Zuckersüßes Beratungswissen – Teil 12

Traubenzucker – geballte Energie

Korntal-Münchingen - 05.08.2020, 11:45 Uhr

Wie gesund ist die schnelle Ernergiezufuhr durch Traubenzucker? (Bild: IMAGO / imagebroker)

Wie gesund ist die schnelle Ernergiezufuhr durch Traubenzucker? (Bild: IMAGO / imagebroker)


Der deutsche Name Traubenzucker ist darauf zurückzuführen, dass Glucose zum ersten Mal in Weintrauben entdeckt wurde. Die früher gebräuchliche Bezeichnung „Dextrose“ gilt heute als veraltet. Glucose ist der häufigste in der Natur vorkommende Einfachzucker und die Hauptenergiequelle in lebenden Organismen. Glucose ist unverzichtbar für den Stoffwechsel aller Lebewesen und ermöglicht uns Bewegung, Denken, Fühlen und Lebensfreude.

Vom Mund ins Blut

Mit unserer Nahrung nehmen wir Glucose meist nicht als Monosaccharid, sondern eher in gebundener Form, als Disaccharid (Saccharose, Lactose) oder Stärke, auf. Stärke ist die pflanzliche Speicherform der Glucose und besteht aus vielen Glucose-Einheiten, die kettenartig miteinander verbunden sind.

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Die Verdauung beginnt schon beim Kauen im Mund. Die im Speichel enthaltene Amylase spaltet einen Teil der verzehrten Kohlenhydrate enzymatisch auf. So können bereits erste Glucose-Moleküle über die Mundschleimhaut ins Blut geschleust werden. Im Dünndarm ist es die Maltase, die Glucoseketten weiter abbaut. Vom Dünndarm aus wird Glucose mittels spezieller Glucosetransporter ins Blut abgegeben. Der Blutzuckerspiegel steigt. Jetzt ist die Bauchspeicheldrüse gefordert: Sie schüttet Insulin aus. Denn nur mit Hilfe von Insulin gelangt Glucose in die Körperzellen.

Die Glucose-Balance muss stimmen

Nicht sofort benötigte Glucose wird in der Leber und in kleineren Mengen auch in den Muskeln als Glykogen gespeichert und bei Bedarf in Glucose zurückverwandelt. In Notzeiten können alle Lebewesen zudem durch Umbau von Proteinen selbst Glucose herstellen. Das ist lebenswichtig, weil das Gehirn auf eine kontinuierliche Zufuhr von Glucose angewiesen ist: 120 Gramm pro Tag braucht es, um funktionsfähig zu bleiben.

Fällt der Blutzuckerwert zu stark ab, gerät der Körper in Not. Eine Unterzuckerung (= Hypoglykämie) kann bedrohliche Symptome wie Herzrasen, Zittern, Krämpfe bis hin zur Bewusstlosigkeit auslösen, im schlimmsten Fall droht der Tod. Umgekehrt führt ein dauerhaft zu hoher Blutzuckerspiegel zu Diabetes mellitus mit all seinen schwerwiegenden Folgen. Der Körper vollbringt also jeden Tag fein austarierte Höchstleistungen, um den Blut-Glucose-Spiegel in der physiologisch erwünschten Balance zu halten.

Langsames und schnelles Anfluten

Je längerkettig die mit der Nahrung aufgenommenen Kohlenhydrate sind, umso länger dauert deren Aufspaltung. Die Glucose-Bausteine werden nach und nach resorbiert, der Blutzuckerspiegel steigt nur langsam. Ebenso langsam erfolgt die notwendige Insulinausschüttung. Der allmähliche, zeitlich verzögerte An- und Abstieg des Blutzuckerspiegels trägt zu einem nachhaltigen Sättigungsgefühl bei.

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Das Gegenteil ist der Fall, wenn auf nüchternen Magen Glucose oder ein Glucose-haltiges Disaccharid verzehrt wird. Durch den als Reaktion darauf ebenfalls schnell steigenden Insulinspiegel wird der Blutzucker rasch abgebaut. Auf niedrige Blutzuckerwerte reagiert der Mensch mit Hunger, wenn nicht sogar mit Heißhunger. Die Energiezufuhr mit Hilfe eines Täfelchens Traubenzucker mag zwar für kurze Zeit wie ein Turbo wirken – sollte aber besser der Ausnahmefall bleiben. Gesünder ist der Verzehr von „langsamen“ Kohlenhydraten, zum Beispiel in Form von Vollkornbrot. Die in Vollkornbrot enthaltene Getreidestärke kann man auch als Retardform vieler Glucose-Bausteine betrachten, die den Körper über längere Zeit hinweg mit Energie versorgt und ihn so fit hält.

