TeleClinic und Zur Rose

„Die Politik legt die Axt an das deutsche Gesundheitssystem“

Stuttgart - 13.08.2020, 10:30 Uhr

Der Vorstandsvorsitzende des Apothekerverbands Westfalen-Lippe, Dr. Klaus Michels, verurteilt die Tatenlosigkeit der Politik mit Blick auf die Übernahme der TeleClinic durch Zur Rose scharf. (m / Foto: AVWL)

Der Vorstandsvorsitzende des Apothekerverbands Westfalen-Lippe, Dr. Klaus Michels, verurteilt die Tatenlosigkeit der Politik mit Blick auf die Übernahme der TeleClinic durch Zur Rose scharf. (m / Foto: AVWL)


Die Übernahme der TeleClinic durch die DocMorris-Mutter Zur Rose versetzte die Apotheker in Aufruhr. Die Politik hingegen verlässt sich weitgehend auf das im Patientendaten-Schutzgesetz (PDSG) verankerte erweiterte Makelverbot. Der Vorstandsvorsitzende des Apothekerverbands Westfalen-Lippe, Dr. Klaus Michels, warnt im Gespräch mit der DAZ davor, diese Entwicklung tatenlos mitanzusehen.

DAZ: Herr Dr. Michels, meinen Sie, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis dass eine Vereinigung von Telemedizinanbietern und Arzneimittelversendern in einer Unternehmensgruppe vollzogen wird?

Michels: Wir erleben zurzeit nicht nur eine Phase der Marktkonzentration und des Zusammenschlusses unterschiedlicher Player, sondern auch die Entstehung neuer, teils disruptiver Geschäftsmodelle. Das gab und gibt es in anderen Branchen zwar auch, nur ist das Gesundheitswesen kein Markt wie jeder andere. Dass es derlei Angriffe auf unser Gesundheitssystem geben würde, damit war wohl zu rechnen. Ich hätte nur erwartet, dass der politische Wille, dieses System in der seit Jahrzehnten hoch gelobten Qualität zu erhalten, deutlich resistenter gegenüber den nur allzu durchsichtigen Unternehmungen von DocMorris & Co. ist.

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DAZ: Hätte der Gesetzgeber das Ende des Fernbehandlungsverbots Ihrer Meinung nach geschickter einfädeln müssen?

Michels: Es war meines Erachtens nicht der Gesetzgeber, sondern der Ärztetag im Jahr 2018, der durch eine Änderung der ärztlichen Musterberufsordnung für eine weitere Lockerung der Möglichkeit zur Fernbehandlung gesorgt hat. So gesehen hat ein – noch dazu gesetzliches – Verbot also nicht bestanden. Nach der jetzigen Regelung ist eine ausschließlich telemedizinische Beratung oder Behandlung aber auf den Einzelfall beschränkt und auch nur dann zulässig, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die nötige Sorgfalt gewahrt bleibt.

DAZ: Die Telemedizin hat ja gerade während der Corona-Pandemie einen Boom erlebt. Das Angebot scheint also auf eine große Nachfrage in der Bevölkerung zu stoßen. Inwiefern sollte dieser Bereich stärker reguliert werden? 

Michels: Die Corona-Pandemie ist eine außergewöhnliche Notstandssituation, in der man den Einsatz telemedizinischer Angebote nicht nur erwägen kann, sondern gegebenenfalls sogar muss. Man denke nur an eine drohende Überlastung des Gesundheitssystems und die Notwendigkeit, potentiell ansteckende Kontakte und Aufenthalte in ärztlichen Wartezimmern zu vermeiden. Hier fällt die Abwägung zwischen Nach- und Vorteilen zugunsten der Telemedizin aus. Nur: Was sollte Ausnahme und was die Regel sein? Regel ist und muss der unmittelbare physische Kontakt bleiben. Und das ist meines Erachtens auch gesetzlich zu normieren – europäische Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit hin oder her. Der Normwortlaut sollte dabei mehr Kriterien als die ärztliche Musterberufsordnung dafür hergeben, wann und für wen eine telemedizinische Behandlung zulässig ist und wann nicht.

DAZ: Wie bewerten Sie die Reaktionen aus der Bundespolitik auf die TeleClinic-Übernahme von Zur Rose?

