Antiepileptikum Kaliumbromid

Was steckt hinter dem Preisanstieg?

Traunstein - 25.06.2020, 06:59 Uhr

Desitin hat die Preise für das bei Epilepsie eingesetzte Kaliumbromid kräftig angezogen. (Bild: Desitin)

Desitin hat die Preise für das bei Epilepsie eingesetzte Kaliumbromid kräftig angezogen. (Bild: Desitin)


Vor Kurzem noch kosteten 60 Tabletten mit jeweils 850 mg Kaliumbromid 32 Euro, nun ist es mit 599 Euro ein Vielfaches davon: Nachdem Dibropharm den Vertrieb des Präparats Dibro-be Mono zum Jahresende 2019 eingestellt hatte, brachte Desitin zum 1. Januar 2020 ein Nachfolgepräparat mit derselben Dosierung und Packungsgröße in den Handel. Doch was steckt hinter der drastischen Preiserhöhung? Und müssen Apotheken bei der Abgabe Befürchtungen haben, dass sie retaxiert werden?

Kaliumbromid ist eines der ältesten Antiepileptika und wurde bereits im 19. Jahrhundert eingesetzt. Heutzutage wird es nur noch selten verwendet, und zwar als Mittel der zweiten Wahl bei bestimmten Epilepsieformen im Kindesalter. Bis Ende Dezember 2019 stand hierfür das Präparat Dibro-be Mono des in Baden-Baden ansässigen Unternehmens Dibropharm zur Verfügung. Die Packung mit 60 Tabletten zu 850 mg kostete 32 Euro. Doch mit einem auf den 2. Januar 2020 datierten Schreiben teilte Dibropharm mit, dass der Vertrieb des Antiepileptikums zum 31. Dezember 2019 eingestellt wurde. Die Gründe hierfür seien vielfältig, zu nennen wären „u.a. das Preismoratorium für Arzneimittel, das es uns seit ca. 20 Jahren verbietet, die teils drastisch gestiegenen Preise für Wirkstoffe, Herstellung etc. zu kompensieren“. Für die weitere Versorgung stehe ab dem 1. Januar 2020 das äquivalente Arzneimittel Kaliumbromid Desitin 850 mg zur Verfügung.

Destin: Ein Orphan drug, das wirtschaftlich bleiben muss

Und in der Tat: Ein Versorgungsengpass, der sich für Kinder mit Epilepsie dramatisch auswirken könnte, ist nicht eingetreten. Allerdings lässt sich die Firma Desitin ihr In-die-Bresche-Springen gut bezahlen. Statt zuvor 32 Euro werden nun 599 Euro für die Packung mit 60 Tabletten fällig.

Doch wie begründet Desitin diese Preissteigerung? Auf Anfrage der AZ teilt das Hamburger Unternehmen mit, dass ihm als Spezialist für die Indikation Epilepsie „die Notwendigkeit des Erhalts von Kaliumbromid als Arzneimittel für die betroffene Patientengruppe“ wichtig sei. Dies werde beim Dravet-Syndrom eingesetzt, bei dieser schweren Epilepsieform im Kindesalter handle es sich um eine Orphan-Erkrankung.

Zur Preisstellung von Dibro-Be von Dibropharm will Desitin nicht Stellung nehmen, verweist aber ebenfalls auf das Preismoratorium, das eine Preisanhebung nach Markteinführung unmöglich mache. „Wir können uns vorstellen, dass dieses Produkt für eine kleine Patientengruppe bei immer mehr Aufwendungen für Qualität (Umstellung des Wirkstoffes etc.), Arzneimittelsicherheit und zuletzt Fälschungssicherheit vor dem Hintergrund des Preismoratoriums unwirtschaftlich wurde“, heißt es weiter. Als Grundlage für die eigene Preiskalkulation nennt Desitin „unter anderem hohe Aufwendungen für Qualität und Sicherheit, gesetzliche Vorgaben der Serialisierung zur Fälschungssicherheit und Rohstoffpreise“. Darüber hinaus habe man die Preisstellung für Kaliumbromid Desitin an „Produkten, die alternativ für Dravet eingesetzt werden (Epidiolex, Diacomit), orientiert“. Die Tagestherapiekosten für ein Kind, das zum Beispiel 20 kg wiegt, lägen für Kaliumbromid Desitin bei 11,75 Euro, für Diacomit bei 16,68 Euro und für Epidiolex bei 57,27 Euro. Damit sei Kaliumbromid das preiswerteste Produkt für diese Patientengruppe.

