Folgen der Coronavirus-Pandemie (Teil 1)

COVID-19: Spätfolgen am Herzen?

Stuttgart - 04.08.2020, 16:45 Uhr

Wissenschaftler stehen in der Forschung zu den Spätfolgen von COVID-19 noch ganz am Anfang – dennoch sind offenbar viele bereit, schon jetzt darüber zu sprechen, damit die Menschen das Virus nicht unterschätzen. (c / Foto: stockcrafter / stock.adobe.com)

Wissenschaftler stehen in der Forschung zu den Spätfolgen von COVID-19 noch ganz am Anfang – dennoch sind offenbar viele bereit, schon jetzt darüber zu sprechen, damit die Menschen das Virus nicht unterschätzen. (c / Foto: stockcrafter / stock.adobe.com)


Mit dem Fortschreiten der Coronavirus-Pandemie rücken immer mehr die möglichen Spätfolgen einer COVID-19-Infektion in den Fokus. Eine davon sind dauerhafte Herzschäden. Diese könnten laut dem Portal Kardiologie.org der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie – Herz und Kreislaufforschung (DGK) sowie des Bundesverbands Niedergelassener Kardiologen (BNK) selbst nach milden COVID-19-Verläufen auftreten. Aber auch bleibende Lungenschäden und Fatigue bereiten der Wissenschaft Sorgen.

Bereits Anfang Juli hatte die Deutsche Presse-Agentur (dpa) darüber berichtet, dass SARS-CoV-2 auch das Herz befällt. Das geht aus einer Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) hervor: SARS-CoV-2 könne Herzzellen infizieren und sich darin vermehren, sagte der Leiter der Studie, Dr. Dirk Westermann, der dpa. Zudem sei das Virus in der Lage, die Genaktivität infizierter Herzzellen zu verändern. Allerdings ließe sich noch nicht abschließend klären, ob dies Auswirkungen auf den Krankheitsverlauf von Herzpatienten habe, hieß es in einer Mitteilung. Die veränderte Genaktivität in den Herzzellen könnte aber schließlich Langzeitfolgen für die Gesundheit von Betroffenen haben. Künftig seien Reihenuntersuchungen an lebenden COVID-19-Patienten notwendig, hieß es.

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Für die Studie wurden laut UKE 39 verstorbene Herzpatienten untersucht, die mit SARS-CoV-2 infiziert waren. Sie waren im Mittel 85 Jahre alt. Bei rund zwei Drittel dieser Patienten konnten die Forscher im Herzgewebe das Virus nachweisen, wie das UKE weiter mitteilte. In 16 Fällen fanden sie den Angaben zufolge das Virus in Mengen, die klinische Auswirkungen hätten haben können. Die Ergebnisse sollten im Fachblatt „JAMA Cardiology“ erscheinen. Das ist am 27. Juli nun geschehen. Auch das „Ärzteblatt“ berichtete über die Ergebnisse: Demnach scheint sich SARS-CoV-2 nicht in den Herzmuskelzellen, sondern im interstitiellen Bindegewebe und in den Makrophagen zu vermehren. „Eine vermehrte Expression von sechs proinflammatorischen Genen lässt vermuten, dass es zu einer Entzündungsreaktion gekommen ist. Eine Einwanderung von Leukozyten in das Herzmuskelgewebe wurde jedoch nicht nachgewiesen.“ Die Infektion mit SARS-CoV-2 habe nicht zu einer offenen Myokarditis geführt, unterhalb dieser sei jedoch eine Schädigung des Herzmuskels vorstellbar, heißt es.

Ebenfalls am 27. Juli berichtete die dpa von einer weiteren Studie, der zufolge eine Corona-Infektion die Herzgesundheit beeinträchtigen könnte. Diese Vermutung äußerten dieses Mal Wissenschaftler der Universität Frankfurt am Main, die ihre Studie ebenfalls in der Fachzeitschrift „JAMA Cardiology“ veröffentlicht haben. In der Studie wurden Magnetresonanzaufnahmen (MRT) der Herzen von insgesamt 100 Patienten ausgewertet, die sich von einer COVID-19-Erkrankung erholten – gut zwei Drittel von ihnen zu Hause, die übrigen im Krankenhaus.