„Gute“ und „böse“ Kohlenhydrate

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt, 50 Prozent des täglichen Energiebedarfs mit Kohlenhydraten zu decken. Für Menschen, die sich mit der Zusammensetzung von Lebensmitteln nicht so gut auskennen, ist es oft schwierig, die Qualität kohlenhydrathaltiger Nahrungsmittel zu beurteilen. Es kursieren Begriffe wie „schnelle“, „langsame“, „komplexe“, „gute“ und „schlechte“ oder sogar „böse“ Kohlenhydrate. Oft werden auch „weiße“ Lebensmittel verurteilt und „farbige“ gepriesen. Wenn das chemische Grundverständnis vom Aufbau der Kohlenhydrate nicht vorhanden ist, ist es tatsächlich schwierig, hier den Durchblick zu behalten. Fachleute sind deshalb bei einer Ernährungsberatung ganz besonders gefordert.

Eine grobe Einteilung könnte so aussehen: 
Was süß schmeckt, enthält meist „schnelle“ oder „einfache“ Kohlenhydrate, die rasch anfluten und den Blutzuckerspiegel in die Höhe treiben. Ausnahme: Zuckeraustauschstoffe und Süßstoffe sowie Fructose, die aber alle auf ihre Art Probleme bereiten oder wie Fructose den Stoffwechsel ungünstig belasten können.

Hinweis: Traubenzucker ist nicht gesünder als normaler Zucker (Saccharose), auch wenn das oft so dargestellt wird.

Was erst nach längerem Kauen süßlich schmeckt, sonst aber eher zu den klassischen „Sattmachern“ zählt wie Brot, Nudeln, Reis, Kartoffeln, Getreide- und Haferflocken, enthält die „komplexen“ Kohlenhydrate, die im Körper erst langsam aufgespalten werden. Je naturbelassener diese Nahrungsmittel sind (also Vollkorn statt Weißmehl, gekochte Kartoffeln statt Pommes, pure Haferflocken statt gesüßtes Müsli), umso gesünder sind sie und umso nachhaltiger ist die Sättigung. Auch Gemüse, Hülsenfrüchte und Nüsse enthalten „komplexe“ und „langsame“ Kohlenhydrate.

Letztlich geht es auch nicht um „gut“ und „böse“, solange die Menge stimmt. Kohlenhydrate sind auch erstmal keine „Dickmacher“, wie man oft liest. Unser Körper braucht Glucose-Bausteine, um seinen Betrieb aufrechtzuerhalten. Langsam anflutende Glucose verhindert Blutzuckerspitzen und ist auf Dauer vorteilhafter. Doch jede überflüssige Energiezufuhr wird zuverlässig in Fett verwandelt. So entsteht mit der Zeit mehr oder weniger schädliches Übergewicht.

Liebling der Nahrungsmittelindustrie

Glucosesirup, durch enzymatische Aufspaltung aus Stärke gewonnen, ist ein Liebling der Nahrungsmittelindustrie. Durch die Verwendung von wenig wertvollen Ausgangsstoffen, oft Mais und Maisabfällen, und gentechnisch maßgeschneiderten Enzymen ist die großtechnische Herstellung in guter Qualität so preisgünstig wie nie zuvor. Je nach Bedarf entstehen Sirupe mit verschiedenen Glucose- und Fructose-Anteilen. Reiner Glucosesirup darf auch bis zu fünf Prozent Fructose enthalten, ohne dass dies deklariert werden muss. Genauso wenig müssen die bei der Herstellung eingesetzten, gentechnisch veränderten Mikroorganismen deklariert werden.

Die Lebensmittelindustrie verwendet Glucosesirup wegen seiner wohlschmeckenden und technologisch erwünschten Eigenschaften nicht nur als Süßungsmittel, sondern auch als Feuchthaltemittel, zur Volumenvergrößerung und um ein weiches Mundgefühl zu erzeugen. Seine Klebrigkeit ist ideal für die Herstellung von Pralinen, Schokoriegeln und süßem Frühstücks-Müsli. Auch für die Bonbon-Herstellung ist Glucosesirup unverzichtbar, weil er das Auskristallisieren von Zucker verhindert. Nicht zu vergessen: Glucose ist auch ein Konservierungsmittel.

Glucose als Arzneimittel

Glucose ist Bestandteil der Oralen Rehydratations- bzw. Elektrolytersatzlösung, die von der WHO zur Behandlung einer Dehydratation, in der Regel aufgrund schwerer Durchfallerkrankungen, empfohlen wird. Durch die Kombination von Glucose mit Natrium werden beide Stoffe sowie Wasser vom Körper besser aufgenommen. Infusionslösungen, die Glucose enthalten, kommen bei der parenteralen Ernährung zur Anwendung.

Klassisch ist der Einsatz von Glucose bei der Hypoglykämie. Die Leitlinie der Deutschen Diabetes Gesellschaft zur Therapie des Typ-1-Diabetes enthält ein Erste-Hilfe-Schema, das die Hypoglykämie in „milde“ und „schwere“ Formen unterteilt. Entscheidendes Kriterium ist nicht der Blutglucose-Wert, sondern ob der Patient sich selbst helfen kann oder Fremdhilfe benötigt.

