ECDC fasst Erkenntnisse zusammen

Reinfektionen mit SARS-CoV-2 – Immunität ist nicht gesichert

Düsseldorf - 24.09.2020, 07:00 Uhr

Kann man sich nach einer durchgemachten COVID-19-Erkrankung erneut mit SARS-CoV-2 infizieren? Möglich wäre es, meinen die Wissenschaftler am ECDC. (m / Foto: imago images / UIG)

Kann man sich nach einer durchgemachten COVID-19-Erkrankung erneut mit SARS-CoV-2 infizieren? Möglich wäre es, meinen die Wissenschaftler am ECDC. (m / Foto: imago images / UIG)


Gerade erst hat sich der Deutsche Ethikrat ablehnend zu einem sogenannten Immunitätsausweis nach einer durchgestandenen COVID-19-Infektion geäußert. Unterstützt wird die Haltung des Gremiums durch ein jetzt veröffentlichtes Papier des European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC), das die bisher bekannten Informationen über Reinfektionen zusammenfasst und Empfehlungen gibt.

Zu Beginn der KW 39 hat das European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) in Stockholm einen "Threat Assessment Brief" mit dem Titel “Reinfection with SARS-CoV-2: considerations for public health response” veröffentlicht, in dem die Forscher recht sokratisch zu dem Schluss kommen, dass man über Reinfektionen mit SARS-CoV-2 noch recht wenig weiß und einiges an weiterer Forschung von Nöten ist.

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Eines aber heben die Forscher basierend auf den wenigen tatsächlich bestätigten und untersuchten Fällen deutlich hervor: „The possibility of reinfection implies that individuals that have been infected once cannot be definitively considered to be immune.“ Damit schließen sich die ECDC-Wissenschaftler dem an, was der Deutsche Ethikrat erst in diesen Tagen erklärt hat. Man sei gegen die Ausstellung von „Immunitäts-Ausweisen“ für Menschen, die nach einer COVID-19-Infektion genesen seien – und zwar neben anderer Bedenken unter anderem deshalb, weil eben eine tatsächliche definitive Immunität gegen SARS-CoV-2 nicht bestätigt werden könne.

Bislang sechs Fälle beschrieben

Insgesamt sechs bislang in der Wissenschaftsliteratur beschriebene Fälle, davon zwei Peer-reviewte Veröffentlichungen, fassen die ECDC-Forscher in ihrer Zusammenfassung der Bedrohungslage zusammen. Darunter findet sich der gut dokumentierte Fall eines Mannes aus Hongkong, der nachweislich mit zwei verschiedenen Stämmen des Virus infiziert wurde. Veröffentlicht wurde der Artikel dazu von den Hongkonger Forschern um Kelvin Kai-Wang To im Fachjournal Clinical Infectious Diseases (COVID-19 re-infection by a phylogenetically distinct SARS-coronavirus-2 strain confirmed by whole genome sequencing).

Forscher vermuten hohe Dunkelziffer

142 Tage lagen in dem Fall zwischen den beiden Infektionen, die sich der Mann einmal in Hongkong und später auf einer Reise nach Spanien zuzog. Die fünf weiteren beschriebenen Fälle stammen aus den Vereinigten Staaten, Indien, Belgien und Ecuador. Und, so sagen die ECDC-Forscher, dies seien nur die bislang wissenschaftlich dokumentierten. Daneben gebe es etliche weitere in verschiedenen Medien publizierte. Wie insgesamt bei den Zahlen zu COVID-19-Infektionen gehen die Wissenschaftler auch dabei von einer hohen Dunkelziffer aus – die untersuchten dürften nur die Spitze des Eisbergs darstellen.

Die sechs beschriebenen Fälle gelten als ziemlich sicher. Insgesamt sei es aber schwierig, tatsächliche Reinfektionen sicher zu kategorisieren. Falsch negative oder auch falsch positive Ergebnisse der RT-PCR-Tests seien ein Unsicherheitsfaktor, aber auch die Tatsache, dass in einigen Fällen auch nach einer überstandenen Infektion noch freie nicht infektiöse Virus-RNA gefunden werden könne – ohne dass gleichzeitig infektiöse intakte Virus-Partikel vorhanden seien.