Entzündliche Veränderungen des Herzmuskels oder Herzbeutels 

Bei 78 Patienten waren im MRT entzündliche Veränderungen des Herzmuskels oder des Herzbeutels erkennbar – oft trotz eines sehr leichten Verlaufs der ursprünglichen Infektion und bei ansonsten gesunden und oft sportlichen Patienten. Was diese Veränderungen langfristig bedeuten, ist allerdings noch unklar, heißt es. Die Patienten der Studie sollten nachverfolgt werden, wobei die Forscher damit rechneten, dass zumindest bei einigen von ihnen ein kleiner Herzschaden bleibe. Dafür spreche etwa die Troponin-Erhöhung bei 71 der 100 Patienten. Auch das Ärzteblatt schrieb am 28. Juli über diese Studie: „17 Patienten berichteten noch über Brustschmerzen, 20 litten unter Palpitationen, 36 klagten über Luftnot oder eine seit der Infektion andauernde Erschöpfung.“ Die Frankfurter Untersuchungen waren etwa zwei Monate nach einer akuten Corona-Infektion durchgeführt worden.

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Damit konnten die Forscher zeigen, dass es sich nicht um einen direkten Schaden durch das Virus handelt, sondern eher um eine durch das Virus ausgelöste Immunreaktion, so die dpa.

Auch das Portal „Kardiologie.org“ der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie – Herz und Kreislaufforschung (DGK) sowie des Bundesverbands Niedergelassener Kardiologen (BNK) hat über die Frankfurter Studie berichtet und erklärt, welche typischen kardialen Veränderungen Puntmann und Kollegen bei den genesenen COVID-19-Patienten im Vergleich zu auf Alter, Geschlecht und Risikofaktoren gematchten Kontrollpersonen im MRT festgestellt haben:

  • diffuse Myokardfibrose und/oder Ödeme (erhöhte native T1-Zeiten und/oder T2-Zeiten, bei 73 bzw. 60 Patienten),
  • Narbenareale sowohl im Myokard (myokardiales Late-Gadolinium-Enhancement [LGE], n=32) als auch im
  • Perikard (perikardiales LGE, n=22).

Das Virus nicht unterschätzen

Auch wenn alle Ergebnisse weiterer Bestätigung bedürfen, Kardiologen zeigen sich in einem ebenfalls am 27. Juli erschienen Editorial in „JAMA Cardiology“ beunruhigt: „Monate nach der Diagnose von COVID-19 besteht die Möglichkeit einer verbleibenden linksventrikulären Dysfunktion und einer anhaltenden Entzündung, die beide so besorgniserregend sind, dass sie einen Herd für eine neu auftretende Herzinsuffizienz und andere kardiovaskuläre Komplikationen darstellen.“ Laut Kadiologie.org heißt es allerdings zur weiteren Einordnung, dass die Frankfurter Studienautoren die links- und rechtsventrikuläre Herzfunktion (LVEF und RVEF) im Hinblick auf die Prognose als weniger aussagekräftig beurteilen. Zwar seien beide Parameter bei den genesenen COVID-19-Patienten im Vergleich zur Kontrollgruppe signifikant erniedrigt gewesen (jeweils 56 Prozent vs. 60 Prozent), doch habe es zwischen der COVID-19- und der Kontrollgruppe große Überschneidungen gegeben. In einer ähnlichen kürzlich publizierten Studie, sei – wenn überhaupt – nur die rechte Ventrikelfunktion dauerhaft betroffen gewesen. 

Auch das Nachrichtenportal „Science“ beschäftigt sich aktuell mit den möglichen Spätfolgen von COVID-19. Am 31. Juli hieß es:


Die Liste der COVID-19-Folgen ist länger und vielfältiger, als sich die meisten Ärzte hätten vorstellen können. Zu den andauernden Problemen gehören Fatigue, Herzrasen, Kurzatmigkeit, schmerzende Gelenke, nebliges Denken, anhaltender Verlust des Geruchssinns und Schäden an Herz, Lunge, Nieren und Gehirn.“ 

Nachrichtenportal „Science“


In dem entsprechenden Artikel wird deutlich, dass mögliche Spätfolgen durch eine SARS-CoV-2-Infektion keine Überraschung sind, sondern so schon bei einigen anderen Viruserkrankungen beobachtet wurden – etwa beim Eppstein-Barr-Virus. Außerdem wird deutlich, dass Wissenschaftler in der Forschung zu den Spätfolgen noch ganz am Anfang stehen – dennoch sind offenbar viele bereit, schon jetzt darüber zu sprechen, damit die Menschen das Virus nicht unterschätzen.

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Was der Artikel außerdem nahelegt – die befürchteten Spätfolgen an der Lunge könnten milder sein, als auf Basis bisheriger Coronaviren (SARS und MERS) vermutet. Doch eine „Entwarnung“ bedeutet das nicht.



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