Michels: Wie bereits eingangs gesagt, erscheinen mir die Reaktionen der politischen Vertreter widersprüchlich, wenn nicht gar scheinheilig, bestenfalls nur naiv. Stauferkaiser Friedrich II. war im 13. Jahrhundert schon so weitsichtig, Ärzten nicht nur die Inhaberschaft von Apotheken, sondern bereits jegliche (Kapital-)Beteiligung daran zu untersagen. Damit die Notlage Kranker nicht ausgenutzt wird, hat man zudem die Preise für Arzneimittel verbindlich geregelt. Was also seit annähernd 800 Jahren aus Gründen des Patienten- und Verbraucherschutzes Berechtigung besaß, soll nun zugunsten ausländischer Aktien-Konzerne, die unter Ausnutzung staatlicher Regelungsgefälle und unter dem Deckmantel der europäischen Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit ausschließlich im zwangsläufigen Interesse ihres Shareholder-Value den hiesigen Gesundheitsmarkt besetzen wollen, den Götzen der Convenience und der Digitalisierung geopfert werden. Um jedem Missverständnis vorzubeugen: Ich bin überzeugter Europäer und in jeder Hinsicht auch Innovationen gegenüber offen. Nur was hier geschieht, hat mit alldem nichts zu tun.

Strukturen sind nicht mehr zu kontrollieren

DAZ: Was läuft Ihrer Meinung nach denn schief auf europäischer Ebene?

Michels: Die europäische Idee und der Gemeinsinn, der sich nicht zuletzt auch aus dem Erhalt der Selbstbestimmung und Eigenverantwortlichkeit des jeweiligen Nationalstaates speist – als Stichwörter seien Subsidiaritätsprinzip, Subsidiaritätsrüge und Subsidiaritätsklage genannt –, werden zur Förderung privativer Partikularinteressen missbraucht. Ein Blick in Art. 168 Abs. 7 AEUV reicht, um das festzustellen. Und das Bestellen über eine Internetseite mit physischem, CO2-emittierendem Versand von Arzneimitteln hat im Jahr 2020 wahrlich nichts mehr mit Innovation oder Digitalisierung zu tun. Ebenso wenig das zusätzliche Betreiben einer telemedizinischen Arztpraxis unter ein und demselben Dach eines internationalen Aktienkonzerns. Beides zusammengenommen führt indessen zu Strukturen, die faktisch nicht mehr zu kontrollieren und die ganz sicher kein Garant für gute, ausschließlich am Wohl des Patienten und der medizinischen Notwendigkeit ausgerichtete Pharmazie und Medizin sind. Wie wollte man beispielsweise auch das konzerninterne Kursieren von Verordnungsdaten, Absatz- und Umsatzinformationen bis hin zum Einsatz bestimmter, kundenoptimierter Werbe-Algorithmen überwachen?

DAZ: Erste Reaktionen aus den Bundestagsfraktionen deuten darauf hin, dass man sich auf das Makel- und Zuweisungsverbot im Patientendaten-Schutzgesetz (PDSG) verlässt.

Michels: Wenn politische Vertreter wie Frau Maria Klein-Schmeink (Die Grünen), Herr Professor Andrew Ullmann (FDP) und Herr Professor Edgar Franke (SPD) unisono auf das Makel- und Zuweisungsverbot vertrauen und im Übrigen das weitere Vorgehen „politisch genau beobachten“ wollen, dann scheint man sich weder seiner Kontroll- noch seiner Einflussnahmemöglichkeiten bewusst zu sein. Insbesondere wird aber gänzlich negiert, dass schon Friedrich II. ebenso wie der bundesdeutsche Gesetzgeber seit jeher erkannt haben, dass jede Gefahr einer Interessenkollision zu unterbinden ist. Indem die Politik solche Konstruktionen wie im Fall von DocMorris toleriert, legt sie die Axt an das überkommene deutsche Gesundheitssystem. Denn wie sollen sich künftig noch Strukturprinzipien wie etwa das Fremd- und Mehrbesitzverbot, die Arzneimittelpreisbindung bzw. die ärztliche Honorarordnung, das Prinzip des Vertragsarztsitzes oder aber eben das Zuweisungs- und Abspracheverbot rechtfertigen lassen, wenn sich die hiesigen Heilberufler mit Plattformlösungen ausländischer Kapitalgesellschaften, die das gesamte Spektrum heilberuflicher Leistungen anbieten, über telemedizinische Angebote im Wettbewerb, noch dazu im Preiswettbewerb befinden?