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Bei einer milden Hypoglykämie kann der Patient selbst agieren: Empfohlen ist die sofortige Einnahme von 20 Gramm Glucose, das entspricht vier Täfelchen Dextro Energy Classic. Alternativ können 200 Milliliter Fruchtsaft getrunken werden. Wenn der Patient zwar noch bei Bewusstsein ist, sich aber nicht mehr selbst helfen kann, ist er auf die Unterstützung von Mitmenschen angewiesen. Empfohlen wird in diesem bereits „schweren“ Fall die Gabe von 30 Gramm Glucose.

Noch schwerer ist eine Hypoglykämie zu bewerten, wenn der Patient bewusstlos ist. Einem Bewusstlosen darf man keinesfalls Festnahrung oder Getränke geben! Die Leitlinie schreibt vor: Notarzt verständigen, stabile Seitenlage, Glucagon-Gabe.

Zur Erinnerung: Was ist Glucagon?

Glucagon ist ein Peptidhormon, das aus dem Glykogen-Speicher der Leber die benötigte Glucose freisetzt und damit schnell den Blutzuckerspiegel erhöht. Als Notfallmedikament gibt es das Glucagon Hypokit, das in den Oberarm oder Oberschenkel des Notfallpatienten gespritzt werden muss. Im Idealfall hat der Patient in seiner Umgebung Mitmenschen, die ihm das Arzneimittel verabreichen können. Lösungsmittel und gefriergetrocknetes Glucagon müssen erst sachgerecht zusammengeführt, vollständig gelöst und dann mit einer Spritze aufgezogen werden – das schaffen in einer Stresssituation meist nur geschulte Personen. 

Neu auf dem Markt ist das Nasale Glucagon Baqsimi, das zur Behandlung schwerer Hypoglykämien bei Erwachsenen und Kindern ab vier Jahren zugelassen ist. Großer Pluspunkt: In einer Studie konnte gezeigt werden, dass auch ungeschulte Personen in über 90 Prozent der Fälle in der Lage waren, die nasale Applikation korrekt durchzuführen.

In allen Fällen, egal ob mild oder schwer, ist nach erfolgreicher Behandlung eine Mahlzeit oder ein Snack einzunehmen, um einer nochmaligen Hypoglykämie vorzubeugen.

Rezeptur mit tragischen Folgen

Leider denkt man beim Stichwort „Glucose“ auch an den tragischen Todesfall einer Schwangeren und ihres Babys im Herbst 2019. Die 28-Jährige und ihr Kind starben nach einem Test auf Schwangerschaftsdiabetes. Grund war eine toxisch verunreinigte Glucose-Mischung, die aus der Rezeptur einer Apotheke stammte. Zum Tod führte eine versehentliche Verunreinigung mit Lidocainhydrochlorid.

Als orale Glucose-Trinklösungen für den Glucose-Toleranz-Test in der Apotheke stehen NRF-Rezepturen zur Verfügung, aber auch  Accu-Chek Dextrose O.G-T. als Fertigpräparat. Dieses Präparat enthält – neben einigen Hilfsstoffen – nicht einfach in Wasser aufgelöste Glucose, sondern Glucose-Sirup (Ph.Eur.). Bei diesem handelt es sich definitionsgemäß um ein Gemisch aus Mono- und Oligosacchariden, das ausschließlich großtechnisch durch Hydrolyse von Stärke gewonnen wird.

Auf einen Blick

  • Glucose ist der häufigste in der Natur vorkommende Einfachzucker und die Hauptenergiequelle in lebenden Organismen. Glucose ist unverzichtbar für den Stoffwechsel aller Lebewesen.
  • Glucose wird mit der Nahrung zugeführt, im Körper in Form von Glykogen gespeichert und in Notsituationen auch durch Umbau von Proteinen im Organismus selbst hergestellt. Denn das Gehirn ist auf die regelmäßige Zufuhr von Glucose zwingend angewiesen.
  • Die Energiezufuhr mit Hilfe eines Täfelchens Traubenzucker mag zwar für kurze Zeit wie ein Turbo wirken – sollte aber besser der Ausnahmefall bleiben. Gesünder ist der Verzehr von „langsamen“ Kohlenhydraten, zum Beispiel in Form von Vollkornbrot.
  • Je längerkettig die mit der Nahrung aufgenommenen Kohlenhydrate sind, umso länger dauert deren Aufspaltung. Die Glucose-Bausteine werden nach und nach resorbiert, der Blutzuckerspiegel steigt langsam, ebenso wird das Insulin langsamer ausgeschüttet, was gesünder für den Körper ist.
  • Die Lebensmittelindustrie verwendet Glucosesirup wegen seiner technologisch interessanten Eigenschaften nicht nur als Süßungsmittel, sondern auch als Feuchthaltemittel, zur Volumenvergrößerung und um ein weiches Mundgefühl zu erzeugen.
  • Glucose ist Bestandteil der oralen Rehydratationslösung und kommt als Infusion bei der parenteralen Ernährung zur Anwendung.
  • Traubenzucker ist Erste-Hilfe-Mittel der Wahl bei der milden Hypoglykämie. Der bewusstlose Hypoglykämie-Patient braucht als Notfallmedikament Glucagon, in Form einer intramuskulären Injektion oder ganz neu: nasal verabreicht.

Reinhild Berger, Apothekerin
redaktion@daz.online


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