Retax-Gefahr für Apotheken?

In der Tat ist die Preisgestaltung von Kaliumbromid Desitin offenbar rechtlich nicht angreifbar. Zu diesem Ergebnis kommt auch der GKV-Spitzenverband, der gegenüber der AZ erklärt: „Unsere Fachleute haben sich den Fall näher angeschaut und insbesondere die Anwendbarkeit des Preismoratoriums geprüft. Bei dem Wirkstoff handelt es sich nicht um ein AMNOG-Arzneimittel, da weder Patentschutz noch Unterlagenschutz bestehen. Kaliumbromid Desitin 850 mg wurde auf Basis einer generischen Zulassung neu in den Markt eingeführt. Der pharmazeutische Unternehmer hat die in den bestehenden gesetzlichen Regelungen vorhandene Lücke genutzt, die ihm eine Möglichkeit zur exzessiven Bepreisung eröffnet. (…) Nach unserer Einschätzung handelt sich um eine gesetzliche Grauzone, die aber nach Prüfung in diesem speziell gelagerten Fall (zumindest rechtlich) nicht zu beanstanden wäre.“

Das sagt der Rahmenvertrag

Doch wie sieht es in den Apotheken aus? Wird Kaliumbromid Desitin verschrieben, ist der Sachverhalt klar – hier bezahlt die Kasse. Aber was ist, wenn das Vorgängerpräparat verordnet wurde? Auch hier dürfte es keine Probleme geben. Apothekerin Juliane Brüggen vom Retax-Spezialisten DAP Networks/DAP DeutschesApothekenPortal schreibt dazu, dass eine Retaxation „nach unserer Ansicht nicht zulässig (wäre), wenn die Abgabe des Nachfolgeartikels nach AV-Meldung des Vorgängerpräparats erfolgte“. Denn mit der 1. Änderungsvereinbarung zum Rahmenvertrag vom 1. November 2019 wurde folgender Passus in § 2 Abs. 13 Rahmenvertrag aufgenommen: 

„Das nach den Bestimmungen dieses Rahmenvertrages abzugebende Arzneimittel bzw. das in die Arzneimittelversorgung nach § 31 SGB V einbezogene Produkt ist im Preis- und Produktverzeichnis gelistet und der Vertriebsstatus hat den Wert ‚außer Vertrieb‘ (AV). Ein mit ‚außer Vertrieb‘ (AV) gekennzeichnetes Fertigarzneimittel ist bei der Ermittlung der Abgaberangfolge nach den §§ 10 ff. nicht zu berücksichtigen. Ein mit ‚außer Vertrieb‘ (AV) gekennzeichnetes Arzneimittel darf jedoch abgegeben werden, wenn es die Voraussetzungen dieses Vertrages erfüllt.“ 

Dies heiße, so Brüggen: „Wenn der Vorgängerartikel verordnet, aber AV gemeldet ist, dürfte das teurere Präparat abgegeben werden, da AV-Präparate bei der Abgaberangfolge nicht mehr berücksichtigt werden.“ Es stehe „natürlich (wie immer) auf einem anderen Blatt“, wie die gesetzliche Krankenkassen dies sehen, zusätzlich seien auch die regionalen Arzneilieferverträge zu beachten, die abweichende Regelungen enthalten könnten.

Und wenn das Aut-idem Kreuz gesetzt ist?

Bleibt der spezielle Fall, dass das Alt-Präparat Dibro-be Mono verordnet und zudem das Aut-idem-Kästchen angekreuzt wurde. Muss die Apotheke in diesem Fall eine Retaxation fürchten, wenn sie dennoch Kaliumbromid Desitin abgibt? 