DAZ: Es scheint als würden Kapitalunternehmen jegliches medizinisches und pharmazeutisches Angebot im Gesundheitswesen abdecken wollen. Ist damit das Ende der freien Berufe eingeläutet?

Michels: Ja, das steht meines Erachtens tatsächlich zu befürchten. Die Architekten haben bezüglich ihrer Honorarordnung vorm EuGH bereits Schiffbruch erlitten. Die Geschichte der Arzneimittelpreisverordnung ist bekannt. Ebenso, dass die Freien Berufe der EU ohnedies immer ein Dorn im Auge waren. Weitere Liberalisierungen und Deregulierungen wie die Dienstleistungsrichtlinie, die allerdings bislang keine Anwendung auf die Heilberufe findet, oder die Berufsanerkennungsrichtlinie werden mit der Konsequenz folgen, dass die Freien Berufe ihre am Gemeinwohl ausgerichtete Tätigkeit nur noch mit immer mehr Beeinträchtigungen und Hindernissen wahrnehmen können. Dass mit den Freien Berufen auch ein erhebliches Maß an Verbraucherschutz verbunden ist, scheint immer noch nicht so richtig deutlich geworden zu sein. Dabei ist es doch gerade der Verbraucherschutz, der auf der politischen Agenda der EU oftmals ganz weit oben rangiert. Die damit verbundenen Aspekte wird man daher in künftigen Diskussionen mit den Institutionen der EU mehr in den Vordergrund stellen müssen.

DAZ: Glauben Sie daran, dass dieser Kommerzialisierung im Gesundheitswesen noch gesetzgeberisch entgegengewirkt werden kann?

Michels: Ob man den Deckel wieder drauf bekommt, das wage ich zu bezweifeln. Jedenfalls wird es sehr schwer. Wohin die Kommerzialisierung im Gesundheitswesen führt, dürfte hingegen als erwiesen gelten. Ihre Zeitung hat beispielsweise jüngst über katastrophale Zustände in der größten Apotheken-Kette der USA namens CVS berichtet. Die Ursache dafür soll in den Leistungskennzahlen der Kette begründet gewesen sein. Aber selbst in Deutschland sind die Auswirkungen kaum noch zu leugnen. Beispielhaft sei die mit den enormen Sparzwängen verbundene Situation in vielen Krankenhäusern genannt.

Hinweis: Das vollständige Interview lesen Sie in der aktuellen Ausgabe der DAZ.



Dr. Armin Edalat, Apotheker, Chefredakteur DAZ
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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4 Kommentare

Teleclinic und zur Rose

von pille62 am 14.08.2020 um 13:12 Uhr

.............Wir verlassen uns auf das Makelverbot!
Wer daran glaubt ist naiv, unschlau oder nimmt den Bruch des Gesetzes billigend in Kauf.
Grenzen und Gesetze für die Rendite zu überschreiten gehört zum Geschäftsmodell!

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

wer soll das noch verstehen.

von Karl Friedrich Müller am 13.08.2020 um 11:57 Uhr

Es geht seit Jahren, Jahrzehnten in die Richtung. Für ein paar Gierhälse und deren "Rendite" bluten die Bürger.( und natürlich die, die im Gesundheitswesen arbeiten für immer weniger Geld, aber immer mehr Belastung) Hohe Kosten, immer weniger Leistung. Sehen Sie in die USA. Das ist das Ziel, maximal ineffektiv, aber teuer.
Was haben die Politiker davon? So vernagelt können die doch gar nicht sein? Es bleibt nur eine Vermutung: persönliche Vorteile.
Was für Vorteile die KK davon haben sollen, erschließt sich mir schon gar nicht. Eigene Wegrationalisierung.

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: wer soll das noch verstehen

von Karl Friedrich Müller am 13.08.2020 um 16:14 Uhr

PS: ein bemerkenswertes Interview und klare Sicht von Herrn Michels. Gratulation.

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