Landgericht Köln

Apothekerin wegen verunreinigter Glucose-Mischung angeklagt

Berlin - 08.09.2020, 13:30 Uhr

Tod nach Glucose-Test: Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen eine Kölner Apothekerin. (c / Foto: Gerhardt Seyberth / stock.adobe.com)

Tod nach Glucose-Test: Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen eine Kölner Apothekerin. (c / Foto: Gerhardt Seyberth / stock.adobe.com)


Ende September vergangenen Jahres sorgte der tragische Tod einer Schwangeren und ihres ungeborenen Kindes für Schlagzeilen: Die junge Frau hatte zuvor eine Glucose-Mischung aus der Kölner Apotheke zu sich genommen – doch diese war toxisch verunreinigt. Nun hat die Staatsanwaltschaft Köln eine 50-jährige Apothekerin angeklagt. Der Angeschuldigten wird fahrlässige Tötung und versuchter Mord durch Unterlassen vorgeworfen.

Die Staatsanwaltschaft Köln hat Anklage gegen eine Apothekerin erhoben. Sie steht im Zentrum der tragischen Ereignisse, die sich vor fast einem Jahr in der Heilig Geist-Apotheke in Köln-Longerich abgespielt haben. An zwei Frauen wurden toxisch verunreinigte Glucose-Mischungen zur Herstellung von Glukosetoleranztests bei Schwangeren abgegeben – in einem Fall mit tödlichen Folgen.

Jetzt hat die Staatsanwaltschaft Köln ihre Anklageschrift gegen die Apothekerin vorgelegt. Damit ist nun das Landgericht Köln am Zug: Es muss entscheiden, ob sie die Anklage zur Hauptverhandlung und damit das Hauptverfahren zulässt.

Wie das Gericht mitteilt, wirft die Staatsanwaltschaft der beschuldigten Apothekerin – für sie gilt nach wie vor die Unschuldsvermutung – zwei Taten vor. Zum einen geht die Ermittlungsbehörde davon aus, dass die Apothekerin durch Fahrlässigkeit den Tod beziehungsweise die Körperverletzung von zwei Apothekenkundinnen verursacht hat. Und zwar, indem sie unbewusst durch eine sorgfaltswidrige Verwechselung von Standgefäßen Glucose-Monohydrat mit Lidocainhydrochlorid verunreinigte. Dieses sei später als Glucoseabfüllung in der Apotheke an Kundinnen ausgegeben worden.

Während eine Kundin den bitteren Geschmack der mit der verunreinigten Glucose hergestellten Lösung erkannte und deswegen am 17. September 2019 in der Praxis ihres Gynäkologen nur einen Schluck der Lösung getrunken habe, habe die andere Schwangere zwei Tage später morgens in derselben Praxis die Lösung ganz ausgetrunken. Während sich die erste Frau nach einer stationären Aufnahme rasch von der Lidocainvergiftung erholt habe und die Klinik am nächsten Tag verlassen konnte, ging es für die zweite Patientin tödlich aus. Sie wurde vormittags bewusstlos in ein Krankenhaus eingeliefert, wo sie mangels Puls reanimiert werden musste. Gleichzeitig wurde im Wege eines Notkaiserschnitts ihr Kind zur Welt gebracht – es starb laut Staatsanwaltschaft am darauffolgenden Tag an seiner Frühgeburtlichkeit oder an einer Lidocainvergiftung. Seine Mutter starb noch am Nachmittag des gleichen Tags an der Vergiftung.

Sogar versuchter Mord durch Unterlassen?

Im zweiten Fall der Anklage bewertet die Staatsanwaltschaft das weitere Verhalten der angeschuldigten Apothekerin am 19. September 2020 sogar als versuchten Mord durch Unterlassen – und zwar an der Mutter und ihrem Baby. Die Behörde geht davon aus, dass die Apothekerin nach Hinweisen aus der gynäkologischen Praxis und dem behandelnden Krankenhaus auf die Vorfälle vom 17. und 
19. September sowie nach einer Kontrolle der eigenen Bestände und einer Besprechung mit ihren Mitarbeitern spätestens um die Mittagszeit hätte wissen müssen, dass eine Lidocainvergiftung als Ursache für den schlechten Gesundheitszustand in Betracht kommt.

