12:21 Uhr

Hoffen wir mal, dass die Herren von der BaFin und der Herr Insolvenzverwalter besser informiert sind und mehr Sachverstand mitbringen.
Denn der Geldbetrag eines Rp.-Abrechnungsmonates ist nicht gleich Monatsgewinn! Dieser beträgt nur ca. 15% des Betrages.
Somit reden wir hier von einem Jahresgewinn der Apotheke vor Steuern!
Umso überraschender die Äußerungen der o.a. Herren bzgl.
Dauer des Verfahrens. Keiner dieser Herren wäre doch bereit Monate - Jahre auf ihr Jahresgehalt zu warten.

Vielen Dank für den Kommentar

von Nikolaus Guttenberger am 28.09.2020 um 18:53 Uhr

Letztlich bedeutet der Avp Fall, dass der Apothekerberuf nicht mehr ausgeübt werden kann, wenn die Politik solche Zahlungen nicht garantiert.

Und das gilt für alle Kollegen.

Wenn man sich ein wenig in die Thematik Treuhandkonten, Aussonderung etc. einliest, wird einem recht schnell bewusst, dass man vertraglich absolut nichts abschliessen kann, was einen vor der aktuellen Situation der Avp - Apotheken schützen könnte. Selbst wenn der Treuhänder alles richtig macht, und man (berechtigt) die Aussonderung einklagt, wird man mehrere Jahre kein Geld sehen. Alleine um Schadenersatzansprüche zu verhindern, wird jeder Insolvenzverwalter durch die Instanzen gehen. Ist ja auch nicht sein Geld, das verbrannt wird.

Das ist mit der Marge absolut nicht abzubilden. Der potentielle Verlust kann kaum aufgeholt werden.
Dessen sollte sich jeder bewusst werden.

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Neu verhandeln

von ratatosk am 28.09.2020 um 18:33 Uhr

Warum denn ?
Die Insolvenzen sind doch das mittelfristige Ziel von Politik und GKV ! jetzt gehts halt schneller.
Nur Corona und die öffentliche Anerkennung haben hier kurz die Adlaten gebremst. In Kürze werden wir hören, wie toll es ist, daß es Versand gibt um die größten Lücken die diese Abrechnungskatastrophe gerissen hat etwas zu lindern etc.
Bei digitalen Prozessen zählt nur Größe - und die hat naturgemäß das Großkapital und das kann den Aushungerunsprozess der richtigen Apotheken leicht abreiten. Mission erfüllt in Politik und Verwaltung. Den Rest orchestriert die dann Bertelsmannstiftung beim Kaffeelein im Kanzleramt.

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von Anita Peter am 28.09.2020 um 18:06 Uhr

Hat auch der AVP Skandal das Fass noch nicht zum überlaufen gebracht, um endlich zu sagen" Schluss, Aus, alles zurück auf Start, ALLES muss neu verhandelt werden!" ?

Wielange wollen wir uns von Politik, Kassen, Versendern etc noch demütigen lassen?

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AW: na ja...

von Dr. Stephan Hahn am 29.09.2020 um 10:10 Uhr

...solange es Apotheken vom alten Schlag halt noch gibt und nicht vom Markt verschwunden sind.

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