Kriterien für eine gesicherte Reinfektion vorgeschlagen

Die ECDC-Forscher schlagen daher analog zu Empfehlungen des amerikanischen CDC Kriterien vor, mit denen eine Reinfektion sicher bestätigt werden könne. So soll für eine gesicherte Reinfektion gelten, dass es die „Bestätigung mit Labormethoden von zwei Infektionen mit zwei verschiedenen Stämmen gibt, mit zeitlich verschiedenen Krankheits- beziehungsweise Infektions-Episoden. Die Kriterien der Mindest-Verschiedenheit der Virus-Stämme sowie des zeitlichen Mindest-Abstands müssten dabei noch definiert werden. Darüber hinaus sollten so viele klinische und epidemiologische Daten wie möglich erhoben werden sowie ausführliche immunologische und genetische Tests durchgeführt werden, um eine breite Datenbasis zu bekommen, empfehlen die Forscher.

Allein die sechs als sicher geltenden Fälle zeigten ein breites Spektrum an Variablen wie es für die COVID-19-Pandemie typisch zu sein scheint. Von jungen bis älteren Patienten, von völliger Symptomlosigkeit über leichte Symptome bis hin zur Beatmungspflicht. Auch der Zeitraum zwischen erster und zweiter Infektion variiert von 48 bis hin zu 142 Tagen, ebenso das Vorhandensein von IgG- und IgM-Antikörpern. Die Varianz der unterschiedlichen Stämme des nur langsam mutierenden Virus reichte von sieben bis zu 24 Nukleotiden.

Reinfektionen bei COVID-19: ein seltenes Ereignis

Nichtsdestotrotz seien Re-Infektionen mit SARS-CoV-2 wohl ein eher untypisches Ereignis mit einer nur geringen Wahrscheinlichkeit. Allerdings gebe es für eine sichere Aussage dazu noch zu wenig Daten. Die ECDC-Experten ziehen aber eine Studie zu „herkömmlichen“ Coronaviren heran, die alljährlich für leichtere grippale Infekte verantwortlich sind und dennoch große Verwandtschaft zu SARS-CoV-2 haben: Reinfektionen mit diesen Erregern seien relativ häufig, auch bei hohen Antikörper-Titern.

Nicht genug Daten für Entscheidungen

Neben der Empfehlung, dass es weiterer Forschung zu den Umständen und Variablen von Reinfektionen bedarf, kommen die Forscher auch zu dem Schluss, dass es bislang keine stabile Datenlage gibt, um Entscheidungen zu treffen, die etwa die Persistenz von Immunität gegen COVID-19 und ähnliche Bereiche einschließen. 

Unter dem Strich würde das auch bedeuten, dass es aus wissenschaftlicher Sicht keine Basis für „Immunitäts-Ausweise“ gibt, wie sie in der Vergangenheit gefordert wurden. Damit könnte man auch sagen, dass für die bereits Genesenen aus Vorsichtsgründen alle Regelungen etwa zum Tragen eines Mund-Nase-Schutzes, zum Abstandhalten und zum Testen weiter gelten sollten wie für bislang Nicht-Infizierte. Und wenn man den Gedanken weiter spinnt, bedeutet die bisherige Faktenlage auch, dass in Zukunft für gegen COVID-19-Geimpfte ebenfalls alle Regelungen weiter gelten müssten, da eine Reinfektion mit einem anderen COVID-19-Erregerstamm als dem vakzinierten grundsätzlich als möglich angesehen werden muss.



Volker Budinger, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Immunität

von Bürger am 25.09.2020 um 21:38 Uhr

Sie wissen schon, dass auch ein Geimpfter sich jedesmal infizieren kann, wenn er dem Erreger begegnet. Krank wird er aber nicht. Gegen das Erkranken gibt es die physikalische Abwehr, die unspezifische Abwehr, die spezifische Abwehr, mit Antikörper UND vor allem die Lymphozyten. Deshalb: infiziert ist NICHT erkrankt! Das ist Immunologie, erstes Semester

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