Gleichwohl, so die Staatsanwaltschaft, habe sie pflichtwidrig eine entsprechende Mitteilung an das behandelnde Krankenhaus unterlassen. Dies habe verhindert, dass die später Verstorbenen vergiftungsspezifisch behandelt werden konnten, was nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft die Rettungschancen erhöht hätte. Die Angeschuldigte habe „billigend in Kauf genommen“, dass die Verstorbenen auch aufgrund ihrer unterlassenen Mitteilung (früher) versterben könnten – das reicht für eine vorsätzliche Tat.

Warum zwei Anklagen?

Davon, dass eine solche Mitteilung „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ zur Rettung der Verstorbenen geführt hätte, geht allerdings auch die Staatsanwaltschaft nicht aus. Weil dieser Umstand nicht feststeht, hat sie Anklage wegen „versuchten Mordes“ erhoben, obwohl die beiden Verstorbenen tatsächlich nicht überlebt haben. Als sogenanntes Mordmerkmal, das eine Tötung zum „Mord“ macht, sieht die Staatsanwaltschaft eine „Verdeckungsabsicht“ gegeben. Sie habe so gehandelt, um die im Raum stehenden Fahrlässigkeitsdelikte zu verdecken. Dies haben die Verteidiger der Apothekerin im Ermittlungsverfahren allerdings dezidiert bestritten, wie das Gericht mitteilt.

Es scheint auf den ersten Blick widersprüchlich, dass die Staatsanwaltschaft gleichzeitig auch Anklage wegen fahrlässiger Tötung erhebt – zumal das versuchte Tötungsdelikt schwerer wiegt. Sie hält dies allerdings aus Klarstellungsgründen für erforderlich, heißt es in der Mitteilung des Gerichts. Es müsse sich auch aus der rechtlichen Würdigung ergeben, dass tatsächlich Menschen zu Tode gekommen sind.

Verteidigung weist Vorwürfe zurück

Die Freiburger Kanzlei Friedrich Graf von Westfalen hat die Verteidigung der Apothekerin übernommen. In einer Stellungnahme zur Anklageerhebung wirft Anwalt Dr. Morton Douglas der Staatsanwaltschaft vor, ihre Anklage entbehre jeglicher Grundlage. „Die Vorwürfe sind falsch und werden entschieden zurückgewiesen“. Die Staatsanwaltschaft habe weder ermitteln können, wie die Glucose verunreinigt werden konnte, noch wer dafür verantwortlich ist. Vor allem kann Douglas den Vorwurf des versuchten Mordes zur Verdeckung der angeblichen Fahrlässigkeitstat nicht nachvollziehen. Die Apothekerin habe unmittelbar, nachdem sie am 
19. September 2019 vom Zusammenbruch des Opfers erfuhr, das Glucose-Gefäß an die Klinik ausgehändigt. Hätte sie es nicht eher beseitigen müssen, wenn sie etwas hätte verheimlichen wollen? Auch die Unterstellung, die Apothekerin habe den Tod der Schwangeren billigend in Kauf genommen, sei „vollkommen abwegig“, so der Anwalt. Er ist überzeugt, dass sich die Unschuld der Apothekerin im weiteren Verfahren erweisen wird. 

Bis das Gericht entschieden hat, ob das Hauptverfahren eröffnet wird, kann nun noch einige Zeit vergehen. 



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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1 Kommentar

Apotheker oder PTA

von Christian L am 08.09.2020 um 16:15 Uhr

Ist der Redaktion bekannt, wer die Herstellung der Lösung bzw. die Prüfung der Ausgangssubstanzen durchgeführt hatte?
Üblicherweise liegt dies im Aufgabengebiet von PTAs, was letztlich von Apothekern abgesegnet wird. Sollte dieser Umstand hier zugrunde liegen, könnte das Auswirkungen auf betriebliche Abläufe haben.

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