Der GKV-Spitzenverband antwortet darauf, es sei davon auszugehen, „dass Apotheker versuchen, bei einem Aut-idem Kreuz das alte Präparat Dibro-be Mono über den Großhandel zu bekommen. Sollte das nicht funktionieren, müsste Rücksprache mit dem Arzt gehalten und beraten werden, wie man vorgeht und diesen Schritt dokumentieren.“ Doch was tun, wenn die Verordnung am Samstagvormittag vorgelegt wird und weder das alte Präparat bestellt werden kann noch eine Rückfragemöglichkeit beim Arzt besteht? Die besorgten Eltern auf Montag vertrösten und damit einen epileptischen Anfall zu riskieren dürfte ebenso wenig eine Option sein wie der Verweis auf die Notdienstpraxis mit einem gut gefüllten Wartezimmer mit potenziellen COVID-19-Patienten. Wird vor diesem Hintergrund das Nachfolgepräparat abgegeben, trägt das Risiko die Apotheke. Ob dann eine Retaxation erfolgt, liegt bei der jeweiligen Krankenkasse, so der GKV-Spitzenverband. Sicherer dürfte daher der Weg sein, mit dem verordnenden Arzt im Nachhinein Kontakt aufzunehmen und um die Ausstellung eines neuen Rezepts zu bitten. 



Dr. Christine Ahlheim (cha), Chefredakteurin AZ
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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4 Kommentare

Kaliumbromid Preisgestaltung

von Dr. Ildiko Szasz am 25.06.2020 um 20:04 Uhr

Sollte nicht verstärkt auf die preisgünstige Rezeptur von Kaliumbromidkapseln hingewiesen werden? Ärzte sind immer wieder erstaunt, dass dies in jeder öffentlichen Apotheke möglich ist und sich obendrein individuelle Dosierungen umsetzen lassen.

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Kaliumbromid

von Sven Larisch am 25.06.2020 um 9:28 Uhr

Für den genannten Samstagsfall greift ja im Moment auch die Covid19 Verordnung (akute Versorgung). Wenn das Rezept nicht schon eine oder 2 Wochen alt ist.
Ich denke Eltern mit einem Kind dieser Erkrankung halten sich das Präparat vorrätig.
Die Frage für mich lautet eher: Ist der Weltmarktpreis für Kaliumbromid gestiegen?
Werden Ärzte Verordnungen über eine Kapselherstellung machen?
Das die Krankenkassen versuchen eine Retax zu machen kennen wir doch alle. Also Sonder-PZN plus handschriftlich ergänzen. Und auch bei einer unbegründeten Retax von 0,50 € Einspruch erheben. Wenn ich fehler mache muss ich das akzeptieren, wenn die KK und Beauftragte der KK Fehler machen muss man sich auch wehren und nicht nur jammern.

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Schamlos

von Holger am 25.06.2020 um 8:25 Uhr

Der ehrbare Kaufmann früherer Tage hätte sich geschämt! Aber da der Shareholder Value heute wichtiger ist als die Kaufmannsehre ...

Und gleichzeitig wundern wir uns über Rassismus, Gewaltexzesse und so weiter? Das ist doch alles Ausfluss der Tatsache, dass die Werte, die unsere Gesellschaft bisher zusammengehalten haben, an Bedeutung verlieren. Zuvorderst ist das die Achtung vor dem anderen Menschen: - dass ich ihn nicht ob irgendwelcher Merkmale diskriminiere,
- dass ich seine körperliche Integrität nicht angreife,
- dass ich ihn nicht schamlos ausraube oder ausplündere.

Wird alles nicht mehr für sooooo wichtig gehalten. Da kann man schon Angst vor der Zukunft kriegen.

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AW: Schamlos

von Heiko Barz am 25.06.2020 um 10:58 Uhr

Ich glaube, über Scham und Anstand brauchen wir uns im Bereich der Gesundheitsversorgung in Deutschen Landen nicht mehr zu unterhalten.
Unsere allgemeinen beruflichen und sozialen Wertvorstellungen werden schon seit langem auf dem Altar der niedrigen europäischen Gleichmacherei geopfert.

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